Die Edition Büchergilde widmet sich einem Bereich der Lesewelt, in dem nicht mehr gar so viele Verlage unterwegs sind: dem schönen Buch, will heißen: dem auch grafisch aufwändig gestalteten Buch. Dazu werden gern hochkarätige Grafiker und Grafikerinnen eingeladen, die mit dem Buch dann ein paar Dinge anstellen können, die dem Leser ein zusätzliches Lesevergnügen bereiten. Oder die Stimmung verdoppeln, die schon der Text auf den Seiten erzeugt.
Das ist auch bei dieser von Heike Guderjahn zusammengestellten Sammlung von Texten berühmter Autorinnen der Fall. Sie hat 13 Geschichten über die Liebe gesammelt – von Marguerite Duras, Virgina Woolf, Katherine Mansfield, Anna Seghers, Tania Blixen, Ingeborg Bachmann usw. Alles hochkarätige Autorinnen. Aber Liebe?
Nein. Nicht wirklich. Das deutet auch die Herausgeberin an, wenn sie in der Vorbemerkung von Paar-Konstellationen spricht. Die Geschichten schlagen zwar einen Bogen über rund 100 Jahre, aber sie fallen nicht dadurch auf, dass sie die “Konventionen ihrer Zeit” spiegeln. Auch wenn sicher bei einigen dieser Konventionen ein paar kleine Veränderungen eingetreten sind im vergangenen Jahrhundert. Aber der gemeinsame Nenner der Geschichten ist ein anderer. Tatsächlich problematisieren sie das Verständnis von Partnerschaft allesamt aus der Perspektive von Frauen. Und zwar in fast allen Geschichten aus der Sicht der bürgerlichen Frau, die in eng definierten gesellschaftlichen Konventionen lebt, fast in jedem Fall auch auf Geld und Goodwill ihres Partners angewiesen ist und oft genug geradezu in Panik lebt, den gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Rolle nicht mehr zu genügen.
Und das ist nicht nur beklemmend. Es ist frustrierend. Auch weil damit in fast allen Variationen ein immer wieder gleiches Rollenbild der Frau konturiert wird, gegen das die hier versammelten Autorinnen allesamt angeschrieben haben – in der kurzen und in der langen Form, anklagend oder analysierend. Und das Frappierende: Es hat sich wohl wirklich nichts geändert. Nichts an der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frauen von ihrem (gut verdienenden) Mann, nichts an ihrer Abhängigkeit von den Erwartungen einer mehr oder weniger normierten Gesellschaftsschicht, nichts an der Ausweglosigkeit von Partnerschaften, in denen die Frau sich derart verkaufen muss. Das Thema des Sich-Verkaufens bringt zwar vor allem Clarice Lispector zur Sprache. Aber es schwingt in fast allen Geschichten mit.
Fast alle Erzählungen nutzen übrigens auch den Inneren Monolog, den man eigentlich irgendwann nicht mehr lesen mag, weil einen diese ganzen ziellosen inneren Betrachtungen einfach nur noch lähmen: Wann handeln sie endlich? Wann packen sie endlich ihre Koffer und verschwinden aus dieser zur Attrappe erstarrten Beziehung?
Die Tatsache ist wohl: Die meisten Frauen flüchten nicht und nehmen auch ihr Leben nicht in die eigene Hand, machen weder tabula rasa, noch sagen sie den drögen Partnern (die oft genug mit rücksichtsloser Arroganz auch noch fremd gehen) ihre Meinung. Unterschwellig ist überall die Angst mit dabei, dass dadurch alles in die Brüche gehen könnte – die schwer erkämpfte wirtschaftliche Sicherheit, das Prestige unter den Leuten, die eigene, sorgsam aufgebaute Fassade einer glücklichen bürgerlichen Ehe.
Mit Betonung auf bürgerlich. Denn hier wird die ganze lähmende Kehrseite dessen sichtbar, was in heutigen Diskussionen immer wieder als Idealbild einer bürgerlichen Familie angepriesen wird, dieser goldene Käfig, in dem alles Leben zu Erwartungen erstarrt, alle Leidenschaften sich aufreiben und jeder Ausweg nur noch wie eine Katastrophe aussieht. Die Heldinnen sind gelähmt bis zur Unfähigkeit, sich ihr Dilemma auch nur einzugestehen.
Einzige Ausnahme ist wirklich Anna Seghers Geschichte “Das Schilfrohr”, auch wenn sie ebenfalls bekannt wurde für ihre zuweilen ausschweifende Innenschau ihrer Heldinnen und Helden. Jede Geste, jeder Dialog, jede Szene wird analysiert, hin und her geworfen im Kopf. Die Bewegung der Geschichte wird geradezu verinnerlicht – und die Heldinnen werden zu Beobachterinnen ihrer selbst. Das Wort vom goldenen Käfig geht einem bei Dorothy Parker genauso durch den Kopf wie bei Sylvia Plath. Und die Auswahl der Geschichten mutet natürlich so an, als hätte Heike Guderjahn diese “Szenen diverser Ehen” gerade deshalb ausgewählt. Gerade weil sie in dieser Ähnlichkeit frappieren und so genau das Dilemma der bürgerlichen Kleinzelle zeigen, in der Liebe eher ein seltsames Gespinst aus Verunsicherung, Versagens- und Verlustängsten ist.
Das erinnert wohl nicht ganz zufällig an die lakonischen, aber auch frustrierenden Kurzgeschichten von Raymond Carver (“Short Cuts”). Die ganze Einsamkeit des modernen Traums von ewiger Liebe wird hier fühlbar – und löst sich gleichzeitig in die Bestandteile der Verzweiflung auf. Auch deshalb bietet der ach so gern gerühmte Mittelstand der westlichen Welt heute ein derart trostloses und verängstigtes Bild – die Träume lösen sich schon in der trauten Zweisamkeit in Wohlgefallen auf. Die Phantasie geht schon von ganz allein fremd und sucht den Ausweg irgendwo im Erträumten oder auch nur vage Gedachten. Deswegen wirken die Geschichten, in denen die Heldinnen tatsächlich den Mut zum Ausbruch finden, fast wie Erlösungen. Der Rest macht recht deutlich, was Sartre mit seinem flapsigen Spruch auch gemeint haben könnte: “Die Hölle sind immer die anderen”.
Und so wie diese 13 Geschichten das scheinbar Intimste in dauernder Reflexion zeigen – und so am Ende eigentlich völlig ohne wirklich handelnde Personage, gibt die Leipziger Grafikerin dieser Stimmung mit ihren Zeichnungen einen Raum und eine Bühne. Menschenleer. Fast tragisch wirkend in ihrer Verlassenheit. Jeder Geschichte ist eine solche eindrucksvolle Grafik vorangestellt, die gleichsam in den Bühnenraum einführt, auf dem sich gleich die Godotsche Kleintragödie abspielt. Der Buchumschlag ist ein doppelter – einer, den man regelrecht aufklappen kann und eine dieser Bühnen in doppelter Betrachtung hat – einmal vom Inneren des Zimmers aus hinaus auf den vom Regen gepeitschten See, einmal der gleiche Blick von der verlassenen Terrasse. Die Geschichten sind alle genauso: Das eigentliche Drama findet im Kopf statt. Doch draußen, auf der Bühne, die man sieht, passiert nicht viel. Was den Eindruck der Verlassenheit natürlich verstärkt. Man hofft jedes Mal nur, dass die Heldin einfach aufsteht und diese Bühne verlässt, aus dem Rahmen tritt und sich nicht in die Erwartungen fügt.
Die jüngste Geschichte stammt zwar aus dem Jahr 1981. Aber das Gefühl trügt wohl nicht, das einem am Ende sagt: Das ist doch noch immer so. Tragischerweise.
Bestellen Sie versandkostenfrei in Lehmanns Buchshop: Heike Guderjahn (Hrsg.) “April, Sturm und andere Turbulenzen“, Edition Büchergilde, Frankfurt 2015, 20 Euro
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