Das frühe 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert zwischen Depression und heilloser Euphorie. Ganze Gesellschaften scheinen aus dem Lot, die Aggressionen nehmen zu und zornesrote Kommentatoren schreiben das gern mal dem Triumphzug der Aufklärung zu. Braucht diese Zeit eine neue Spiritualität, könnten die Klöster und Orden wieder ein Bedürfnis erfüllen, das lange nicht so groß war wie heute?

Sven Schlebes hat sich das Thema mal zu einer kleinen Recherche-Aufgabe gemacht. Für das Katholische Magazin “Theo” hat er einmal versucht, die wichtigsten Ordensgemeinschaften Europas zu porträtieren. Dieses Buch versammelt diese Beiträge, angereichert mit vielen stimmungsvollen Bildern, kleinen Übersichten zu spirituellen Besonderheiten, Ordenstrachten, bedeutenden Klöstern und Kontakten.

14 Ordensgemeinschaften hat Schlebes porträtiert – im Buch sind sie fein alphabetisch geordnet. Die berühmtesten kennt eigentlich jeder. Sie gehören seit Jahrhunderten zur europäischen Geschichte – so wie die Augustiner, Benediktiner, Franziskaner und Dominikaner. Viele dieser Orden und einige ihrer wichtigsten Vertreter mischten auch dann und wann in der großen europäischen Politik mit – nicht immer zum Guten, wie auch Schlebes bilanziert. Tatsächlich erlebten auch Dominikaner und Jesuiten früh, wie leicht ein gläubiger Fundamentalismus dazu führen kann, dass eine gut gedachte Sache zum Tribunal entartet. So wie die Dominikaner im Kampf gegen die Katharer zu den unerbittlichsten Verfolgern wurden, zu Hunden des Herrn, wie sie damals genannt wurden: domini canes.

Aber auch als Inquisitoren (Torquemada) oder Schöpfer das fatalen “Hexenhammers” (Heinrich Kramer) sorgten sie lange Zeit für Angst und Schrecken. “Ein Stigma, das den Orden trotz intensiver geschichtlicher Aufarbeitung bis heute verfolgt”, schreibt Schlebes. Dabei hat dieser Orden auch die größten Mystiker hervorgebracht – Meister Eckhart, Thomas von Aquin und Katharina von Siena.

Nach ihnen machten die Jesuiten von sich Reden – und zuweilen gnadenlose Politik im Sinne der Kurie. Dabei stand am Beginn der meisten Ordensgründungen just das Gegenteil: die Abkehr von den Verlockungen der Welt (und der Politik). Meist waren es ehemalige Krieger, Söhne und Töchter aus reichen und adeligen Familien, die am Scheideweg eines Lebens, in dem sie oft genug der Brutalität der Welt begegneten, beschlossen, sich völlig abzuwenden vom trügerischen Glanz von Macht und Reichtum. Sie gingen in die Einöden, gründeten Klöster und Lebensgemeinschaften, die versuchten, das alte Ideal der Armut und der Liebe Christi zu leben. Einige dieser Ordensgemeinschaften wurden sogar bewusst als Gegenentwurf zur ausartenden Pracht- und Prunksucht der Kirche und ihrer Fürsten gegründet, damit oft ganz ähnlich den vielen religiösen Bewegungen des Hochmittelalters – wie eben den Katharern. Die Katharer wurden ja nicht zu Ketzern erklärt, weil sie tatsächlich abtrünnige Lehren verbreiteten, sondern weil sie unter der armen Bevölkerung einen enormen Zulauf hatten. Schon damals steckte die katholische Kirche tief in der Krise, drohte ihre Anhänger zu verlieren. Und viele der neu gegründeten Bettelorden wurden dort aktiv, wo die alte Kirchenhierarchie versagt hatte – auch in der Krankenpflege und der Sorge um die Armen.

Ausgeräumt wurde der Widerspruch nie. Denn auch wenn Ordensgründer wie Franz von Assisi eine nachhaltige Faszination auf die Gläubigen ausübten, änderte die Existenz der Orden nichts an den hierarchischen Problemen der Kirche. Dass es am Ende ein Augustiner-Mönch sein würde, der die alte, einige Kirche sprengen würde, erscheint fast logisch, wenn man all diese kleinen Geschichten der ursprünglichen Ordensgründungen gelesen hat und sich wieder bewusst wird, dass jeder einzelne Ordensgründer im Grunde nichts anderes wollte als eine Reformation, eine Rückbesinnung auf ein wirklich christliches Leben, eingebunden in die bedingungslose Liebe, den Dienst am Nächsten, den Verzicht auf Reichtum und die Abkehr vom ausschweifenden Leben. Und das alles eingebunden in den Kanon Beten und Arbeiten, Ora und Labora.

Da spielten auch ältere Traditionen eine Rolle. Die Bildung von Lebensgemeinschaften in der “Wüste” gehörte ja von Anfang an zum Selbstverständnis der Kirche. Benedikt von Nursia wird für gewöhnlich als der für alle künftigen Jahrhunderte prägende Ordensgründer benannt. Und der Weg in die Stille, die bewusste Abkehr von der Welt, war auch über die Jahrhunderte für Viele eine wichtige Lebensentscheidung – aber auch eine Zuflucht und ein Versuch, dem Ideal Jesu so nahe wie möglich zu kommen. Wenn es tatsächlich das Ideal Jesu war, der ja nun eindeutig nach seiner kontemplativen Zeit in der Wüste bewusst in den Trubel der Welt zurückkehrte und den Massen predigte.

Dennoch verbindet sich auch für heutige Zeitgenossen der Weg ins Kloster in der Regel mit dem Wunsch, wieder ein bewussteres, spirituelles Leben zu führen. Ein Bedürfnis scheint ja da zu sein, denn wie sonst hätte die CD “Chant – Music for Paradise” der Zisterziensermönche von Heiligenkreuz so einen Erfolg haben können? Sven Schlebes beschreibt die Atmosphäre so: “Ähnlich wie in den Zeiten des Hochmittelalters durchrüttelt ein Sturm unsere Art der Wirklichkeitswahrnehmung. Alles wird in Frage gestellt, die Fassade abgeklopft und auf die Basis geschaut. Bis hierher sind wir gekommen. Doch trägt uns die Basis auch in die nächsten fünfhundert Jahre?”

Eine schöne Frage in einer Zeit, in der selbst die hellsichtigsten Politiker augenscheinlich nie weiter als fünf Jahre in die Zukunft zu schauen scheinen. Trauen sie sich nicht? Oder fahren wir tatsächlich nur noch auf kurze Sicht und haben deshalb so viele Entscheidungen eine erschreckend kurze Halbwertszeit?

Kann es sein, dass auch die mehr oder weniger aufgeklärten Europäer der Gegenwart sich eigentlich wieder eine Gesellschaft wünschen, die fähig ist, auf Generationen und Jahrhunderte in die Zukunft zu denken und zu planen? Die gegen das atemlose Hecheln des Schnell-Schnell die Vision einer Gesellschaft setzen möchten, die bereit ist, über das eigene kleine Leben hinauszudenken?

Das fehlt eindeutig.

Für Schlebes ist der Versuch, in Klöstern wieder einen Weg zur Spiritualität zu finden, das Ergebnis seiner Recherche. Angebote gibt es genug. Die Tipps dazu findet man auch im Buch.

Aber ist das wirklich die Antwort? Oder ist es nur ein Teil der Frage? Einer Frage, die den heute Gestressten just da abholt, wo die um sich greifende Vermarktung aller Lebensbereiche keine Freiräume mehr lässt. “Einfach eine Auszeit nehmen”, bietet Schlebes als Tipp. “Kloster auf Zeit”, “Einfach mal Gast sein”.

Dass die Frage mindestens ein Grundbedürfnis anspricht, ist unübersehbar. Eigentlich sind es mehrere. Denn auch den Dienst am Nächsten decken ja viele Ordensgemeinschaften ab – und zwar nicht nur in Klöstern, sondern auch in Laiengemeinschaften. Und immer wieder erwachsen selbst aus der rasenden Neuzeit Bewegungen, die auf neue Art versuchen, das Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft, Vertrauen, Liebe und Spiritualität aufzufangen. Dazu hat Schlebes zum Beispiel die Salesianer und die Gemeinschaft von Taizé porträtiert. Viele Probleme der rasend gewordenen Moderne ähneln tatsächlich denen des Hochmittelalters – viele Problemverweigerungen übrigens auch.

Und wenn Schlebes von einem “Sturm unserer Art der Wirklichkeitswahrnehmung” spricht, muss er ganz zwangsläufig auch die heftigen Diskussionen innerhalb der katholischen Kirche meinen, die durchaus unter einem enormen Wandlungsdruck steht, denn die alten Hierarchien haben eindeutig die Probe auf die moderne Wirklichkeit nicht bestanden. Da wirken logischerweise Klöster selbst innerhalb der Kirche wie Oasen der Ruhe. Die Frage ist nur: Findet man hier die Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit? Oder wenigstens einen Teil?

Das muss dann wohl jeder für sich entscheiden.

Sven SchlebesOra et labora. Die großen Orden. Das Bilderlexikon“, St. Benno Verlag, Leipzig 2015, 14,95 Euro

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