Ostern, das ist so ein Moment, da denkt der Mensch ans Wandern, ans Wallen und Wandeln. Nur raus aus der Enge von Giebeln und Dächern. Ans Licht. Wer es nicht besser weiß, genießt seine Osterfeiertage wieder im Stau auf der Autobahn. Wer klug ist, sorgt vor und sucht sich rechtzeitig ein Ziel. Kirchen und Kapellen zum Beispiel. Denn warum liebten eigentlich Menschen des Mittelalters die Wallfahrt so?
Nur wegen der schönen Kuppeln, Altäre und Bildnisse am Ende der Reise? Oder der schönen Predigten wegen? Oder doch eher der vielen anderen Wallfahrer wegen, die mit einem unterwegs waren? Nach Trier zum Beispiel zum Grab des Apostels Matthias? Oder zum Heiligen Fridolin nach Säckingen? Manchmal war’s ja auch nur ein schönes Kunstwerk – zumeist ein Gnadenbild von Maria – das am Ziel zu erreichen und zu schauen war. Wunderumwoben, legendenumrankt. 52 heute noch immer lebendige Wallfahrtsorte hat der St. Benno Verlag in diesem wirklich in jede Hemdtasche passenden “Reiseführer Wallfahrtsorte” gepackt, 41 in Deutschland, weitere 11 in Österreich und der Schweiz.
Den Autor des kleinen Kompaktwerkes verrät der Verlag wieder nicht. Obwohl eine Menge Fleiß darin steckt, denn jeder Wallfahrtsort wird nicht nur auf anderthalb Seiten knapp porträtiert, es gibt auch in knapper Form Hinweise zum Hinfinden, zum Anreisen (per Auto und per Zug) und Angaben zur Hauptwallfahrtszeit und zu wichtigen Feiertagen, zu denen am Ziel noch extra was los ist. Denn manche Wallfahrtstermine sind eng mit kirchlichen Festtagen verknüpft, durch Jahreszeiten bedingt oder stehen nur einmal im Jahr im Kalender wie der Sankt-Georgs-Ritt in Ochsenhausen.
Kleine Fotos laden extra ein, das Ziel zu bestaunen. Und der Wanderer hat natürlich die Wahl: teilzuhaben am großen Ereignis unter zuweilen vielen, vielen Menschen, die es genießen, so mit anderen gemeinsam zu feiern. Oder doch lieber die ruhigeren Tage dazwischen zu nutzen. “Raststätten der Seele” heißt das Büchlein im Untertitel. Manchmal braucht das ja wirklich Ruhe. Mal ganz davon zu schweigen, dass einige Wallfahrtsorte im Lauf der Jahrhunderte ihre Attraktion nie eingebüßt haben – auch nicht durch Säkularisierung und Reformation. Es muss ein Grundbedürfnis vieler Menschen sein, an berühmten Orten vielleicht Trost und Heilung zu finden. Viele der Wallfahrtsziele leben von solchen Gründungsmythen. Mal war es ein wundersam gefundenes Marienbild, das zur Gründung einer Kapelle animierte, mal war es die glückliche Heilung eines Kranken, mal beides. Im Mittelalter durchaus zugkräftige Gründe, sich auf die Reise zu machen, denn auf eine gute Krankenversorgung konnten die meisten Menschen nicht hoffen. Sie setzten wohl nur zu berechtigt auf die Hoffnung, dass Glauben, Beten, gemeinsames Reisen zu einem gemeinsamen Ziel vielleicht zur Heilung und zum Trost beitrügen.
Für gläubige Menschen ist das noch heute so. Und etliche der Wallfahrtsorte sind noch heute so berühmt, dass man sie schon beim Hören des Namens mit Wallfahrten in Verbindung bringt – Altötting, Kevelaer, Königssee oder Vallendar. Manche ziehen noch heute jedes Jahr hunderttausende Wallfahrer an – die meisten eher mit Auto und Bus. Nur die letzten Meter werden zumeist gelaufen. Aber einige Wallfahrten erfordern schon ein bisschen Wanderlust. Manchmal wird einfach das Kloster in großer Prozession umrundet, manchmal aber lohnt sich der Aufstieg zum Ziel.
Und weil es so viele Ziele sind, haben die Autoren des Büchleins auch die deutschen Wallfahrtsorte sortiert nach West und Süd (wo es nun einmal aufgrund der ungebrochenen katholischen Tradition die meisten Wallfahrtskirchen gibt), und den protestantischen Norden und Osten in einem eigenen Kapitel. Aber auch dort gibt es acht Wallfahrtsziele, die heute noch oder wieder beliebt sind, sechs davon tatsächlich im Osten. Von denen liegen drei im traditionell katholischen Eichsfeld (Etzelsbach, Klüschen Hagis und Hülfensberg). Die anderen sind das Kloster Helfta in Sachsen-Anhalt, die Wallfahrtskirche Mariä Himmelsfahrt in Neuzelle und “Maria zur Linde” in der sächsischen Lausitz.
Was man auf jeden Fall bekommt, wenn man sich auf die Reise begibt, sind schöne Kirchen, beeindruckende Altäre und oft genug auch wunderschöne Landschaften drumherum. Der kleine Reiseführer erzählt – wo es hineinpasst – auch die kleinen Legenden um die Statuen und Bildnisse, die im Zentrum der Wallfahrten stehen. Manche Termine sind lokale Großereignisse – wie die Leonhardifahrt in Bad Tölz, die Seeprozession auf dem Staffelsee oder der Pfingstritt in Bad Kötzing. Man hat also die Wahl, wenn man seine Reisen und Wanderungen auch einmal mit einer kleinen Wallfahrt krönen möchte. Aber das mit der “Raststätte” sollte man vielleicht doch nicht so betrachten, wie es moderne Autobahnbenutzer zumeist tun. Eher als Einladung zum Innehalten und Wieder-zu-sich-Kommen in einer Zeit, in der das Außer-sich-Sein augenscheinlich der Normalzustand der Seele geworden ist. Vielleicht erleben all diese oft reizvoll gelegenen Kirchen, Klöster und Kapellen gerade deshalb auch eine Renaissance – weil sie ganz klassisch dazu einladen, wieder Erdhaftung zu gewinnen und sich mit der eigenen Beziehung zum Leben zu beschäftigen.
“Reiseführer Wallfahrtsorte. Raststätten für die Seele“, St. Benno Verlag, Leipzig 2015, 9,95 Euro
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