Für Erwachsene gibt es ganze Stapel von Leipzig-Stadtführern - von klassisch bis langweilig, von luxuriös bis bieder. Aber wie ist das mit Kindern und Jugendlichen? Brauchen die nicht eigene Angebote, die ihnen die Stadt jünger, frecher, frischer erschließen? - Natürlich. Ein echtes Experimentierfeld für Kreative.
Vor einiger Zeit war es der Seume-Verlag, der sich mit so einem Kinderstadtführer für Leipzig in die Offensive gewagt hat. Nun hat auch die Edition Leipzig – richtig pünktlich zum Stadtjubiläum – einen vorgelegt.
Im Comicstil. Mit André Martini wurde dabei ein Grafiker aktiv, der auf diesem Gebiet schon einen Namen in Leipzig hat. Auch als Illustrator von Kinderbüchern. Er beherrscht sein Handwerk und er trifft den kessen, naseweisen Stil des Comics. Steigerungsform: Wimmelbild.
Fast fühlt man sich an die Bildschöpfungen des “Mosaik” erinnert. Möglich, dass der Grafiker hier mit Papas Mosaik-Sammlung aufgewachsen ist und sich irgendwann geschworen hat: Das will ich auch können. Studiert hat er in Halle an der Burg Giebichenstein. Und ins Thema Leipzig hat er sich hineingekniet wie 2009, als er sich ins Thema Bach vertiefte und beinah ein richtiger Trickfilm draus geworden wäre. Ein kleiner Fünfminüter wurde es ja. Für ein größeres Projekt fehlte die Förderung.
Aber Leipzig ist ja nicht nur Bach. Das weiß jedes Kind. Leipzig ist eine große bunte Packung unterschiedlicher Geschichten und Erlebnisangebote. Nicht alles davon ist für Kinder interessant. Manches dafür einfach nicht wegzudenken, wenn man einen Stadtplan für Kinder macht. Da muss sortiert und aussortiert werden. Das hat in diesem Fall Sandy Schmied getan, die Leipzig auch als Mitarbeiterin diverser Magazine kennen gelernt hat. Gleich auf den ersten sechs Seiten stellt sie Leipzig nicht nur kurz und knapp vor, sie dampft die 1.000 Jahre Geschichte auch gleich mal ein auf die wesentlichen Knackpunkte. Schon hier kann Martini beweisen, dass er das Genre des Wimmelbildes beherrscht – ebenso die treffende Karikatur, mit der einige Persönlichkeiten aus der Leipziger Geschichte auch ein wiedererkennbares Gesicht bekommen. Zumeist tauchen sie in der kleinen Rubrik “berühmt” auf.
Aber keine Bange: Das 80-seitige Buch wird nicht überfrachtet. Die Zahl der berühmten Nasen ist überschaubar. Kinder, die mehr wissen wollen, lesen sowieso ganz andere Bücher. Dieses hier soll ja erst einmal neugierig machen und zum Entdecken einladen. Deswegen ist der historische Teil eher ein flottes Springen durch die Jahrhunderte. Echte Profis werden lauter berühmte Daten und Personen vermissen. Aber wie fängt man an mit so einer Geschichte, in der es eigentlich die ganze Zeit gewimmelt hat?
Und anders konnte natürlich auch der Ausflug ins Stadtgebiet nicht sortiert werden. Sandy Schmied hat es ein bisschen so gemacht, wie es die Veranstalter des Honky Tonk mit ihren Veranstaltungsplänen machen: Sie hat die Stadt in fünf Stücke geteilt – Zentrum, Norden, Osten, Süden, Westen. Zu jedem Tortenstück eine Vorschaltkarte, auf der alle beschriebenen Orte mit Nummern eingetragen sind. So findet man sich schnell zurecht. Zu den Nummern gibt es dann wirklich kurze, knappe Texte, einige mit flott gezeichnetem Bild dazu, andere mit einer Extra-Karte, weil die empfohlenen magischen Punkte für Kinder selbst eine Welt für sich sind – der Zoo zum Beispiel. Kinder, die den Zoo nicht mögen, müssen erst geboren werden.
Aber gestartet wird natürlich, wo alle starten – am Hauptbahnhof. Von da aus gibt es allein im Zentrum 23 Stationen zu entdecken, einige davon die unausweichlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die man auch als Kind besuchen muss, sonst bekommt man einfach keine Vorstellung von dieser Stadt (Altes Rathaus, Auerbachs Keller mit Goethe und Mephisto, Thomaskirche, Neues Rathaus …).
Natürlich versucht Sandy Schmied auch, die wirklich kindlichen Hingucker und Hinhörer zu finden – ohne Thomanerchor und Pusteblumen geht hier natürlich nichts.
Aber viele Attraktionen für Kinder befinden sich natürlich außerhalb des Zentrums. Im Westen etwa der Clara-Park mit Eiswagen, der Karl-Heine-Kanal, das UNIKATUM Kindermuseum, der Lindenfels Westflügel mit dem herrlichen Figurentheater, das Theater der Jungen Welt … Man merkt schon beim Durchblättern, dass es in Leipzig durchaus eine eigene Erlebnislandschaft für Kinder gibt. Besondere Spielplätze gehören genauso dazu wie die Buchkinder-Werkstatt, das Zooschaufenster oder auch die Buchmesse, die natürlich auch für die jungen Leser ein Abenteuer ist. Es muss ja nicht immer Manga sein. Museen wie das Völkerkundemuseum halten Angebote für abenteuerlustige Kinder bereit, musikbegeisterte Kinder können nicht nur Bach, sondern auch Mendelssohn und die Schumanns besuchen. Rabet und Puppentheater Sternthaler gehören im Osten genauso auf die Kinder-Landkarte wie die Erdbeerhaltestelle, die Sachsen-Therme und die Entdecker-Ausstellung Inspirata.
Im Süden fand Sandy Schmied dann Connewitz und die Karli wichtig, Feinkost und Löffelfamilie. Da hat man so eher den Verdacht, dass die Autorin doch irgendwie gern einen Jugend-Stadtführer geschrieben hätte. Auch wenn’s in der Feinkost den Kinderbuchladen Serifee gibt und in der Kochstraße die “beste Eisdiele der Stadt”. Fockeberg und Wildpark dürfen nicht fehlen. Und am Ende der Tour natürlich auch nicht die Tipps für die nähere Umgebung – was wäre das heutige Leipzig ohne Cossi und Markkleeberger See?
Und das Schöne an diesem Stadtführer: Die Autorin empfiehlt die umweltfreundlichen Verkehrsmittel – bei den einzelnen Stationen sind stets die Übergänge zu Straßenbahn und S-Bahn mit angegeben. Radfahren wird empfohlen. Aber auch der alte Londoner Doppelstockbus. Das ist dann wirklich Ansichtssache.
Zwischendrin hat André Martini auch ein paar kleine Rätsel gezeichnet. Seine Bilder laden jedenfalls ein, sich diese bunte Mischung Leipzig mal selbst anzuschauen und nachzusehen, ob auch alles dort ist, wo es sein soll, ob die Wildschweine im Wildpark auch so grimmig dreinschauen und im Rosental tatsächlich Füchse und Waschbären zu sehen sind. Die beiden, die sich hier zusammengetan haben, haben sich jedenfalls eine Menge Mühe gegeben, die junge, unverstellte Sicht auf das Leipziger Potpourrie zu finden und in Bilder und knappe Texte zu fassen. Die Texte sind so kurz, dass man sie beim Straßenbahnfahren zwischen den Stationen lesen kann. Die Bilder lassen die besuchten Orte gut erkennen. Man kann das Buch also wirklich mitnehmen und am Ziel überprüfen, ob man auch das Richtige gefunden hat.
Wer mit diesen Entdeckungsangeboten durch ist, hat schon so eine Art Grundmuster für die Stadt, hat auch ein bisschen was aus der Welt der Erwachsenen kennen gelernt, ein bisschen was zu Herbst ’89 und Völkerschlacht erfahren, aber eben auch, wo es die schönsten Klettergelegenheiten gibt. Eigentlich ein schönes Angebot für junge Familien, die mit den Knirpsen mal mehr von Leipzig entdecken wollen als das Gedrängel auf der Grimmaischen Straße oder die dicht belagerte Wiese an der Thomaskirche. Da können schon ein paar Wochenenden drauf gehen, wenn man das alles mal besichtigen will. Aber es lohnt sich.
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