Wir wollen unseren Kaiser wiederhaben! Oder doch nicht? Vielleicht doch nur den einen oder anderen? Friedrich II. zum Beispiel. Jan Kuhlbrodt geht in seinem "Kaiseralbum" ganz weit zurück in der Geschichte und schnappt sich ausgerechnet den einen Kaiser, der alles ganz anders gemacht hat.
Vor allem das mit den Kriegen und den Kriegern. Dafür hat ihn sogar der Papst verdammt. Friedliche Kaiser genießen auch bei Päpsten keine Achtung. Bei anderen Politikern auch eher selten. Und auch nicht in der Presse. Die Raufbolde, Schlagetots und Massenmörder – die werden gefeiert. Die werden in allen Portalen rauf und runter genuddelt, wie Weltstars behandelt und zumeist klingt auch die selige Anbetung der Untertanen mit an, denen nichts fürstlicher vorkommt als ein paar Lederstiefel und die Abgebrühtheit eines Tyrannen.
Friedrich II. aus dem Geschlecht der Staufer war anders, verhandelte lieber und suchte politische Lösungen auch mit den Andersgläubigen im Kompromiss, im Abkommen. Der Mann ist selten geblieben, was den Typus angeht. Besonders faszinierte Kuhlbrodt an ihm sein tierischer Anhang, mit dem er durch Deutschland und Italien zog. Denn eine Haupt- oder Residenzstadt hatte er ja noch nicht. Um präsent zu sein in seinem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zog er von Burg zu Burg, von Pfalz zu Pfalz – und im Tross hatte er nicht nur die üblichen Nutztiere, sondern einen ganzen Zoo exotischer Tiere, die mitverköstigt werden mussten.
Ihm hat Kuhlbrodt den ersten Teil seines “Kaiseralbums” gewidmet, oder doch eher seinen Tieren: Stupor Mundi. Choräle und Kantaten.
Christlich wird’s trotzdem nicht, es sei denn, man öffnet sich der Weltsicht dieses Friedrich II., der den schaumspritzenden Papst auch erzürnte, weil er nicht bereit war, nur des anderen Glaubens wegen, den Gegner niederzumetzeln. Man ahnt schon, warum Jan Kuhlbrodt gerade diesen Kaiser aus dem Vergessen holt und ins Zentrum seiner Gesänge vom Leben stellt. Auch als Gegenpol gegen den berühmten Großvater, Barbarossa, der sich genauso von Papst & Co. zum Kreuzzug ins Heilige Land treiben ließ, aber schon beim Zug dort hin in einem Fluss elendig ersoff und verloren ging. So verloren, dass er für die Deutschen zum heimlichen ewigen Kaiser wurde, der seinen Platz im Kyffhäuser fand. Bereit, aufzuwachen und mit seinen Kriegern loszupreschen, wenn eines Tages die Raben nicht mehr um den Berg kreisen. Schon Heine war froh, dass die Raben noch kreisten und der alte Rotbart ordentlich schlief.
Da haben die beiden Dichter, der alte und der lebende, wohl beide dasselbe Gefühl: Dass in diesem Hoffen auf den großen Retter aus dem Berge die dümmsten Hoffnungen der Deutschen schlummern, all ihre untertänige Erwartungshaltung, ein großer Führer möge kommen und sie aus dem Schlamassel führen. Das ist halt nicht nur mittelalterlich und Aberglaube. Das ist moderne Medienseligkeit. Fixiert auf die großen, gottbegnadeten Männer, die die Richtung angeben – und alle latschen hinterher.
So ganz zu Ende ging ja bekanntlich die Reise Friedrichs II. nie. Er blieb ein Unvollendeter, erst recht in seinen Nachkommen. Er steht auch als leuchtender Weltenkaiser am Beginn der großen deutschen Prügelei, in der sich die großen und kleinen Fürstengeschlechter hernach um den Kaiserthron balgten und Deutschland auf Jahrhunderte in ein kleinflickiges Zwergenland verwandelten.
Aber es sind ja keine Balladen, die Kuhlbrodt hier geschrieben hat – auch wenn er sich modern und spielerisch der strengen dichterischen Form bedient. Kantate nennt er die Form von Kapitel 2, dem “Kaiserpanorama”, in dem er sich einmal so richtig über Art und Unart des politischen Liedes auslässt. Da bekommen nicht nur die Marsch- und Arbeiter- und Kampflieder ihr Fett weg, sondern auch der ein oder andere Dichter und Philosoph – wie der Herr Brecht.
Der Gedichtband selbst ist ja schon ungewöhnlich genug, aber einen so reich mit Fußnoten gespickten hat bestimmt noch keiner geschrieben. Die Fußnoten selbst sind eine eigene launige Auseinandersetzung mit allerlei Philosophen, aber auch ganz alltäglichen Plattitüden, über die der gewöhnliche Zeitgenosse schon nicht mehr stolpert, obwohl er das sollte, weil da der Irrsinn drin steckt. Auch der Leipziger, den Kuhlbrodt mehrfach zitiert – etwa den schizophrenen Glanz auf dem Wort Bürgerstadt (Was kommt eigentlich nach dem Bürger?) oder der geradezu irrwitzigen Frage nach der (politischen) Mitte, die er in “Kaiserreise” durchdichtet und wozu er die wohl berechtigte Frage stellt: Ist nicht ein Kaiser die natürliche Mitte einer Gesellschaft, weil alles sich auf ihn bezieht? Und nur auf ihn?
Kuhlbrodt formuliert es nicht, aber es ist logisch: Wie eitel müssen Jene sein, die in einer Demokratie glauben, die Mitte sein zu müssen?
Was kein schöner Ort ist. Kuhlbrodt hat (vielleicht nicht nur für diesen Gedichtband) ganze Berge von Literatur verschlungen, auch zum Mittelalter. Und der Kaiser war ganz gewiss nie der Glücklichste in seinem Reich, denn wer für Alle alles sein muss, der hat ein ganz simples psychologisches Problem: denn in der Mitte bleibt dann nur die Leere, der Hallraum. Denn was angebetet wird, ist keine Person mehr, sondern die Projektion der Erwartungen.
Und die kann man aufladen mit Glanz, Bombast und Seligkeit. Mit Games of Thrones. Es geht um ein Nichts, weil es scheinbar um alles geht. “Fehlen der Demokratie die Mausoleen?”, fragt Kuhlbrodt. Und kommt zwangsläufig auf die kaiserlichen Kriege zu sprechen (“Über Veronkelung”) und bleibt auch nicht bei den deutschen (preußischen) Säbelrasslern wie Wilhelm Zwo, sondern zitiert die Schlagedreins aus dem alten Rom und den blutigen Napoleon. Und er lässt auch die blutbefleckten Kaiser der Neuzeit nicht weg, allen voran den “kommunistischen Kaiser” Stalin, der noch als lebendiger Leichnam seine Untertanen in Angst und Schrecken versetzte. “Abdankungskantate” nennt Kuhlbrodt dieses eigentliche Finale seiner “Kaiserkantate”.
Was folgt, hat mit Kaisern dann nichts mehr zu tun, war aber wohl schon lange überfällig, endlich mal in Buchform zu erscheinen. Ein stimmungsvolles “Requiem an Rom” folgt (das eigentlich ein lyrischer Versuch ist, die unbändige Unbedingtheit der früh verstorbenen Beatrix Haustein zu begreifen), und etwas, was man durchaus in der kollegialen Nähe zu Walt Whitman sehen könnte: “At Chemnitz”, eine Art großer kleiner Gesang auf Kuhlbrodts zerschundene, steinerne Geburtsstadt in der Mitte des ostdeutschen Südens. Eine kleine Hommage an Frankfurt folgt und – quasi als Dessert – noch zehn kleine Mini-Hommages an Leipzig, die Stadt, in der der Dichter nun schon so lange wohnt, dass er sich schon wieder fremd drin fühlen kann, weil das Leipzig von eben noch jetzt schon wieder ganz anders aussieht, renoviert und frisch geflutet. Man erkennt’s nicht wieder. Und streitet sich mit seinem Alter Ego, das bei Kuhlbrodt Stötzer heißt, der durchaus ein ambivalentes Verhältnis zu diesem umgekrempelten Leipzig hat, das er durchaus bereit ist, auch Freundschaft zu nennen. Was eine Menge ist, wenn man bedenkt, wie angemalt und neu vergipst diese einst so rußige Stadt mal war.
Was hat das noch mit Kaisern zu tun? Zum Glück derzeit gar nichts.
Jan Kuhlbrodt “Kaiseralbum“, Verlagshaus J. Frank, Berlin 2015, 13,90 Euro
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