Seit Jahren verfolgt Tanner das Treiben und Veröffentlichen im Engelsdorfer Verlag und rund um den Chef Tino Hemmann. Da dieser nun mit "2136" das wahrscheinlich wichtigste Buch der ersten vier Monate dieses Jahres vorgelegt hat, hakte Tanner nach: Was kann SF, was muss SF? Und warum kritteln "seriöse" Meinungsmacher an Tino und seiner Arbeit herum.
Hallo Tino – mit Deinem SF-Roman “2136” hast Du – wenn ich das richtig gezählt habe – Dein 24tes! Buch auf dem Markt. Wie kommt es, dass über jeden Jungspund gefühlt mehr Artikel als über Dich erscheinen? Was glaubst Du?
Mein größtes Problem ist wahrlich, dass so ein Tag nur 24 Stunden hat, die ich natürlich in erster Linie meinen Autoren und nicht meiner Person widme. Unstolz bin ich trotzdem nicht. Einerseits habe ich von rund 200 Zeitungsbeiträgen über meine Bücher erfahren, einige sogar in Hochglanzillustrierten; Deutschlandradio Kultur lobte eines meiner Kinderbücher und der MDR war mal bei mir im Verlag. Andererseits ist es problematisch als Eigenverleger mit recht unpopulären Themen die Gazetten zu erobern. Ich schreibe nicht gern über das, was die Masse lesen will und kann, eher über das, was die Masse lesen sollte. Nicht ganz außer Acht lassen sollte man zudem, dass ich gern die Nähe zu meinen Lesern suche und einstweilen auf fast 300 Lesungen in der ganzen Republik verteilt zurückschaue.
“2136” ist echt ein dystopisches, unser Heute ins Ãœbermorgen gedachtes und konsequentes Werk. Ich bin wirklich begeistert. Hast Du Angst, dass alles so wird? SF-Autoren – und da möchte ich Dich jetzt wirklich in eine Reihe mit den Großen, mit Wells, Bradbury und Stapledon stellen – sind oft Mahner. Wie ist das Desaster zu verhindern?
Ja, Du hast völlig Recht. Es ist Furcht und Mahnung zugleich. Und ein bisschen Zuversicht. Den Rumpf von “2136” habe ich vor über zehn Jahren geschrieben, nun war die Zeit reif, das Buch zu beenden, denn sämtliche Zeichen stehen günstig, dass (wenigstens) einige Ereignisse eintreffen könnten, die Voraussetzung für die Handlungen im Buch wären. “Günstig” ist negativ zu sehen. Der unschöne Slogan zum Buch ist: “Die Politik von heute ist der Krieg von morgen!” – das sagt einiges aus. Die Medien – ob nun ferngesteuert oder nicht – beeinflussen diese Entwicklung erheblich. Feindbilder werden in die Rüben eingehämmert, große Nationen in enge Ecken gedrängt, das Waffengeschäft läuft allseits prima und Humanismus wird mehr und mehr zum Fremdwort. Gerade im letztgenannten Fakt liegt meines Erachtens die Möglichkeit, das Gespinst zu vertreiben, über das ich geschrieben habe: einen nicht enden wollenden Dritten Weltkrieg. Humanismus! Allerdings befürchte ich fast, dass die Menschheit angesichts wirtschaftspolitischer und globaler Interessen, nicht dazu in der Lage sein wird, die Kriegsherde einzudämmen, die sich rasch zu einem weltweiten Brand entwickeln könnten.
Neben Deiner Schriftsteller-Tätigkeit bist Du auch Chef des Engelsdorfer Verlags – und damit für viele Autoren, die nicht in die Passform des Literaturmarktes hineinpassen oder passen wollen, eine der wenigen Veröffentlichungsmöglichkeiten. Die “seriösen” Verlage mosern natürlich über Dich. Wie gehst Du mit der Kritik um, einem “Druckkostenzuschussverlag” vorzustehen?
Ein leidiges Thema. Ich beschreibe uns als Alternativverlag. Zweifellos, es gibt diese DKZ-Absahner, mit denen ich aber nicht verglichen sein will, die ihre Marktberechtigung haben, solange Leute hingehen. Dann gibt es die großen Medienkartelle, die noch immer als “seriöse” Verlage bezeichnet werden, m. E. aber ebenso wenig damit zu tun haben. Ich veröffentliche in meinem Leipziger Verlag ausgewählte Literatur fast aller Genres und ein paar wenige Titel davon halten uns am Leben. Für jedes ankommende Manuskript gibt es von mir immer eine Antwort – niemals aber Schönmalerei. Das unterscheidet meinen Verlag von denen anderer. Das frisst Zeit, ist aber vielleicht seriöser als Schönmalerei oder Schweigen im Wald. Wir haben ein Lektorat, Verträge mit allen großen Zwischen- und Internethändlern, mieten jedoch keine Buchregale im stationären Handel, haben jeden Titel im Lager und produzieren bedarfsgerecht und doch in immer besserer Qualität. Vielleicht sind wir ja ein Verlag der Zukunft? Neues hat es immer etwas schwerer.
Deine letzte ersichtliche Zahl über die Veröffentlichungen im Verlag ist von 2013 – sag mal bitte wie der derzeitige Stand ist, wie viele Büchertitel, wie viele Autoren aus wie vielen Ländern und welche Highlights da so dabei waren.
Im Moment sind rein statistisch rund 2.200 Titel lieferbar, die kommen von 1.600 Autoren aus 26 Nationen. Glanzpunkte sind regionale Themen, wie Peter Nimschs Roman “Lust und Liebe dann kam das Leben”, der bereits mehrmals als Show in Leipzig aufgeführt wurde, die Leipziger-Wasserbücher von Peter Friedrich; Kinderbücher vom Österreicher Rainer Osinger, von Gunter Preuß oder Dr. Rolf Vortkamp; es gibt etliche wunderbare Erinnerungen in Romanform (Michael W. Caden: “Das Mädchen mit den Schlittschuhen”; Richard Fuchs: “Gott hat viele Fahrräder”) oder die historischen Romane von Lawrence T. Juarez. Lyrische Schriften haben – wenn auch schwer verkäuflich – einen hohen Stellenwert in meinem Verlag. Wie die des Iraners Dr. Ali Ghazanfari – um nur einige zu nennen.
Zurück zu “2136”. Wo bekommt der interessierte SF-Leser das Buch denn? Die allerletzte Ziegelstein-Space-Opera vom Heyne-Verlag ist ja in allen deutschsprachigen Buchhandlungen am Einreihen. Aber wo gibt’s Dein Buch?
Der Weg in die Buchketten ist schwer und mitunter teuer zu erkaufen. Trotzdem sollte jeder in der Lage sein das Buch zu ordern (ISBN 978-3-95744-582-7). Unabhängig davon gibt’s das Buch bei allen Internetriesen und natürlich direkt beim Verlag (www.engelsdorfer-verlag.de). Wer lieber eine E-Book-Variante liest – die ist auch auf dem Online-Markt erhältlich. Aber beeilt euch, denn 2016 beginnt der Ernst im Buch, bis dahin sollte es gelesen sein. Man weiß ja nie …
Danke, lieber Tino. Ganz zum Schluss bleibt Literatur.
Ich danke Dir ebenso für das erfrischende Gespräch! Und: So ist es. Ganz zum Schluss bleibt Literatur.
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