Kann das sein? Hatte Familie Bach Geheimnisse? Der Titel jedenfalls assoziiert es. Und wahrscheinlich warten auch schon viele, viele Liebhaber des "Da Vinci Code" auf einen vergleichbaren Thriller zu Johann Sebastian Bach. Denn eines seiner Geheimnisse, das für Bach-Kenner ja eigentlich keines ist, ist seine Liebe zur Mathematik.
Die gehört zum Erbe der großen Thüringer Bach-Familie wie die musikalische Begabung. Eigentlich ist beides untrennbar. Denn so lebendig und lebensnah uns heute die barocke Musik erscheint, so streng sind die ihr zugrunde liegenden Kompositionsweisen, manche mit regelrechter mathematischer Finesse komponiert. Nur: Man hört’s nicht raus. Es sei denn, man begreift, wie eng verknüpft unser Empfinden mit mathematisch klaren Harmonien in Verbindung ist.
Einer wie Johann Sebastian hat’s gewusst. Und die vielen musikalischen Vertreter der Familie Bach, die vor allem im Raum Erfurt wirksam wurden, wohl auch. Das war Handwerkszeug. Und es begründet, warum so viele Bachs zu Organisten, Hofmusikern und Kantoren wurden – und oft so begehrt waren selbst an den Fürstenhöfen der Zeit, dass der blanke Neid bei den Kollegen ausbrach.
Zu den kleinen Geheimnissen der Familie Bach gehört wohl auch die Herkunft des Namens Bach, der wohl mehr mit dem Backhandwerk zu tun hat als mit den emsigen Thüringer Gebirgsflüsschen. Und Rätsel ist für die Nachwelt auch, warum es bis zu Johann Sebastian Bach so viele erfolgreiche Bachs gab, mit ihm den Gipfel und mit seinen Söhnen dann noch einmal ein Feuerwerk. Und dann?
Ist das wirklich eine genealogische Frage? Oder eine unserer fokussierten Sichtweise? Und hat das was mit Kinderkriegen zu tun und dem oft frühen Tod der Mütter und Väter?
Oder mit dem unverwechselbaren Familienzusammenhalt, der auch den Letztgeborenen noch eine Chance gab, in behüteten Verhältnissen aufzuwachsen?
Natürlich ist das auch die spezielle Leipziger Sicht auf das Genie. Denn eins macht Hagen Kunzes Buch ja deutlich: Wie sehr unsere Sicht auf den berühmten Thomaskantor auch den Blick auf die ganze Bachfamilie beeinflusst. Dass die überhaupt präsent ist in den Forschungen der Neuzeit, hat auch wieder mit Johann Sebastian zu tun – nicht nur mit den (Leipziger) Forschungen zu seiner Familie, sondern auch damit, dass er selbst den Stammbaum der Bach-Familie aufschrieb. Für einen Bürgerlichen und Musiker auch fürs 18. Jahrhundert eher ungewöhnlich. Das kannte man bis dahin eher von Adligen, die damit auch ihre richtige Geburt und ihren Stand manifestierten. Für den Leipziger Thomaskantor, der mit seinen Kompositionen ja deutlich mehr wollte als das, was sich der Leipziger Rat erwartete, war es auch eine Selbstvergewisserung. Eine Verortung in einer großen, prägenden musikalischen Familie.
Über die spätere Kommentatoren augenscheinlich auch so manches Vorurteil verbreiteten, weil sie nicht genau hinschauten und nicht einzuordnen wussten. Gewissermaßen mussten all die von Bach verzeichneten Onkel, Väter, Brüder erst wiederentdeckt werden. Zum Glück gibt es da und dort noch Archive, die auch ihre musikalischen Zeugnisse bewahrten. Lebensschicksale müssen da oft akribisch rekonstruiert werden. Und wer die Sitten und Möglichkeiten der Zeit nicht kennt, schafft in der Regel erst die Rätsel und “Geheimnisse”, mit denen sich die Bach-Forschung in neuerer Zeit konsequenter beschäftigt.
Bis hin zu den mit herrlicher Stimme begabten Bach-Frauen. Ja, suchte der Bursche sich seine Frauen vielleicht gar nach Gehör aus? Sollte man das als Normalsterblicher vielleicht auch so machen, um glücklich zu werden?
So sind es eigentlich lauter lebendige und freundliche kleine Anekdoten, in denen Hagen Kunze hier die Welt beleuchtet, aus der der kleine Johann Sebastian kam und in der er später wirkte, haderte und wohl auch manchmal am Verzweifeln war. Lauter kleine, zumeist eher nur den Liebhabern bekannte Geschichten, die zeigen, dass all diese Bachs erst einmal “nur” lauter lebendige Menschen waren, mit Familiensinn, aber auch mit einer gewaltigen Portion Eigensinn. Denn das steckt ja in diesem Bach-Familien-Stammbaum zuallererst: ein unübersehbarer Stolz auf eine Familie, die ihr Selbstbewusstsein daraus bezog, Musik in höchster Profession zu beherrschen. Denn Musikhochschulen, wo man dieses Handwerk lernen konnte, gab es ja noch nicht. Man lernte voneinander. Und auch das taten die Bachs gern.
Manche Geheimnisse sind am Ende keine. Und gerade deshalb welche. Was dann natürlich wieder nichts ist für Thriller à la Da-Vinci-Code, die die Geheimnisse in alten Büchern, Bildern und Briefchen suchen, obwohl sie zumeist eher in solchen Dingen wie Fleiß, Neugier, Schaffensfreude und einer Riesenportion Sturheit stecken. Aber wer würde schon die Sturheit preisen in einer Zeit, da Windelweichheit die oberste aller gepriesenen Tugenden ist?
Unübersehbar braucht es immer wieder einen sturen Bach. Oder gleich mehrere. Eine ganze Familie, die auch dann Musike macht, wenn die Konkurrenz sich vor lauter Neid grün und gelb ärgert.
Hagen Kunze “Die Geheimnisse der Familie Bach“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2015, 5 Euro
Keine Kommentare bisher