Der große Bildband zum Weimarer Starfotografen der Jahrhundertwende Louis Held erschien 2008 im Lehmstedt Verlag. Wer ihn nicht mehr findet, kann die Bildwelt des Mannes, der um 1900 in Weimar mit großer, sperriger Plattenkamera versuchte, modern zu fortografieren, jetzt in zwei kleinen Pocket-Varianten erkunden. Waren im ersten Weimar-Pocket die Berühmten und Wichtigen aus Weimars Silbernem Zeitalter zu finden, kommt hier das emsige Volk ins Bild.
Was unbedingt etwas Besonderes ist, denn in vielen seiner Bilder aus dem Weimarer Alltagsleben zwischen 1894 und 1919 nahm Louis Held (dessen Fotostudio noch heute in Weimar eine Adresse ist) die große Reportage- und Dokumentarfotografie der 1920-er/1930-er Jahre vorweg, eine Zeit, in der die Kameras längst handlich und transportabel waren und der Film begann, die schweren Glasplatten abzulösen. Held versuchte schon, das ganze quirlige Leben auf Weimars Straßen einzufangen, als die meisten Kollegen seines Faches noch gemütliche Architekturfotografie praktizierten und Menschen fast nur im Studio ablichteten, wo sie alle schön still halten konnten und auch die Kulisse nicht wackelte.
Das Ergebnis ist ein kleiner Bilderschatz, der Weimar in der Zeit des Umbruchs zeigt. Denn natürlich kam auch die Moderne in die kleine alte Klassikerstadt. Und sie kam nicht mit schwerem Gerät, sondern mit Leiterwagen und Schippe. Das sind Bilder, die es so aus Leipzig nicht gibt, obwohl hier auch Fotografen von Format tätig waren. Dazu braucht es den Blick fürs Einmalige und Vergängliche, den Louis Held hatte. Wahrscheinlich lief er jeden Tag mit offenen Augen durch das Städtchen. Das war und ist überschaubar – man merkt, wenn irgendwo was im Gange ist. Und so hat er seine Plattenkamera Huckepack genommen und ist losgezogen: 1910 hat er am Beethovenplatz den Holzfällern zugeschaut, die dort eine Baumreihe niederlegten, 1906 fand er es einfach mal wichtig festzuhalten, wie die Dienstboten und Hausfrauen auf dem Wielandplatz Schlange stehen beim Wasserholen. Mehrfach fing er das Markttreiben vorm Rathaus und vorm Fürstenhaus ein, den Zwiebelmarkt in der Schillerstraße ebenso. 1890 lichtete er die Bauarbeiter ab, die den Abwasserkanal am Burgplatz bauten, 1895 einen typischen Umzugswagen – natürlich ist es ein hochbepackter Leiterwagen mit Pferden davor. Und 1899 war er live mit dabei, als am Wielandplatz die Leitungen für die Weimarer Straßenbahn gespannt wurden.
Man sieht das ganze “lange 19. Jahrhundert” nicht nur in seiner Pracht, sondern auch in seiner alten Logistik, die eben noch vom Pferd dominiert war, auch wenn die Radfahrerkompanie sich schon stolz hoch zu Drahtresel präsentiert und 1905 ein Autokorso blumengeschmückt durch die Stadt trötet: Das Automobil ist noch das noble Gefährt einer zahlungskräftigen Klientel, aber das neue Zeitalter kündigt sich an. Da ist Eile gefragt, die Überbleibsel des alten noch festzuhalten – so wie die älteren Herren beim (Armbrust-)Schützenfest oder die Reisigträgerinnen am Weg. Ist das nun inszeniert – oder hat der Fotograf hier einfach nur an der richtigen Stelle mit der nötigen Geduld gewartet, wohl wissend, dass es solche – auch damals schon als romantisch empfundene – Bilder bald nicht mehr geben würe? Davon erzählen ja auch seine Fotos vom Heimatfest im Hopfgarten, wo die Darsteller sich in die volkstümlichen Kostüme einer gar nicht so fernen Vergangenheit geworfen haben.
Noch ist Trubel auf dem Buttstädter Pferdemarkt. Und Zigeunerwagen gehören zum Alltagsbild Weimars. Noch, muss man sagen, denn noch deutet sich nichts von den Katastrophen an, mit denen das 20. Jahrhundert sich endlich Raum verschaffen würde. Die Auswahl ergibt ein kleines Büchlein für Weimarliebhaber, die dann und wann einen neugierigen Blick durchs Schlüsselloch tun wollen in eine Zeit des fast noch behäbigen Übergangs, der schon bald zu knatterndem Tempo werden würde.
Louis Held “Alltag im alten Weimar“, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 9,95 Euro
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