1.000 Jahre sind rum, seit Thietmar das kleine Nest Libzi in seiner Chronik erwähnte. Da erscheinen ganz folgerichtig Berge über Berge von Büchern zur Leipziger Stadtgeschichte. Manche sind etwas Besonderes. Dieses auch. Der beliebte Kabarettist und Buchautor Gunter Böhnke fängt gar nicht erst beim Urschleim an (Glei heißt der ja bekanntlich), sondern mit sich selbst. So, wie das ein vernünftiger Autor eben macht.
1963 strandete der gebürtige Dresdner in Leipzig. Das hätte schief gehen können. Aber dass er (im schnieken Konfirmationsanzug) gleich bei der Immatrikulation einen Haufen hübscher Mädchen traf, hat Leipzig für ihn gerettet. Die Stadt wurde zu seiner zweiten Liebe und der kleine Gunter zu einem großen Schauspieler im Studententheater und – dann von Jürgen Hart einfach mal abgeworben – zum Academixer. Was trotzdem nicht heißt, dass er den Leipzigern nun seine Lebensgeschichte erzählt. Die kommt am Rande mit vor. Quasi auch als fotografischer Beleg: Hier hat einer wirklich gelebt, geliebt und mitgelitten.
Und weil er damit nicht hinterm Berge hielt und sich auch immer wieder streitlustig in Zeitungen und Magazinen zu Wort meldete, gibt es dafür schriftliche Belege. Die hat der Autor nun aus seinem Archiv gefischt. Zumindest einen Teil davon. Und er hat dazu Fortsetzungen geschrieben, die den neuesten Stand für 2014 zeigen. Aus seiner Sicht. Da ist der Bursche konsequent – und das meint er dann wohl auch mit dem Spiel-Titel “Geliebtes Weltdorf”. Was typisch ist für Leipzigs kleine, namhafte Schar der streitbaren Intellektuellen – dieses lustige Spiel mit Größe und Überschaubarkeit der Stadt, die als Weltstadt oft genug ihre provinziellen Züge feiert. Böhnke zitiert deshalb auch nicht Goethes abgelatschten Spruch, sondern lieber Lessing, der ja bekanntlich auch in Leipzig studiert hat und sich darüber freute, dass man hier “die ganze Welt im Kleinen sehen” konnte. Was Leipzig zu Lessings Zeiten zum Beispiel auch deutlich von Kamenz und Berlin unterschied.
Das ist heute ein bisschen anders, auch wenn die Stadt tapfer über all die Jahre um ihre Weltläufigkeit gerungen hat. Was ist das nun also? Eine Nussschale? Ein Weltnest, ein Weltdorf? Während Leipzigs Marketing in blankgeputzten Superlativen schwelgt, spielen Satiriker wie Böhnke mit dem gelebten Widerspruch. Manchmal recht grimmig, wenn die Zeitumstände geliebte Traditionen zerstören. Fast vergessen hat man den langen Kampf um die Buchhandlung im Mehring-Haus. Jüngere Leipziger kennen weder die Buchhandlung, die in DDR-Zeiten das Flaggschiff der Leipziger Buchhandlungen war, noch das Franz-Mehring-Haus am Augustusplatz. Dem Spaziergang von 1996 lässt Böhnke die Buchhandlungsrunde von 2014 folgen. Die Mehring-Buchhandlung ist weg (dafür hat Böhnke eine neue Lieblingsbuchhandlung in der Karli), und der City-Tunnel ist quasi der Schnellanschluss für Bücherkäufer geworden.
Der Kampf um Leipzigs Gosenschänke hat länger gedauert, begann auch für Böhnke 1983 mit dem Feststellen des Verlustes, dem schon in DDR-Zeiten ein ambitionierter Wirt wie Lothar Goldhahn durch seinen Wiedererweckungsversuch in Gohlis zu begegnen wusste. Manche Geschichte, die mal nach einem Desaster klang, wurde doch noch zum Erfolg. Selbst der Umzug der Leipziger Buchmesse auf die Neue Messe – 1998 von Böhnke noch mit Schrecken kommentiert – 2014 augenscheinlich ein Erfolg. Wie der Mensch sich irren kann.
An anderer Stelle kann er nur feststellen, dass seine Sicht auf die Dinge sich nicht ändern musste. Etwa wenn es um die Umweltbarbaren geht, die auch vor Bäumen nicht halt machen, die schon 80 Jahre vorher am Elstermühlgraben standen. Wenn es um Beton geht, ist Baufreiheit ein Zauberwort.
Und wie ist es mit der Friedlichen Revolution, die ein paar Leute 2014 umbedingt mit der Einweihung eines “Freiheits- und Einheitsdenkmals” feiern wollten? Da geht es Böhnke wie den meisten Leipzigern, die diese Idee für so überflüssig hielten, dass sie nur den Kopf schüttelten. Denn seit 1999 hat Leipzig ein Denkmal, das alles, wirklich alles zum Thema sagt. Es steht auf dem Nikolaikirchhof und drängt sich – anders als all die pompösen deutschen Nationaldenkmäler (zu solchem auch das Leipziger FUED werden sollte) nicht auf. Es will nicht extra bedeuten. Es ist.
Und so braucht auch Böhnke nicht extra festzustellen, dass es jedes Mal peinlich wird in Leipzig, wenn das Weltdorf versucht, Kapitale zu spielen: Das war Leipzig zum Glück nie. Und das macht seinen Charme aus, seinen Humor und sein Selbstbewusstsein im Schatten all der Großkarierten. Dass Gunter Böhnke seine ganz eigene Sicht hat auf die Dinge, die ihm wichtig sind an Leipzig, das macht den Reiz des Büchleins aus. Hier schreibt einer, was er liebt und was ihn stört und warum. Und warum das alles an der zweiten großen Liebe nichts ändert.
Gunter Böhnke “Mein Leipzig. Geliebtes Weltdorf“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2015, 5 Euro
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