Manchmal muss man nur den Blickwinkel ein klein wenig ändern, und man sieht eine ganz andere Stadt. Die drei Historiker Ulrike Zimmert, Andreas Graul und Dirk Schaal haben es getan und in Leipzigs Innenstadt einfach mal die Bankgebäude gesucht, die das Stadtbild bestimmen. Sie waren ziemlich schnell verblüfft: Es sind doch sehr viele. Leipzig eine Bankenstadt? Man kann nur staunen.

Denn wer Geld hat, der hat in Leipzig auch immer gebaut. Präsentabel, groß, mitten in der Stadt. Und manches Gebäude entpuppt sich erst auf den zweiten Blick als einstiges Bankgebäude. 38 Bankbauten haben die drei Historiker in Leipzigs Stadtmitte (und da und dort etwas abseits) gefunden. Sie erzählen Stadtgeschichte über rund 300 Jahre. Der Barock steht am Anfang, weil sich damals das Bankwesen Europas änderte. Moderne Zeiten brauchen moderne Banken. Die Leipziger waren mittendrin. Aber auch sie merkten, dass sich Märkte und Zahlungsströme veränderten. Geld hatten ja die reichen Kaufleute. In der Regel gründeten sie neben ihren laufenden Geschäften mit Pelzen, Bergbau und Manufakturwaren all das, was man für Geldgeschäfte auf der Leipziger Messe alles so brauchte. Das Bankwesen war ein Nebengeschäft – für manche Familien ein sehr lukratives.

Ein kleiner Exkurs führt in diesem Buch in die Leipziger Bankgeschichte ein, erwähnt auch die großen Bankdynastien, unter denen die Freges noch heute berühmt sind, von den Vetters, Seyfferths und Krochs hat man schon gehört. Ganz kurz wird das Blitzlicht ins 16. und 17. Jahrhundert geworfen, als einige der reichen Leipziger Kaufleute auch schon in Bankgeschäften tätig waren. Nur ist das örtlich kaum irgendwo fest zu machen. Man baute sich keine extra Bankgebäude. Selbst als Frege sein opulentes Bürgerhaus in der Katharinenstraße umbaute, war das eher für familiäre Repräsentationszwecke gedacht – die Bankgeschäfte wurden unten im Kontor mit abgewickelt.

Das war bei den meisten Bankgründungen bis ins frühe 19. Jahrhundert der Fall. Zur Institution wurden Banken erst mit der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die neuen großen Dampfmaschinen waren teuer in der Anschaffung. Das brauchte potente Banken zur Finanzierung. Und für Leipzig ist diese Geburtsstunde der großen Leipziger Banken aufs Engste verknüpft mit denselben Herren, die auch die Leipzig-Dresdner Eisenbahngesellschaft gründeten. Sie standen praktisch alle auch mit einem Bein in den Gründungsstuben der Leipziger Bank und der ADCA (Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt).

In der Gründerzeit ab 1871 dann kam es zu einem regelrechten Bau-Boom der Banken in Leipzig. Der berühmteste Bau ist das Bankgebäude der Deutschen Bank, das noch von der Leipziger Bank auf dem Ostzipfel des alten Pleißenburg-Geländes begonnen wurde. Die Leipziger Bank legte ja dann bekanntlich eine Pleite hin, die das Leipziger Bürgertum so richtig erschütterte. Die Restmasse übernahm die Deutsche Bank, auch wenn sie das Gebäude am Martin-Luther-Ring 1945 verlor, als auf Weisung der Sowjetischen Militäradministration praktisch alle Banken im Osten enteignet wurden. Was damals in Leipzig über 30 aktive Privatbanken betraf. Nach 1990 kaufte die Deutsche Bank das Gebäude am Martin-Luther-Ring zurück und sanierte es zu einem Schmuckstück, an dem nicht nur die äußeren Details wieder schön wurden, sondern auch die präsentable Schalterhalle.

Und da wäre man eigentlich schon mittendrin, denn wenn man mit den drei Autoren anfängt, die Bankgebäude nicht nur auf ihre historisierende Verschnörkelung hin zu betrachten, sondern auch auf die bewusste Gestaltung der Inneneinrichtung – der Schalterhallen, Tresorräume, Chefetagen, dann entsteht ein neuer Blickwinkel, dann versetzt man sich ein wenig in die Haltung der ehrwürdigen Inhaber der Bankhäuser zu ihrer Entstehungszeit und gewinnt einen Einblick in ihr Denken und in das Bild, das sie gern vermitteln wollten: Seriösität, Sicherheit, Internationalität, Kaufmannstugenden …

Das spricht sich in Bildelementen aus von diversen Merkur-Gestalten bis hin zu Goldwaagen und wachsamen Eulen, aber auch in der Sprache festungsartiger Mauern, eindrucksvoller Treppenfoyers und palastähnlicher Empfangshallen. Es war ja nicht so, dass der normalsterbliche Leipziger diese pompösen Hallen betrat, der landete eher in der Sparkasse, die in Leipzig aber auch schon seit 1826 zu Hause ist und sich über die Jahrzehnte immer mehr gemausert hat von einem Institut für die Groschensparer hin zu einem Hochhausbewohner.

Viele Bankgebäude in der Innenstadt erkennt man erst, wenn man mit den Autoren lernt, auf die Details zu achten – wie beim Concentra-Haus an der Petersstraße oder nahebei der Leipziger Wechselstube von Hoffmann & Co. Die Nutzung ist heute fast immer eine andere. Wo früher ehrwürdige Kaufleute ein- und ausgingen, wird heute “geshoppt”. Andere Bankgebäude sind noch heute in Nutzung und lassen beim Betreten durchaus die ursprüngliche Atmosphäre spüren – wie das Bankgebäude der Dresdner Bank an der Goethestraße, in dem heute die Commerzbank sitzt, oder gleich benachbart das Krochhaus – dort ist in den ehemaligen Schalterräumen das Ägyptische Museum untergekommen. Im Gebäude der Musikschule “Johann Sebastian Bach” saß einst die Reichsbank, eine von fünf Banken, die sich in der Schillerstraße einst auffädelten wie Perlen an einer Schnur.

Aber um ins Thema hineinzukommen, erzählen die drei Historiker nicht nur die Leipziger Bankgeschichte, sondern ordnen sie auch in die sächsische und deutschlandweite Entwicklung ein. Immerhin ging es um 1900 durchaus auch um die Frage, ob auch sächsische Banken die Kraft finden würden, zur deutschen Großbank zu werden. Die ADCA und die Leipziger Bank scheiterten daran. Die in Dresden gegründete Dresdner Bank schaffte es – bis sie sich ja bekanntlich auf dem us-amerikanischen Investment-Markt völlig verhob. Die Neuzeit war selbst für die Großen eine turbulente Zeit. In Leipzig auch eine sehr flotte – mit Bankcontainern gleich 1990 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz, mit denen die aus dem Westen zurückkehrenden Banken schon einmal wieder Flagge zeigten. Und mit großartigen Sanierungsaktionen. Eine davon war ja die denkmalsgerechte Aufhübschung des alten Kaufhauses “Topas” am Thomaskirchhof zu einem neuen Banksitz durch die Commerzbank. Commerzbank und Dresdner Bank bauten auch gleich noch neue Gebäude am Ring.

Ein kleiner Stadtplan zeigt, wie sich die Banken einst drängten – nicht nur in der Schillerstraße, sondern auch in der Klostergasse und der Katharinenstraße. Zu jedem Gebäude gibt es – je nach Stofffülle – ein mal längeres, mal kürzes Porträt mit eindrucksvollen Fotos von Peter Franke. Man kann das Büchlein also schnappen und losziehen und sich Leipzig mal reineweg von der Geldseite angucken. Und dabei den Kopf wiegen und sich fragen: Wird’s wieder? Oder bleibt Leipzig nun in der zweiten Reihe? – Zumindest scheint noch immer zu gelten, dass Leipzig im Osten der wichtigste Finanzplatz nach Berlin ist. Vielleicht kommen ja noch ein paar Kaufleute rum, die dabei helfen, die Stadt wieder auf Augenhöhe zu bringen. Mit Frankfurt zum Beispiel. Das kann man auch ohne den Wald von Hochhäusern schaffen.

Ulrike Zimmert, Andreas Graul “Banken in Leipzig. Vom Barock bis zur Moderne, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015, 14,95 Euro

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar