Es war das silberne Zeitalter Weimars, als Louis Held um 1900 die Gesellschaft des kulturbeflissenen Städtchens an der Ilm ablichtete. Das goldene Zeitalter war das von Goethe, Herzog Karl August, Anna Amalia, Schiller und Wieland. Um 1900 erlebte Weimar noch einmal eine Blüte, die der Hoffotograf Louis Held in eindrucksvollen Bildern festhielt.
Der Lehmstedt Verlag widmete dem Fotografen 2008 den Bildband “Im alten Weimar”. Der eignet sich zwar exzellent zum Sammeln, wenn man entsprechend große Bücherregale hat, aber weniger gut zum Einfach-Mitnehmen. Zum Beispiel, wenn es einen mal nach Weimar verschlagen sollte dieser Tage und man die thüringische Kulturstadt genüsslich erlaufen hat mit allen Kurven und Schleifen. Besuch beim alten Geheimrat und im herzoglichen Schloss, bei Schillers und im Park an der Ilm, vielleicht sogar noch einen Theaterabend drangehängt im Nationaltheater.
Und am nächsten Tag dann noch die Runde Bauhaus-Universität und Nietzsche-Gedenkstätte. Was nimmt man da Kleines, Schnuckeliges mit, wenn es nicht nur die übliche Gedächtnistasse oder der Goethe-Schiller-Fußabtreter (muss wohl der spezielle Thüringer Humor sein), das Klassiker-Zitate-Bändchen oder das goldene Gingko-Blatt zum Anstecken sein soll? Vielleicht doch ein Näpfchen Gingko-Anti-Age-Creme, damit man immer so jung aussieht wie der glückliche Greis zu Weimar?
Dann vielleicht doch lieber so eine kleine Auswahl aus Louis Helds Fotoarchiv, in dem das Weimar vor 100 Jahren noch einmal lebendig wird – mit großherzoglicher Familie und der sonstigen High Society des kleinen Residenzstädtchens, das sich seine feudalen Formen und Prächtigkeiten noch bewahrt hat, obwohl längst ein anderes Zeitalter begonnen hat. Noch nicht so elegant, wie man sieht – aber selbst im Probensaal der Ballettmiezen sind schon elektrische Lampen an die Decke gehängt, am Frauenplan führen schwungvoll die Gleise der Straßenbahn vorbei (nur die Straßenbahn ist nicht zu sehen), der Bauhaus-Architekt van der Velde hat eindrucksvolle Möbel im nagelneuen Jugendstil entwickelt – das Bauhaus ist noch Zukunftsmusik. Man sieht der Heldschen Gesellschaft nicht an, dass sie beides in sich trägt: die Neugier auf das Neue (wenn es sich nur dezent genug einfügt ins Alte) und die konservative Verbiestertheit, wenn das Neue zu deutlich zeigt, dass es neu ist. Das alte Weimar war genauso zerrissen zwischen Gestern und Morgen, Konserviertem und Erneuertem wie die ganze Weimarer Republik.
So lange das Neue die Formen wahrte und sich wenigstens bürgerlich an den Dresscode hielt – wie der Leipziger Künstler Max Klinger oder der Musiker Ferrucio Busoni, dann öffnete auch das konservative Weimarer Bürgertum samt adliger Gesellschaft Herzen, Salons und Parkhäuser. Dann durfte das Neue durchaus modern sein und aufregend, auch ein bisschen mutiger in der Form – wie der Bildhauer Adolf Brütt oder der Museumsdirektor Hans Olde, der der Weimarer Kunstwelt auch eine Auguste-Rodin-Ausstellung zumutete. Und die Herrschaften kamen natürlich in großem Putz. Noch fühlte man sich eins mit der Zeit, würdigte Traumtänzerinnen, Architekten und Schauspielerinnen. Spielerisch fast. So dass auch Walter Gropius 1919 glauben konnte, in so einer Atmosphäre hätte auch noch ein Bauhaus Platz.
Was für ein Irrtum.
Da hätte er vielleicht etwas emsiger ins Nietzsche-Archiv wandeln sollen, in gedruckter Form lesen, wie sich Nietzsches Schwester Elisabeth den großen Weltumstürzer zurechtredigierte, bis der Allesstürzer zum Stützer eines vom Großem besessenen Reiches wurde, in dem auch der kleine, bestens gekleidete Bürger sich zu Großem berufen fühlte. Man musste ihn ja nur rufen. 1914 ff.
So im Nachhinein wirkt dieses von Louis Held festgehaltene Weimar natürlich wie eine Erinnerungsbüchse, in der Richard Dehmel, der Dichter, wie ein jugendlicher Springinsfeld wirkt neben dem greisen Franz Liszt und den heute längst vergessenen Schriftstellern Johannes Schlaf und Ernst von Wildenbruch. Louis Helds Bilder wirken lebendiger als das Meiste, was man aus der Fotografie dieser Zeit kennt. Er handhabt seine Motive und Modelle fast schon modern, zieht auch mal los mit seiner großen Plattenkamera, um regelrechte kleine Reportagen anzufertigen – etwa über das Leben im alten Theater. Die Herren in der Galerie scheint er geradezu im Gespräch ertappt zu haben, Tochter Ella kurz vorm Aufspringen: “Lass mich mal ran, Papa!”. Und die Forscher im Goethe-Schiller-Archiv scheucht er wohl aus einer intensiven Diskussion auf mit der Frage, ob er auch mal Goethes Arbeitszimmer fotografieren dürfe. Durfte er natürlich. Ohne Geheimrat.
Die Bilderauswahl ergibt dann in der Auswahl für dieses taschenkompatible Büchlein eine Art Porträt des “geistigen Weimar um 1900”, all der Leute, die damals versuchten, an die goldenen Zeiten Goethes anzuknüpfen. Auf ihre Art. Für das Neue offen, so lange es so aussah wie die kleinen blauen Nietzsche-Taschenbücher. Und recht verärgert, als es dann im Bauhausstil versuchte, heimisch zu werden. Mit allen bekannten Folgen auch für die nach Weimar benannte Republik, die sich zwar im frisch gebauten Nationaltheater in Weimar gründete, aber ganz schnell die alten preußischen Gewehre rief, um Ordnung zu schaffen im Land der Dichter.
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