Miriam Zedelius ist quasi die Haus-Grafikerin des Poetenladens in Leipzig. Aber das bewahrt die junge Dame und Mutter nicht vor Seitensprรผngen und Eigenwilligkeiten. Und nicht zum ersten Mal landet sie dabei in der Schweiz. Schon 2012 hat sie dort mit dem eigenwilligen Lorenz Pauli ein Buch gemacht: "Zum Mitnehmen". Nun geben die beiden der Propellererziehung endgรผltig den TodesstoรŸ.

Lorenz Pauli hat selbst lang genug als Erzieher gearbeitet, um das durchaus moderne Phรคnomen zu kennen: Wagemutige Erwachsene โ€“ wie in diesem Fall der Herr Schnippel โ€“ dรผrfen ab und zu auch mal den quirligen Nachwuchs betreuen, mรผssen aber mittlerweile damit rechnen, von den kleinen Biestern darรผber belehrt zu werden, was alles nicht geht und was viel zu gefรคhrlich ist und wo bitte schรถn der verantwortliche Erwachsene als Bremser, Mahner und Katastrophen-Verhinderer zu funktionieren hat.

Dabei hat sich Herr Schnippel doch die Sache ganz einfach vorgestellt: denn Juri ist ein aufgewecktes Bรผrschchen. Mit dem kann man Pferde stehlen, auf Bรคume klettern. Lagerfeuer machen, Schรคtze suchen, Baden gehen. Hat er doch selber gesagt, Herr Schnippel soll nur aufpassen. Und Herr Schnippel nimmt seine Aufgabe ernst. Wenn das Abenteuer lockt, springt man aus der Hรคngematte und macht mit. Nichts ist so schรถn, wie noch einmal Indianer zu sein oder Seerรคuber oder Tarzan.

Aber eigentlich geht das alles nicht.

Muss ihm Juri sagen. Juri hat Erfahrungen. Immerhin hat er mittlerweile in seinem kurzen langen Leben gelernt, wie gefรคhrlich das alles ist. Hat ja Mama gesagt. Mama hat immer Recht. Man merkt: Herr Pauli, der sich die Geschichte ausgedacht hat,  kennt seine Pappenheimer und Aufpass-Eltern. Wir leben in kostbaren Zeiten, in denen Kinder so kostbar sind, dass ihnen nichts passieren darf. Keine Beule, kein Kratzer. Ja nicht. Sonst kommt die Polizei. Oder noch schlimmer. Hat Herr Schnippel nicht aufgepasst?

Herr Schnippel stammt augenscheinlich aus einer anderen Zeit oder einer anderen Welt. Oder er hat nie zugehรถrt. Frรผher, als ihm seine Mama all das gesagt haben muss. Muss sie ja, sonst wรคre er bestimmt schon irgendwann zu Matsch gefahren oder zu Tode gestรผrzt oder von wilden Tieren gefressen worden. Irgendeine Gefahr hรคtte ihn schon erwischt. Mamas warnen ja nicht ohne Grund.

Oder nicht? Kann es sein, dass in Herrn Schnippel noch ein kleiner Junge steckt, der niemals richtig zugehรถrt hat? Er hรถrt auch jetzt nicht zu. Jedenfalls nicht richtig. Auch wenn Juri ihm alles ordentlich erklรคrt. Er macht einfach. So einer ist das. Unmรถglich. So einer darf doch gar kein Papa werden!

Vielleicht hat Herr Schnippel deshalb so viel Zeit, dass er in der Hรคngematte liegen kann und sich auch noch freut, dass er auf Juri aufpassen darf. Na prima. Das  kann nur schief gehen. Da hat Mama nicht aufgepasst. Denn wenn alle Dinge gefรคhrlich sind, dann kommt einer wie Herr Schnippel auf ganz ungefรคhrliche Ideen. Schubkarrenrennen zum Beispiel. Auf Seite Dingsbums gehtโ€™s los. Seitenzahlen gibt es nicht. Miriam Zedelius hat eben eindeutig an der HGB in Leipzig studiert. Da lernt man verrรผckte Sachen. Wahrscheinlich landen da alle Kinder, die frรผher nicht gehรถrt haben auf Mama, Papa, Lehrer, Bรผrgermeister, Nachbar.

Sie hat sich keinen ordentlichen Zeichenblock geholt, sondern Magdalene, Liselotte oder Emil einfach den Schreibblock gemaust. Und losgezeichnet. Herrn Schnippel in der Hรคngematte, Emil mit seinem Plรผschhund. Emil im Baum, kopfรผber. Wer eine Mama hat wie Juris Mama, der hat jetzt ein Problem. Denn wenn einer kopfรผber im Baum hรคngt, dann hรคngt auch das Buch kopfรผber. Was tun? Vielleicht doch lieber Papa fragen. Vielleicht macht er es ja wie Herr Schnippel. Nur nicht einschรผchtern lassen. Es ist nicht die einzige รœberraschung, die auf die Leser lauert. Und die Vorlesenlasser. Wer also dieser Tage zwei sieht auf der Wiese oder so, die mit einem Buch turnen, das kรถnnten zwei sein, die diese Geschichte erwischt haben. Eine Geschichte, die zeigt, was passiert, wenn Juri nicht aufpasst. Ab Seite Dingsbums, wie gesagt, geht die Post ab. Auch wenn es nur Herr Schnippel mit Schubkarre, Juri und Katze ist. Wenn Schnippel erst mal losgelassen ist, gibt es kein Halten. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte sich ab Seite Dingsbums anschnallen. Oder gut festhalten.

Wer gut aufpasst, merkt, was die Leipziger HGB mit ihren Absolventinnen anstellt. Beim TรœV oder beim ADAC dรผrfen die gar nicht arbeiten. Viel zu gefรคhrlich. Aber wahrscheinlich weiรŸ Mama Zedelius auch ganz genau, dass es ohne die Herr Schnippels gar nicht geht. Sonst bleiben die Emils und Juris immer kleine Angsthasen. Es ist also ein echtes Jungsbuch. Auch fรผr echte Mรคdchen, keine Frage. So lange einer dabei ist, der aufpasst.

Aber das ist ja eigentlich die Frage: Wer passt hier auf? Und auf wen?

Lorenz Pauli, Miriam Zedelius โ€œPass auf mich auf!โ€œ, Atlantis Verlag, Zรผrich 2015, 14,95 Euro

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