Was macht man in Zeiten, in denen es zwischen EU und Russland nun schon seit Monaten kriselt, der Konflikt in der Ukraine schwer durchschlägt auf wirtschaftliche und politische Beziehungen? - Man setzt ein Zeichen - ganz auf Leipziger Art - und veröffentlicht einen Stadtführer, der seit 2007 auf Deutsch vorliegt, nun auch mal auf Russisch.
Irgendwie muss man ja zeigen, dass die politischen Konfrontationen nicht unbedingt das sind, was sich die Menschen in einer Stadt wie Leipzig wünschen. Die Stadt lebt vom Handel, von einer wachsenden Internationalität, auch vom Tourismus und von Gastlichkeit. Rund 6.500 Gäste kommen jedes Jahr allein aus Russland nach Leipzig. Viele davon auch zu den diversen Messen. Leipzig hat einen guten Ruf als Handelsplatz – gerade im Osten Europas.
Und natürlich musste tatsächlich Einiges, was 2007 noch frisch und neu wirkte, überarbeitet werden. Leipzig verändert sich, auch wenn es den Leipzigern meist viel zu langsam geht. Das beginnt schon mit Station 1, die 2007 schlicht Hauptbahnhof hieß. Da war das Projekt “City-Tunnel” gerade mal begonnen. 2015 ist es nicht nur fertig, es fühlt sich auch so an, als ob es schon immer zu Leipzig gehört hätte. Auch wenn es augenscheinlich keine sinnvolle Übersetzung von “City-Tunnel” ins Russische gibt: “Glawnij Woksal s Citi-tuneljem” heißt deshalb die Start-Station für den Rundgang, der auch den russischen Spaziergänger direkt zur Nikolaikirche und zur Friedlichen Revolution führt.
Nicht als Spaziergang, wie im Deutschen, sondern als Stadtexkursion. Sprachen verändern nicht nur Sichtweisen, sondern auch Haltungen. Da sieht man nicht mehr den gemütlich mit Fotoapparat spazierenden Städtereisenden aus Osnabrück vor sich, sondern eine stramme Exkursionsleiterin mit strenger Frisur, die ihre Kursanten im Eilschritt durch die Stadt führt: “Dawei! Dawei!” Kurzer Halt an “Speck’s Hof”, erklärt, was ein Messehaus ist – ein Handelshaus (Riquet), ein Messehof (Zentralmessepalast), wenig später noch die berühmten Passagen (Torgowaja Galereja). Der Naschmarkt bleibt der Naschmarkt. Und wo man glaubt, die Leipziger Griewatsche ins Russische übersetzt zu sehen – Burschej – handelt es sich tatsächlich nur um die Börse, die Alte.
Dass freilich das heiß geliebte Leipziger Allerlei zum Ragout wird – Owoschnoje Ragu Po-Leipzigski – überrascht. Genauso wie die Eliminierung von Theodor Fontane und Karl Liebknecht, die vorher eine kleine Biografie am Seitenrand hatten – mag man die in Russland nicht? Das wäre schade. Die Leipziger Lerchen, die es 2007 noch im Barfußgässchen gab (das diesmal verschwunden ist), sind für die russischen Besucher in Barthels Hof zu finden: Leipzigskije Schaworinki. Klingt lecker, genauso wie Fomas-Kirche. Irgendwie hat der Computer da so ein paar Problemchen mit den kyrillischen Schriftzeichen und der Leser kommt ins Grübeln: Wer ist denn eigentlich der Heilige Fomas?
Da der neue Rundgang über das 2008 aufgestellte Mendelssohn-Denkmal (Pamjatnik Mendelsonu) führt, wird diesmal die Burgstraße ausgelassen (2007 war hier noch das Ägyptische Museum kurzzeitig untergebracht – wie die Zeit vergeht!), der Petersbogen fällt auch aus. Die Gründe für die veränderte Streckenführung sind klar: Deutschsprachige Gäste kann man durchaus zur Moritzbastei oder ins Panorama-Restaurant im City-Hochhaus zum Absacker führen. Russische Gäste brauchen einen Abschluss ganz für sie allein, und der ist nun einmal ein bisschen weiter draußen. Deswegen geht’s übers Mendelssohn-Haus und das Grassi-Musum zur Russischen Gedächtniskirche (Russkaja Zerkow) – und wer mag, nimmt auch noch Station Nr. 42 mit, das Pamjatnik Bitwe Narodow. Im Russischen klingt Völkerschlachtdenkmal eben auch nicht mehr ganz so schrecklich nach Gemetzel, eher nach einem Kampf der Völker. Der vielleicht auch ein Ringen der Völker sein könnte – um Freiheit und solche Dinge, die bei solchem Schlachtengemetzel in der Regel auf dem Felde bleiben.
Was übrig bleibt, sieht man, wenn man die 501 Stufen von ganz unten hochgekraxelt ist: eine fenomenalnaja Panorama na Goroda. Eine phänomenale Sicht über die Stadt. Sofern die Exkusionsleiterin nicht schon wieder “Dawei! Dawei!” ruft, weil der Bus wartet.
Doris Mundus “Leipzig sa odin djen. Ekskursia no gorodu“, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 4,95 Euro
Nachtrag, 21. Mai: Das mit dem Fomas ist richtig so, teilt uns Mark Lehmstedt, der Verleger der Reihe mit. Haben wir also wieder was gelernt über Heilige und was ihnen passiert, wenn sie ins Russische übersetzt werden.
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