Wahrscheinlich braucht man eine besondere Begeisterung für Kirchen, wenn man mal nach Regensburg fahren möchte. In neun Kirchen schleppt Kristina Kogel die Teilnehmer ihres Rundgangs "Regensburg an einem Tag". Weitere sechs Kirchen passiert man dabei. Und ihr eigenes Fürstenhaus haben die Regensburger auch noch. Kein Wunder, dass die 1.800 Jahre alte Stadt heute UNESCO-Weltkulturerbe ist.

Die Fürsten sind die von Thurn und Taxis, die ihr fürstliches Schloss St. Emmeran am Rand der Altstadt haben, ganz modern, wie Fürsten seit den 1920er Jahren sind: mit Schlossmuseum und Marstallmuseum. Ein bisschen gucken darf das Volk. Und im Sommer auch zu den Freilichtspielen im Hof sitzen. Dabei war Regensburg mal Reichsstadt, etwas, was Leipzig nicht (ganz) gelungen ist. Das haben die Wettiner verhindert. Aber man stelle sich vor: Die Wettiner hätten noch heute ihr Schloss in der Stadt … Das hört sich schon seltsam an.

Was stimmt: In Regensburg kann man eine große Portion echtes Mittelalter bestaunen, angefangen von einem Rathaus, dessen Ursprung bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht, samt einem Reichssaal, denn hier tagte einst – Regensburg war ja nun einmal freie Reichsstadt – der Reichstag, gar von 1663 bis 1806 der Immerwährende Reichstag. In den mittelalterlichen Straßen, die auf dem Terrain des alten römischen Legionslagers “Castra Regina” entstanden, stehen noch heute einige der alten Geschlechtertürme. Das kennt man eigentlich eher aus Norditalien. Wer Geld hatte und das zeigen wollte, baute sich im Mittelalter einen Turm. Man muss sich wohl immer wieder sagen beim Schreiten und Wandeln: Als die Regensburger ihre steinernen Türme bauten, war in Leipzig noch Fachwerk Trumpf. Und jahrhundertelang genügten drei, vier Kirchen. Man musste ja auch keinen Bischof unterbringen wie die Regensburger. Und soviel Aufwand mit heiligen Gebeinen – wie zum Beispiel denen des Heiligen Emmeran – musste man in Leipzig auch nicht treiben.

Oder mal so formuliert: Als die Regensburger sich mitten im großen Kaiserreich fühlen konnten und vom Nord-Süd-Handel auch richtig reich wurden, war Leipzig noch ein idyllisches Fleckchen mit drei Klöstern drin. Die sich bekanntlich alle drei nicht erhalten haben, anders als in Regensburg, das zwar 1542 die Reformation einführte, die Altgläubigen aber nicht vertrieb, so dass Regensburg eine Zeit lang zu dem Ort wurde, an dem über eine mögliche Versöhnung der Konfessionen diskutiert werden konnte. Das hat bekanntlich nicht ganz geklappt, erklärt aber auch, warum so viele Kirchen, Klöster und Kapellen unbeschadet überdauert haben.

Nur mit den Juden sind die Regensburger 1519 genauso schlecht umgesprungen wie die Sachsen – so lange die Stadt prosperierte, war man ihnen gut, als es zur wirtschaftlichen Krise kam, verjagte man sie. Immerhin: Am Neupfarrplatz erinnert ein Bodenrelief an sie. Und schamvoll haben die Regensburger auch die Grabsteine stehen lassen, die sie 1519 vom jüdischen Friedhof geholt haben, um sie als “Siegestrophäen” an ihre Hauswände zu kleben. Seltsame Siege feiern die Menschen.

Der Neupfarrplatz ist aber auch deshalb interessant, weil man hier in die Tiefe steigen kann: Hier sind die 1995 bis 1998 bei einer großen Stadtkerngrabung freigelegten römischen Mauern und mittelalterlichen Fundamente zu besichtigen. “Document Neupfarrplatz” nennen das die Regensburger: Sie begreifen ihre Stadt als historisches Dokument. Man kann in die Tiefe steigen oder auf Türme klettern, was Fräulein Kogel wohl auch getan hat, sie lässt zwischendurch so einen lustvollen Ruf ertönen, wie schön die Aussicht ist. Wahrscheinlich ist sie da allein hinaufgeschwungen. Wenn sie überhaupt mit Begleiter da war. Und wenn der Begleiter da war, wird er wohl bald entdeckt haben, dass es allerorten lobenswertes Bier gibt – in Stadtamhof, dem Stadtteil drüben auf dem anderen Ufer zum Beispiel, zu dem man über die berühmte Steinerne Brücke spaziert. Der Biergarten der Spitalbrauerei “befindet sich direkt an der Donau”. Da sieht man auch gleich die Schiffe, mit denen man donauabwärts fahren kann, das Donau-Schiffahrts-Museum (mit zwei “f”, das Museum ist schon etwas älter als die neue deutsche Verrechtschreibung), die beiden verbliebenen Brückentürme (einer mit Museum), und drüben in Regensburg die Historische Wurstküche. Man bekommt also auf dem Rückweg wieder was Ordentliches zu beißen, selbstgemachte Würstl mit Senf und Sauerkraut zum Beispiel. Nebenan hängt ein Schild an der Wand: Goethe war hier.

Aber nur kurz. Er wollte eigentlich inkognito nach Italien, um sich nach seinen ersten recht rumpeligen Jahren in Weimar selbst wiederzufinden. Bekanntlich kam er ja dann mit Zitronen zurück und hatte beschlossen, den Minister-Job doch nicht an den Nagel zu hängen. Und den Faust zu schreiben. Aber in Regensburg war er noch nicht so weit. Und entfleuchte ganz schnell.

Ein anderer landete hier, obwohl er eigentlich in Prag schon ganz gut untergekommen war: Johannes Kepler. Die Reise nach Regensburg, wo er den Kaiser mal nach seinem Gehalt fragen wollte, wurde dem Astronomen zum Verhängnis. Zum Dank aber haben die Regensburger ein Kepler-Gedächtnishaus eingerichtet (samstags und sonntags kann man es besichtigen). Das wäre fast so, als hätten die Leipziger ein Leibniz-Gedächtnishaus eingerichtet in der Ritterstraße 16-22, wo der geniale Knabe wahrscheinlich geboren wurde 1646. Gestorben ist er 1716 in Hannover – das will Leipzig 2016 wenigstens feiern. Aber ein Leibniz-Gedächtnishaus findet man trotzdem nicht.

Aber nicht nur wegen Kepler lohnt sich die Fahrt nach Regensburg. Ein paar Reiseziele liegen etwas außerhalb. Die Walhalla zum Beispiel, mit der König Ludwig I. den Deutschen mal zeigen wollte, dass sie auf einige ihrer Berühmtheiten auch stolz sein können. Das hat nie wirklich funktioniert – unter anderem, weil nicht die Bayern gewonnen haben, sondern die Preußen. Und auch Kelheim liegt ganz nah, wo König Ludwig die Befreiungshalle bauen ließ. Die war 50 Jahre eher fertig als das Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Die Namen sagen schon, wie groß der Unterschied ist.

Und donauabwärts im Kloster Weltenburg bekommt man das berühmte Weltenburger Bier direkt in der Klosterschenke mit Biergarten. Da kann man sich die ganzen Bildchen aus den Kirchen zeigen lassen und froh sein, dass man nicht ganz so vernarrt ist in Altäre, Emporen, Pfeiler, Basiliken und Basilisken. “Die Aussicht aber …”

Vielleicht sollte man sich gleich beim Start einigen, wer welche Route nimmt und wo man sich wiedertrifft. Und einen Tag ohne Unwetter sollte man sich auch aussuchen. Sonst ist die “Wurstküche” wieder unter Wasser, wenn man grad Hunger auf die berühmten Würstl hat.

Wen haben wir jetzt alles nicht erwähnt? – Die Regensburger Domspatzen (Station 6), Albertus Magnus (Station 18), Don Juan de Austria (Station 23) und natürlich Benedikt XVI. (Station 10). Aber man kann ja nochmal wiederkommen an einem sonnigen Tag.

Kristina Kogel “Regensburg an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 4,95 Euro

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Es gibt 13 Kommentare

Bitte, Mark, das “Internet” in der öffentlichen Wahrnehmung gibt es schon seit 20 Jahren und das Thema “Pseudonyme im Internet” ist längst ausdiskutiert mit dem Stand, dass es heutzutage als leichtsinnig gilt, sich mit seinem Klarnamen im WWW zu bewegen.

Man hat es ja schon viel länger akzeptiert, in (gedruckten) Kleinanzeigen anonym zu inserieren. Obwohl Kleinanzeigen eine viel kürzere Lebensdauer haben und meistens nicht einmal recherchierbar sind.

Ich verstehe nicht, wieso immer noch versucht wird, die Verwendung von Pseudonymen zu missbiliigen.

Ich empfehle auch Ihnen, Mark, sich ein schönes Pseudonym zuzulegen. 🙂

@ Mark
Der (im Zeitalter des Internet) gewählte “Deckmantel” der Anonymität ist alles andere als ein Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins.
Dieses sollte nicht durch Namen, denn mehr durch Geist, Wort und Tun erkennbar sein.

Im Umkehrschluss beschreit so mancher seinen Namen und erfährt dadurch keinen deut mehr an Selbstbewusstsein.

Nein, nein – so funktioniert es nicht.

Sehr geehrter Herr / Frau JG, es ist schön, dass Sie so engagiert Ihre Meinung vertreten. Aber warum unter dem Deckmantel der Anonymität? “Etwas mehr Selbstbewusstsein bitte.” Beste Grüße – Ihr Mark Lehmstedt

“Ob es in Regensburg jemanden gibt, der leidenschaftliche Artikel über Leipzig schreibt, hm … Ist in diesem Fall doch nicht wichtig, oder?”

Ich denke es ist schon nicht unwichtig.
Denn was in Leipzig mal Industrie und Produktionsstätten waren, sind nun 200 mq Wohnungen.
Die Politik hat sich damit abgefunden und erzählt uns was von Tourismus.

Das wird aber nichts, wenn wir hier selbst aus eigenem Erleben heraus nur jeden dazu ermuntern wollen, mal nach Regensburg fahren.

Falsche Richtung. Etwas mehr Selbstbewusstsein bitte.

Sehr geehrte Mitkommentatoren, ich möchte nur kurz das Gespräch mal in die Richtung bringen, warum die L-IZ in ihrer “Bücher”-Rubrik – und nicht unter “Reisen” – einen Artikel über Regensburg schreibt. Ich wollte damit nur bekräftigen, dass es hier nicht primär um “touristische Werbung für die Stadt Regensburg” geht (obwohl ich aus eigenem Erleben nur jeden dazu ermuntern kann, mal hinzufahren), sondern darum, die engagierte Arbeit eines Leipziger Verlegers/Verlages zu würdigen. Ob es in Regensburg jemanden gibt, der leidenschaftliche Artikel über Leipzig schreibt, hm … Ist in diesem Fall doch nicht wichtig, oder?

@Stefan, obwohl Ihre Wortwahl keine Antwort verdient, möchte ich Ihre Erinnerung auffrischen.
Der Ausgang war der, dass hier in Leipzig ein anregender Text über Regensburg publiziert wurde, und ich mir erlaubte die Frage zu formulieren, ob gleiches wohl in Regensburger Medien erfolgt.

Herr Ernst-Ulrich Kneitschel meinte vollmundig JA, also schaut ich online nach, denn die l-iz ist ja ebenso ausschließlich online.
Die Onliensuche in der von Herrn Kneitschel erwähnten Mittelbayerische Zeitung ergab kein einziges Ergebnis. Keinen einzigen Treffer!

Denken Sie Stefan nicht auch, dass wenn denn so reichhaltig wie in den Raum gestellt in Regensburg von Leipzig berichtet werden würde, egal ob kleine Textschnipsel oder große Artikel, zumindest ein Treffer in der Onlinesuche gefunden werden sollte?

Danke Ihnen für Ihre unnötigen technischen Erläuterungen 😉
Auf „Weiß nicht, JG, was das wieder von Ihnen sein sollte“ geh ich besser mal nicht ein.
Ihnen beiden weiterhin viel „Duldsamkeit“.

Weiß nicht, JG, was das wieder von Ihnen sein sollte.
Ihr Glaube ans “Internet” hat Sie tüchtig übertölpelt.

Gerade bei Zeitungen ist nicht alles online auffindbar, längst nicht. Schließlich macht es Arbeit, Artikel in eine Datenbank einzupflegen, und bei gefühlten täglich 500 Artikeln und Textschnipseln (Kurzmeldungen usw.) einer Tageszeitung macht keiner eine solche Arbeit, selbst wenn die Onlinesuche zahlungspflichtig (und damit unbezahlbar) wäre. Eine Art “Volltextsuche” kann man sich allenfalls bei monatlich erscheinenden Publikationen erhoffen.

Danke an Herrn Kneitschel für seine interessanten Infos und auch für seine Duldsamkeit.

Verzeihung. Ich war anderweitig beschäftigt. Meine Annahme beruht in der Tat nicht auf Online-, sondern Offline-Infos. Wenn ich wieder in Regensburg kann ich mal meine Zeitungsausschnitte durchsehen. Damit ist meine Behauptung allerdings vorerst tatsächlich nicht nachweisbar. Tut mir leid. Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart.

Wie nicht anders zu erwarten war, Herr Ernst-Ulrich Kneitschel aus Regensburg, nach meiner kleinen Aufklärung vernehme ich nun Ihr Schweigen.
Nun ja, Ihre Annahme, Behauptung, Ihre Mutmaßung ist damit hinfällig.

Als gebürtiger Regensburger kann ich die Frage mit Ja beantworten. Die Mittelbayerische Zeitung berichtet regelmäßig über Leipzig. Themen sind die Buchmesse, die Spinnerei, Nikolai Kirche und zuletzt die neue Kirche am Ring. Im Reiseteil wurde Leipzig ebenso beworben.

Ob denn wohl in Regensburg Interesse an Leipzig gestreut wird?
Ich lese dort: Thurn und Taxis Schlossfestspiele ,
BMW CHARITY 2015 – SPENDENTAG ,
7. WaldWelt-Festival ,
DTM-Rennwochenende am Norisring 2015 ,
Neuer Weihbischof in Regensburg ,
Elektromobilität in Regensburg auf dem Vormarsch ,
Ian Anderson (Jethro Tull) kommt im Mai in die Donau-Arena! , …
Also NÖ, kein Wort oder Büchlein über Leipzig.

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