Über Luthers Kinder, Luthers Weihnachten und Luthers Wittenberg hat sie geschrieben. Die Wittenberger Historikerin Elke Strauchenbruch kennt sich im Thema Luther und die Lutherzeit in Wittenberg so gut aus wie kaum jemand sonst. So gut, dass sie den Mann, den die Meisten nur als Reformer oder Reformator kennen, mitten in seinem gar nicht so einfachen Alltag einfangen kann. Denn Gärtner wäre er schon gern geworden, dieser Luther.

Nicht nur seine Predigten und Hausgespräche sind voller solcher Ideen und Überlegungen, die den Sohn eines Bergmanns und Minenbesitzers selbst in der Berufswahl zeigen als einen Bewohner der Neuzeit, der sich nicht mehr streng an die alten Standes- und Berufsbande gebunden fühlt. Wahrscheinlich ist das sogar eine der wichtigsten Grundzutaten seiner Reformation: die Welt als einen Ort zu denken, in dem Menschen aus eigener Selbstbestimmung auch ihren Platz und ihre Profession suchen. Sein Leben ist ja voller solcher Wendepunkte, die so in der Rückschau gar nicht auffallen, weil wir es heute für normal halten, dass Menschen ihre Studienwahl neu sortieren (sofern nicht ein erstarrtes Bologna-System dergleichen unmöglich macht): sich kurzerhand dazu entscheiden, einen Doktortitel zu erwerben, ein Lehramt anzustreben oder gar mit einem Paket kluger Thesen die eigene Existenzgrundlage zu gefährden. Das braucht Mut. Und Luther war ein mutiger Bursche, der zwar sichtlich zögern und grübeln konnte – und dann doch sagte: Hier stehe ich und kann nicht anders.

Hat er zwar so nie gesagt, aber auf die Haltung kommt es an.

Und mit seiner Katharina bekam er ja dann (nach Zögern und Grübeln) auch eine Lebensgefährtin, die die Welt augenscheinlich ganz ähnlich sah wie er. Und genauso gern zupackte, wenn einfach Taten verlangt waren.

Elke Strauchenbruch fängt zwar bei einem scheinbar ganz romantischen Thema an: dem Garten der Luthers und der Frage, wo er genau lag und was alles drin wuchs. Aber sie belässt es nicht bei der Rekonstruktion des “Paradiesgartens”, sondern weitet den Blick – genauso, wie es Luther tat. Denn der interpretierte ja nicht ohne Grund das biblische Paradies als einen echten Nutzgarten, in dem Adam und Eva alles fanden, was sie zum Leben brauchten, den sie aber auch hegten und pflegten. Vielleicht noch ohne Schweiß, den es als Dreingabe erst nach der Vertreibung gab.

Aber selbst die zeitgenössischen Bilder, die sich mit Luthers Weltbild beschäftigen, zeigen immer wieder echte Nutzgärten als biblische und paradiesische Motive. Mal waren es eher Klostergärten, in denen man fleißige Nonnen bei der Arbeit sah, oft aber auch von emsigen Gärtnern bevölkerte Bauerngärten, in denen gleich mal ein ganzer Jahreszyklus abgebildet war.

Und Elke Strauchenbruch kann aus etlichen Predigten und Tischreden Luthers zitieren, in denen der Mann direkt aus seinem Erleben der Gartenarbeit seine Bilder und Motive bezog. Immer wieder kamen Tiere und Pflanzen, Bäume und Fische in seinen plastischen Texten vor – und das fast immer in gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Zusammenhängen. Denn die Luthers besaßen nicht nur den einen Garten direkt am Haus, der zuvor schon Garten des Augustinerklosters gewesen war, sie hielten auch Nutzvieh, legten extra noch einen Brunnen an, um Gießwasser zu haben. Ihre Abfallgrube wurde für die Archäologen zu einer wahren Fundgrube, aus der sich viele der Lutherschen Essgewohnheiten rekonstruieren ließen. Die dann natürlich mit dem, was schriftlich überliefert ist, gut übereinstimmen. Denn Martin Luther hat ja (zum Glück) auch gern übers Essen geredet, in seinen Briefen aber auch Bezug genommen auf schlechte Ernten und die Unbilden der Witterung.

Es ist faszinierend zu sehen, wie selbst die Klimatologie mittlerweile fester Bestandteil der Geschichtsschreibung geworden ist.

Denn schon immer hingen nicht nur politische Entwicklungen aufs Engste vom Wetter ab, sondern sorgten in Dürren oder Jahren verregneter Ernten für Hungersnöte und die Zuspitzung sozialer Konflikte. Die Lutherzeit war – im kürzeren historischen Kontext betrachtet, eine recht warme Periode, in der Weinabbau bis hinauf zur Ostsee möglich war. Auch in Wittenberg war Weinbau möglich. Mindestens vier Gärten sind für Martin und Katharina nachweisbar, 1540 kam noch das Gut Zülsdorf hinzu. Sie gehörten zu jenen Wittenberger Bürgern, die sich zum größten Teil aus eigener Landwirtschaft versorgen konnten. Selbst ein Fischteich gehörte dazu.

Was Elke Strauchenbruch auch dazu bringt, sich die gesamte Bewohnerschaft Wittenbergs einmal anzuschauen auf Garten- und Grundbesitz. Auch die Wasserversorgung betrachtet sie noch einmal extra, die Handwerke und Märkte in der Stadt, auf denen sich die Luthers natürlich mit all dem versorgten, was sie aus der eigenen Landwirtschaft nicht beziehen konnten.

Bier brauten sie dafür selbst – sie hatten wie Dutzende andere Wittenberger das Braurecht. Fürstliche Geschenke gab’s noch oben drauf, aber wohl hochwillkommen im Lutherschen Haushalt, der stets auch zahlreiche Gäste mitverköstigte.

Die dann wieder eifrig berichteten über Luthers deftige Tischreden und natürlich auch die Tischsitten.

So nebenbei erfährt der Leser natürlich, wovon sich die Wittenberger im 16. Jahrhundert eigentlich ernährten. Und wie schnell die Existenzgrundlage der Stadtbewohner verloren gehen konnte, wenn Kriege (wie der Schmalkaldische Krieg) die Region heimsuchten oder Hochwasser der Elbe auch die Gärten der Wittenberger überfluteten.

Und da es eine Warmzeit war, gab es eine ganze Menge Überschwemmungen – nebst diversen Seuchen, die auch Wittenberg nicht verschonten. Ein Zuckerschlecken war auch das Leben des berühmt gewordenen Professors nicht. Und so schmuck und sauber, wie Wittenberg heute seine Besucher empfängt, war das Luthersche Wittenberg ganz bestimmt nicht. Auch dieses Kapitel lässt Elke Strauchenbruch nicht weg: Wie mühsam der Rat darum rang, die Straßen und Wasserläufe rein zu halten, und wie dennoch auch die Viehhaltung der Wittenberger selbst mit dazu beitrug, die Seuchengefahr in der Stadt zu erhöhen.

Andererseits waren diese Wittenberger natürlich genauso wie der Dr. Martin Luther aufs Engste mit den Vorgängen in der Natur und den täglichen Verrichtungen in der Landwirtschaft verbunden. Sie hatten es  bildhaft vor Augen, wenn Luther von der Arbeit des Gärtners erzählte. Und es liegt wohl nahe zu vermuten, dass der Herr Professor nicht alle Arbeit seiner Käthe überließ, auch wenn er ihr gern die volle Verantwortung für Haus und Hof überließ und sich manchmal über die ganzen zusätzlichen Geldausgaben äußerte.

Für alle, die wirklich gern wissen wollen, in welcher Welt Martin Luther und Katharina tatsächlich lebten, ist das Buch so eine Art kleines kompaktes Lesebuch. Der “Paradiesgarten” wird recht plastisch – mit all den Pflanzen, die darin wuchsen – erbaulich eigentlich alle, nützlich die meisten. Und am Ende landete alles, was da so wuchs, in Katharinas Küche und machte den genussfreudigen Professor der Theologie glücklich.

Bestellen Sie versandkostenfrei in Lehmanns Buchshop: Elke Strauchenbruch “Luthers Paradiesgarten“, Evangelische Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2015, 14,80 Euro

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