Eduard Werner gibt es tatsächlich. Da staunt der Leser. Prof. Dr. Eduard Werner ist Direktor des Instituts für Sorabistik an der Universität Leipzig. "Sorbe mit Migrationshintergrund", betont der Verlag Reinecke & Voß in seiner Kurzbiografie des Mannes, der für dieses Bändchen offiziell als Herausgeber fungiert. Aber wer ist Traugott Xaverius Unruh?
Darüber grübelt auch Werner in seinen “Anmerkungen zum Text”, der eigentlich nur Fragment ist, Rest einer Schrift, die 1784 erschienen sein soll und dann von seinen Urenkeln 100 Jahre später noch einmal in Druck gegeben wurde. Damit diese höchst wichtige Schrift ja nicht vergessen wird. Da sind also zwei Büchlein aus dem Verlag Reinecke & Voß auf fruchtbaren Boden gefallen. Ganz hinten im Buch ist sinnigerweise auch noch die Werbung für beide zu finden – beides hübsche filigrane Parodien von Jürgen Buchmann auf die frühe, heute so skurril anmutende Sprachforschung des 18. Jahrhunderts, die oft eher einem Stochern im Nebel und einem Jonglieren mit angelesener Weisheit aus dritter und vierter Hand ähnelt. Aber Jeder fängt mal klein an. Und eigentlich alle ernsthaften Wissenschaften fingen mal im grauen Grenzgebiet zwischen Mystizismus und strenger Klassizifierung an.
So betrachtet sind Buchmanns hübsche Ausflüge in die “Sprache der Elfen des Exter-Thals” und in die Welt der Wenden (“Encheirodion Vandalicum”) natürlich neben der humorvollen Spielerei auch kleine Hommages an die armen Gelehrten und Pastoren, die vor 300 Jahren mal damit anfingen, irgendeine Art Struktur in einige der exzentrischen Forschungsgebiete zu bringen.
Warum nicht auch einen mutmaßlichen Pfarrer entdecken in einer großen Bibliothek, der vielleicht irgendwo da bei Bautzen oder Görlitz seine Schäflein hütete und nebenbei dem Forscherdrang nachging, wie er seinerzeit in vielen Pfarreien zu Hause war? Belesen waren diese Leute ja, sie beherrschten auch ihr Latein, oft genug auch Griechisch und Hebräisch, konnten also auch die Klassiker im Original lesen, wenn ihnen danach war. Und da sie meist auch die verfügbaren Zeitschriften der gelehrten Welt lasen, ist gut vorstellbar, wie ein fleißiger Pfarrer Unruh sich hinsetzt und versucht, die Vorgeschichte des sonderbaren Volkes der Sorben zu erkunden, Sorberwenden in seiner Schreibweise.
Dabei versucht sich der gelehrte Mann tatsächlich in der vergleichenden Sprachwissenschaft. Man muss ja die Herkunft eines Volkes eigentlich herausbekommen, wenn man verwandte Sprachen findet. Und da Unruh ja nun einmal ein tiefgelehrter Mann des Wortes ist, verortet er den ganz frühen Ursprung der Sorben dort, wo alle Völker nach der Bibel ihren Ursprung haben: beim Turmbau zu Babel, von wo aus es die Sorben irgendwie nach Japan verschlagen haben muss. Denn einige japanische Worte haben, wenn man sich mit der Herleitung ein bisschen mehr Mühe gibt als sonst, eindeutig eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Sorbischen. Und dieser Unruh wäre kein ernsthafter Tüftler, wenn er nicht auch fertig bekäme, den Weg nachzuzeichnen, den die japanischen Sorben bis in die sächsische Lausitz genommen haben müssen. Dass sie dabei allerlei Erinnerungsstätten mit gepflanzten Eichen in Indien, Dubai und Österreich hinterließen, ist ja hinlänglich bekannt. Aber wie haben sie es geschafft, von den japanischen Inseln wieder aufs asiatische Festland zu kommen?
Nicht unbedingt ein Rätsel. Denn wer in den Spreewald fährt, sieht die Sorben dort ja elegant und souverän mit hochseetauglichen Kähnen durch die Kanäle schippern. Das wäre die eine Möglichkeit. Die andere würde sich auf dem Luftweg ergeben, denn wer sagt denn, dass die Brüder Montgolfier die ersten waren, die just im Jahr 1783 einen wirklich flugtauglichen Heißluftballon zum Fliegen brachten? Deutet nicht die hohe Kunst der Ostereierbemalung in der Lausitz darauf hin, dass die Sorben die Flugkunst per Ballon schon Jahrhunderte vor den Franzosen beherrschten? Und wohlweislich als Geheimnis hüteten?
Der Leser hat also ein kleines, auch sinnliches Vergnügen mit diesem kleinen Fragment, bei dem auch die Erfindung des Schachspiels nicht zu kurz kommt, die ja nun einmal eine Idee der einst in ganz Ost- und Mitteldeutschland siedelnden Wenden war, was ja das noch heute existierende Schachdorf Ströbeck beweist. Und dass sie mit den Walisern aufs Engste verwandt sein müssen, das hat ja nun schon Jürgen Buchmann bewiesen. Oder haben Prof. Buchmann und Prof. Werner sich heimlich zu einem Gespräch unter Kundigen im schönen Görlitz getroffen und beraten, wie sie die Welt mit weiteren Entdeckungen aus der Welt der unglaublichen Bibliotheken bereichern können? Oder wollte Prof. Werner seinem Kollegen nur einen freundlichen Gruß senden – so quasi von Ostsorabia nach Westwalisia? Ein Augenzwinkern unter belesenen Kollegen, die stets ihre innigen Vergnügen hatten, wenn sie mal wieder ein gelehrtes Kompendium aus dem gelehrten 18. Jahrhundert in die Hände bekamen von hochberühmten Doktores und Professores, nach denen heute noch bedeutende Hauptstraßen in allerlei Universitätsstädtchen benannt sind?
Der Leser darf raten und sich ruhig vorstellen, welche Wendungen so eine Geschichte um den geheimnisvollen Traugott Xaverius Unruh noch nehmen könnte, wenn man sich diesen Polyglott vorstellt bei der emsigen Forschung in seinem Kämmerlein irgendwo in Görlitz oder Bautzen oder (wenn er Pech hatte) einem kleinen Dorf irgendwo Richtung Spree oder Neiße, weitab von jeder ordentlichen Bibliothek, Abend für Abend auf der Suche nach der Herkunft dieser Sorben. Vielleicht auch noch in Korrespondenz mit den weit berühmten Akademien Europas. Und am Ende glücklich über die lückenlose Beweiskette, die Japan mit dem Spreewald verbindet.
Die kleine Bibliothek der kleinen wissenschaftlichen Mythologien im Verlag Reinecke & Voß wächst. Und wenn Prof. Werner Glück hat, legt Prof. Dr. Dr. Buchmann nach und beweist, dass die Sorben nicht von den Japanern abstammen, sondern die Japaner von den Sorben. Am Ende kommt’s nur auf die Windrichtung an.
Traugott Xaverius Unruh “Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen“, Erduard Werner (Hg.), Verlag Reinecke & Voß, Leipzig 2015, 10 Euro
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