Die Kinder, die in den Büchern des Klett Kinderbuchverlages auftauchen, könnten vielen Zeitgenossen geradezu als außerirdische Spezies vorkommen - zumindest wenn diese Zeitgenossen ihr Leben mit den üblichen Schönwetter-Helden-Kinderbüchern, Fernsehwerbung und Hollywood-Filmmärchen zugebracht haben. Diese Kinder sind anders. Echt, würden echte Mütter und Väter sagen. Echt zum Schreien.

Und das Schöne für Autoren und Autorinnen, Zeichnerinnen und Zeichner: Sie dürfen nach Herzenslust wieder selbst Kind sein und müssen nicht irgendwelchen in den falschen Schulen erzogenen Programmchefs zuliebe so tun, als wären brave Kinder ein erstrebenswerter Zustand oder gar eine Art rosarote Gefühlswanne. Sind sie nicht. Das weiß jeder, der mit solchen Kindern jemals zu tun bekam, wenn sie anfingen, erwachsen zu tun.

In diesem Buch hat sich der Kommunikationswissenschaftler Werner Holzwarth einmal ein Thema vorgenommen, das es so auch in seiner Kindheit vor 60 Jahren gegeben haben muss, unter etwas anderen Vorzeichen. Da hatte der Spruch “Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt” noch einen etwas anderen Inhalt und er wurde von Eltern gesprochen, die selbst richtige Hungerjahre hinter sich hatten.

Das ist im Leben von Sophie, Louise, Natalie und ihren Freunden schon ganz anders. Sie kennen keine Hungersnot. Sie wachsen in einer Welt auf, in der nicht nur der Mittagstisch gut gedeckt ist, sondern an der Ecke auch noch Pommeswagen, Döner- und Eisläden auf ihre Kunden warten. Die Knirpse haben also jede Gelegenheit, das zu essen, was sie am liebsten mögen. Und wer solche Knirpse hat, der weiß, dass es oft immer dasselbe sein dürfte, oft auch nicht gerade das Gesündeste. Und dass sie auch richtig Spektakel machen können, wenn Dinge auf den Tisch kommen, die sie partout nicht mögen und die zu Hause schon aus lauter Sorge um den Familienfrieden nicht mehr auf den Tisch kommen. Aber das verschont die Kinder ja nicht, dem Unheil andernorts zu begegnen – zum Beispiel im Kindergarten, wenn es mal lecker Hühnerfrikassee für alle gibt. Einen gibt es dann meistens, der schon beim Anblick des Gerichts ganz blass wird und flitzen geht – in diesem Fall ist es Henry.

Holzwarth hat sich eine regelrechte Freude daraus gemacht, dieses (für Eltern manchmal zermürbende) Himmelhochjauchzen und Totalentsetzt in freche Reime zu fassen. Denn Triumph und Verzweiflung liegen ja oft genug dicht beieinander. Denn Natalie, die keine Pommes mag, liebt dafür Frikassee. Und Henry, der beim Frikassee flitzen musste, liebt dafür dicke Döner. Manchmal ist es ja nur die Konsistenz eines Gerichts, die über Hosianna und Tränen entscheidet. Und die Knirpse, die die Berliner Illustratorin Theresa Strozyk dazu gezeichnet hat, lassen Freude und Verzweiflung raus, nehmen kein Blatt vor den Mund, haben richtig die große Klappe, ob es beim Erklären ihrer Lieblingsspeise ist oder um die Verdammung von Essbarem geht, das man doch eigentlich nicht essen kann – wie Spaghetti aus der Dose. “Würmer unter Käse”, schimpft Therese.

Und mit dabei als emsiger Fresser unterm Tisch ist Waldi. Ein Hund, wie er im Buche steht: nimmersatt, ohne eigenen Warnmelder, der ihm signalisiert, wann es genug ist. Denn es regnet ja lauter Leckereien. Irgendein Kind will seine Mahlzeit immer schnellstmöglich entsorgen – und freut sich auch noch, weil Waldi sich freut, der alles, aber auch alles frisst. Nur eins mag und verträgt er nicht: Fisch.

Womit eigentlich klar ist, wohin sich diese Auseinandersetzung der Großstadtkinder mit dem Thema Essen entwickeln muss. Natürlich ist es auch eine kleine Hommage an die kleinen Rabauken, die da ihre Freude übers Lieblingsessen und ihre Abneigung solcher Dinge wie Cordon Bleu (Max: “Nie im Leben ess ich das!”) laut und deutlich zur Kenntnis geben. Das kommt noch aus dem Bauch und aus dem Herzen. Da wissen Erwachsene zwar nicht immer eine Lösung. Aber so ist das Leben mit diesen kleinen Charakteren nun mal. Und wenn sie nicht zum Klappehalten erzogen sind, weiß man irgendwann eine ganze Menge über diese Biester – und kann dem armen Waldi vielleicht auch ersparen, was ihm am Ende passiert.

Womit das Buch natürlich nicht zu Ende ist. Denn am nächsten Tag ist ja Sophie wieder bei Omi. Nur dummerweise hat Omi vergessen, was Sophie so gar nicht mag …

Bestellen Sie versandkostenfrei in Lehmanns Buchshop: Werner Holzwarth, Theresa Strozyk “Mag ich! Gar nicht! Ein Reim- und Magenbilderbuch“, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015, 12,95 Euro

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