Es ist erstaunlich: Warum ist diese Frau nicht berühmt? Warum reißen sich die Talkmaster nicht um sie? Warum stapeln sich ihre Bücher nicht am Eingang der Buchhandlungen? - Na gut. Das kann ja noch kommen. Das Buch ist ja noch nagelneu. Die Lesetour läuft gerade. Und den Begriff "Sexgöttin" hat "Das Magazin" verwendet, als sich die Kolumnistin dort verabschiedete.

Vielleicht, weil sie wirklich die große Liebe gefunden hat, wie man dort verriet. Kann sein. Man könnte ja Kopfstände machen mit 35 oder so. Was die junge Dame aber ganz bestimmt nicht getan hat: ein Buch darüber zu schreiben, was sie sich so denkt, was die Anderen nun nachts eigentlich anstellen.

Klar, beiläufig kommt das in der Gedankenwelt von Frauen auch vor, erst recht, wenn sie das Gefühl haben, ungeliebt zu sein, einsam, nicht beachtet und auch noch völlig auf Sex-Entzug gesetzt. Und ungeliebt fühlt sich Beate Kruse eigentlich fast immer. Oder sollte man doch lieber sagen: Die junge Dame in ihren kleinen, melancholischen Sexgeschichten, in denen sie aus dem richtigen, schweißtreibenden, anstrengenden, frustrierenden Liebesleben der emanzipierten Großstädterin berichtet? Das diesmal aber eben nicht vom frustrierenden Nicht-Sex berichtet, der reihenweise die Heldinnen in hunderten anderen modernen Großstadtromanen in Verzweiflung und Katastrophen stürzt. Diese Heldin lässt sich nicht entmutigen, sondern geht auf die Jagd. Sie ist hungrig. Sie braucht Sex, sie will Sex und sie holt ihn sich.

Das kennt man sonst eher aus dicken Vielteilern eines großen Verlages. Bei Voland & Quist ist das durchaus ungewohntes Futter. Selbst die begabten Autorinnen, die hier schon mit humorvollen Kurzgeschichten auftraten, waren meist eher frustriert darüber, dass es a) keine vernünftigen Kerle zu geben scheint und b) einfach keinen guten Sex mehr. Beides zusammen noch viel seltener.

Doch Beate Kruse hat sich beim “Magazin” so etwas wie Expertentum erworben. Und das auf offenherzige, schmerzlose Weise. Wer Sex haben will, muss ihn sich holen. Mauerblümchen bekommen keinen Sex. Und Frauen, die sich den ganzen Tag damit beschäftigen, wie ungeliebt, gar nicht schön, unsexy und bedauernswert sie sind, bekommen erst recht keinen.

Aber bekommen die Anderen welchen? Die blonden Natalies, die eher Wartelisten anfertigen für all die Kerle, die mal mit ihnen ausgehen wollen? Gute Frage. Vielleicht schreibt Natalie ja auch mal alles auf.

Aber erst einmal ist Natalie die Bewunderte. Und die Autorin schlägt sich durchs Leben mit immer neuen Abstürzen des eigenen Selbstbildes. Irgendwie kommt einem das doch sehr vertraut vor. Kein Tag, keine Stunde vergeht, dass die junge Dame nicht zweifelt – an sich selbst, ihrer Attraktivität, an ihrer Lockerheit, ihrer Herkunft. Fragen über Fragen purzeln auf den Leser herab: Bin ich langweilig? Bin ich ein Pannenfahrzeug? Bin ich hässlich? Habe ich alles richtig gemacht?

Alles Überschriften der kleinen Texte, die fast alle damit enden, dass sie sich einfach einen Kerl schnappt und mitnimmt zum Sex. Manchmal, sogar recht häufig eigentlich richtig guten. Andere Frauen hätten daraus dicke Romane gemacht, so in der Art “Lady Chatterley und ihre Liebhaber”. Und der Förster wäre dabei nur einer von Vielen und müsste sich auch gefallen lassen, für seine Fähigkeiten beim Liebemachen scharf beäugt, bewertet und vielleicht auch schlecht benotet zu werden. Was nicht heißt, dass er nicht wieder rauf darf zu Lady Chatterley, auch wenn dann ein bisschen Alkohol nachhelfen muss. Aber Sex muss sein. Die junge Dame, die ihr Tagwerk als Korrektorin eines Tiermagazins zubringt, braucht Sex. Sonst ist sie todunglücklich und rauscht regelrecht hinunter in die Tiefen der Selbstzweifel, die sie – glücklicherweise – mit kessem, trockenem Humor unterlegt.

Wenn es im Bett schon kein tolles Erlebnis gibt, dann wird eben der Besuch beim Atemexperten, im Yogakurs oder im Sportstudio zum Ersatz. Sex quasi als Dauerexperiment. Man muss bloß genug Energie aufbringen, ihn zu suchen, wenn er nicht da ist. Oder nicht kommt, wenn man anruft, weil die besten Kumpels ja irgendwie doch selbst mal eigene Freundinnen haben und auch noch Kinder kriegen. Da haben sie nicht mehr so oft Zeit.

Aber wie ist das eigentlich mit dem Reden über Sex? Beate Kruse tut es. 156 Seiten lang und auch noch auf der beigelegten CD. Atemlos, eigentlich ohne Punkt und Komma. Nach dem Sex ist vor dem Sex. Denn ohne Sex gerät das ganze Gefühls-Ich ins Wanken. Fangen die Zweifel wieder an. Diese ganzen ewigen Zweifel, die Männer so schnell als Vorwürfe empfinden: Habe ich alles richtig gemacht? Will ich gemeint sein?

In der Geschichte “Will ich gemeint sein?” flippt sogar Richard aus, mit dem sie wohl den schönsten Sex hat. Seine Freundin hat ihn verlassen. Und das augenscheinlich mit einer all dieser fadenscheinigen Erklärungen, die man(n) nicht mehr glaubt, wenn man(n) ganze Serien von Eifersuchtsdramen erlebt hat, von Nicht-genug-geliebt werden und Nicht-begehrt-sein.

Oha, staunt der Leser: Diese Seite der Welt gibt es ja auch noch. Man hätte sie fast vergessen. Männer, die selber irgendwann das Gefühl haben, dass sie unter lauter Forderungen und Erwartungen einfach verschwinden, sich auflösen in einem Brei von Vorwürfen, Vergleichen, Ansprüchen, Versagensängsten – und nicht drüber reden, weil man das als Mann nicht macht. Zumindest diese Männer tun’s in der Regel nicht. Oder die Angebetete hört nicht zu, weil sie völlig damit beschäftigt ist, herauszufinden, ob ihr das nun genügt, gefällt oder doch wieder zu wenig ist. Da hat sie gar nicht die Zeit darüber nachzudenken, was die Anderen tun in der Nacht. Aber das gehört wohl dazu, zu dieser seltsamen Gesellschaft, die bis zur Hemdkrause vollgepackt ist mit Erwartungen und Forderungen an viel und gutem und richtigen Sex. Auf einmal ist man mittendrin in einer Leistungsgesellschaft, die selbst das Intimste zum Leistungstest gemacht hat. Kein Wunder, dass das nie aufhört, im Kopf der Autorin und/oder ihrer Heldin zu rattern. Selbst wenn sie hat, was sie wollte. Aber wollte sie nicht viel mehr? Drei Stunden statt zwei? Samstag statt Freitag?

Selbst dann, wenn ihre Liebhaber augenscheinlich alles tun, diesen weiblichen Körper zu genießen und zu verwöhnen. Natürlich gibt es auch ein Geschichtchen über die Frage: Kontrolle behalten oder nicht? Und wie ist das mit den Eltern? Wie viel Schuld haben eigentlich Mütter und Väter, wenn das mit dem Sex und der Liebe nicht klappt?

Am Ende versichert Beate Kruse hoch und heilig, dass alles erfunden und übertrieben ist.

Aber wie ist das dann mit Richards Ausraster, der so erstaunlich genau passt zu diesem Dauergespräch? Kann es sein, dass all die ach so selbstbewussten Singles der Neuzeit aus diesen Leistungsgesprächen und unersättlichen Erwartungen an Sex und Liebe, mal von Familie und Partnerschaft gar nicht zu reden, gar nicht mehr herauskommen? Und selbst die simpelsten Dinge vollgepackt sind mit unerfüllbaren Wünschen? Konsumieren wir genug? Oder haben wir zu hohe Erwartungen an das Produkt? Oder ist das nur ein Problem der Frauen?

Vielleicht, weil sie im Sexleben eine Bestätigung suchen, die ihnen sonst im Leben fehlt? Fragen über Fragen, die natürlich mit einschließen, dass der männliche Teil der Geschichte eigentlich fehlt. Zumindest Richard nennt es ja dann beim Namen, ein bisschen, dass die ganze Chose ja nicht nur dazu da ist, der einen Hälfte zu genügen. Oder denken Frauen zu viel darüber nach, ob’s richtig ist und Männer zu wenig?

Zumindest ist das mal eine ganz andere Art, dieses ewige Thema zu beleuchten, bei dem für gewöhnlich abgeblendet wird, bevor es ums Nackigmachen und Spaßhaben geht. Oder doch wieder nur ums Klugscheißen, wie Beate Kruse kurz anmerkt, bevor sie das Licht ausmacht?

Man kann sie selber fragen: Am Mittwoch, 15. April, ist Beate Kruse mit dem Buch um 20 Uhr zu Gast im Horns Erben (Arndtstraße 33).

Bestellen Sie versandkostenfrei in Lehmanns Buchshop: Beate Kruse Was machen die anderen nachts? Verlag Voland & Quist 2015, 14,90 Euro.

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