Kann man mit Kindern eigentlich noch Abenteuer erleben in Deutschland? Oder ist alles zu durchorganisiert? Auf Tourismus getrimmt oder was immer die Destinationsvermarkter darunter verstehen? Mit seiner Serie um die Geschwister Lilly und Nikolas versucht der Verlag Biber & Butzemann so ein bisschen, das Reisen im Land wieder etwas aufregender zu erzählen.

Die beiden haben reiselustige Eltern – da ist es kein Problem, mit den Kindern einfach mal in alle Ecken der Republik zu reisen, um sich die geschichtsträchtigen Städte, Berge, Täler und Küsten zu beschauen. Im Schwarzwald waren sie schon, in der Lüneburger Heide, auf dem Darß und auf Norderney, in Franken, Thüringen und Berlin. Der Verlag hat dafür wechselnde Autorinnen und Illustratorinnen gewonnen. So kann man in Serie arbeiten und jedes Jahr gleich mehrere neue Titel auf den Markt bringen.

Seit einiger Zeit recht konstant im Boot ist die Hamburger Illustratorin Sabrina Pohle, die in ihrem Lebenslauf nur ganz verschämt Sachsen-Anhalt als Geburtsland angibt. Ist der Geburtsort so schrecklich, dass man ihn lieber gar nicht mehr erwähnt? Eigentlich ist sie studierte Japanologin, hat sich aber die künstlerischen Techniken sehr professionell angeeignet. Sie hat im Grunde alles drauf, was man heutzutage für Comics braucht. Einen Comic-Typus aber hat sie irgendwie besonders ins Herz geschlossen: den des “Mosaik”, der sich – wie man auch in diesem Buch sieht – gut eignet, Bilder mit hohem dokumentarischem Aussagewert zu schaffen. Und dass sich die Leipziger Gebäudelandschaft gut für einen Comic eignet, hat ja die “Mosaik”-Mannschaft schon 2011 gezeigt, als sie speziell fürs Völkerschlachtdenkmal (und den anstehenden 100. Geburtstag des überdimensionalen Kaffeewärmers) ein eigenes Völkerschlachtdenkmal-“Mosaik” schuf. Das gibt’s seitdem an der Museumskasse und es begegnet auch Lilly, Nikolas und ihren Eltern, als sie bei ihrem Leipzig-Besuch den berühmten Steinklotz besuchen.

Sabrina Pohles Partnerin für diesen Titel der Reihe war Mareike Seehaus, die sich ganz ähnlich schwer tut, ihren Geburtsort in Sachsen-Anhalt zu verraten. Sie lässt Lilly, Nicolas und ihre Eltern die Herbstferien nutzen, um Basti zu besuchen, Freund der beiden Geschwister, aber seit einem Jahr bei den Thomanern. Damit haben sie eigentlich schon einmal den richtigen Begleiter durch die Stadt. Natürlich stehen Thomaskirche und Thomaner-Alumnat auf dem Programm, aber die drei Kinder sind auch noch echte Schlaumeier, die sich auch an Orte lotsen lassen, vor denen andere Familien geradezu scheuen: ins Naturkundemuseum, ins Völkerkunde- und ins Musikinstrumentenmuseum. Auch eine Bustour auf einem der alten London-Busse machen sie mit, Wildpark, Zoo und Völkerschlachtdenkmal sind fällig. Belantis fehlt nicht (auch wenn sie das Wunder fertigbringen, mit der Straßenbahn hinzufahren – könnte man das nicht mal als Vorschlag bei den LVB anmelden? Bitte eine Straßenbahn bis Belantis!).

Im Zoo schürfen sie tatsächlich nach kleinen Schätzen. Aber die kleine Beinahe-Kriminalgeschichte drumherum handelt von Bastis wertvollem Saphir, der einst der Urgroßmama gehörte und den er so ein bisschen als Trost mitgenommen hat nach Leipzig. Das Ding entpuppt sich später als ziemlich wertvoll – nämlich dann, wenn der Ring, wie sich das für wertvolle Dinge nun mal gehört, abhanden kommt. Die Polizei wird eingeschaltet und man sieht die Leipziger Polizisten tatsächlich mit einer Emsigkeit forschen, die verblüfft – auch wenn sie den Ring trotzdem nicht finden.

Der geht seinerseits beinahe auf eine große Reise. Aber es wäre ja kein freundliches Kinderbuch, wenn dabei wirklich schreckliche Ganoven eine Rolle spielen würden. Selbst die Eltern von Lilly und Nikolas nehmen es gelassen. Und am Ende wird sogar noch die Wissenschaft tätig, um den Wert des schmucken Erbstücks zu ermitteln.

Wer jetzt ein bisschen einordnen möchte, welcher Art von Kindern man dieses Leipzig-Entdecker-Buch in die Hand geben kann, der kann ja mal nachschauen, ob die Biester schon “Emil und die Detektive” gelesen haben. Haben sie das, könnte es schon zu spät sein. Ansonsten könnte es ganz gut sein, dass es richtige kleine Lernbolzen sind, die sich für Bachs Knochen, ausgestopfte Löwen und 200 Jahre alte Schlachten interessieren. Für was man sich eben so interessiert, wenn man mal nach Leipzig kommt. Ein wenig scheint da im Hintergrund auch noch die Erfinderlust diverser Leipziger Stadtbilderklärer ein kleines Echo zu finden. So lernt man nämlich im Vorüberlesen auch noch, dass Angela Merkel sich in den 1970er Jahren  in Leipzig sogar als Archäologin betätigt hat (So entstehen die großen Mythen um die Berühmtheiten der Zeit.) und Bachs Gebeine bei Nacht und Nebel ausgegraben wurden und gar nicht so sicher ist, dass sie es auch sind.

Natürlich müssen Geschichten für Kinder ein bisschen anders sein. Und die Frage ist durchaus berechtigt: Wie kindgerecht ist so eine Stadt wie Leipzig eigentlich? Ist die Abenteuerlust, die Unruhe, Neugier und Ungeduld der Knirpse eigentlich mitbedacht? Oder ist diese Stadt tatsächlich nur für die Erwachsenen gebaut und deren langweilige Interessen und Beschäftigungen?

Zum Glück gibt’s nach jedem Aufreger eine große Portion Eis. Und da sich auch das Drama um den blauen Saphir klärt, ist am Ende alles gut und die Kinder können wieder heimwärts fahren – bis zum nächsten Abenteuer in einer wohlgeordneten Republik.

Mareike Seehaus, Sabrina Pohle “Schatzsuche in Leipzig. Lilly und Nikolas auf der Suche nach dem singenden Saphir, Biber & Butzemann, Schöneiche 2015, 9,95 Euro

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