Eigentlich sind Meyer / Lehmann / Schulze nicht drei, sondern zwei, die emsig forschen in der Welt der kleinen Leute, die manche als Quรคlgeister erleben, andere einfach lieben als wilde Zwerge, die das Leben so unverkorkst angehen, dass das Herz lacht und die Augen trรคnen. Der Klett Kinderbuchverlag hat schon neun Bรผcher zu den Wilden Zwergen vorgelegt. Das zehnte ist ein Zeitensprung: Die Wilden Zwerge kommen in die Schule.

Und es passiert, womit die heutigen โ€œPropellerelternโ€ mit ihrer ganzen Ach-mein-Gottchen-Lobby niemals rechnen, auch wenn ihre Kinder potenzielle Supergenies sind. Die Zwerge haben gar keine Lust auf Kuschelpรคdagogik und zensurenlose BespaรŸung. Sie wollen, dass es losgeht. Sofort. Und richtig.

Aus Sicht der Zwerge und ihrer drei bis vier Eltern (Meyer / Lehmann / Schulze und die Rostocker Illustratorin Tine Schulz) war das natรผrlich zu erwarten. Die Rasselbande hat schon im Kindergarten gezeigt, dass sie sich mit schรถnen Mรคrchen und Kinderkram nicht zufrieden gibt. Es sind eben richtige Kinder. Mit Betonung auf richtig. Und das heiรŸt eben โ€“ von etlichen Studien, Forschungen und Dauerbeobachtungen lรคngst untermauert und belegt: Sie sind neugierig, geradezu lernbegierig. Sie wollen alles wissen, am besten gleich dabei sein. Sie stellen die Fragen, die dran sind und lassen sich mit Ausreden nicht abspeisen. Und wenn es darum geht, die Erwachsenen aus ihren รผblichen Rollen zu bringen, haben sie sich schon allerhand Tricks ausgedacht.

Und tatsรคchlich haben sie ja nur auf den Tag gewartet, an dem sie in der Schule endlich richtig lernen dรผrfen. Und dann das: Es geht nicht richtig los. Irgendwelche Schulreformer haben die Schule zu einer Art anderem Kindergarten gemacht, in dem es keine Zensuren gibt. Keine Klassenarbeiten. Keine Hausaufgaben.

Und dann sind auch noch zwei Mรผtter in der Klasse, die sich darรผber streiten, wo ihre Kinder nun sitzen sollen.

Wer schlechte Erfahrungen gesammelt hat mit Schule in Deutschland, mit der ganzen aufgeblasenen Kuschelpรคdagogik, die nichts mit der elementaren Neugier der Kinder, aber jede Menge mit den ร„ngsten lebenserschrockener Eltern zu tun hat, der ist bei den wilden Zwergen genau richtig. Da springt das Herz vor Freude, wenn Frau Schrock die Eltern aus dem Raum verweist und die ganze Klasse Beifall johlt. Da hรผpft das Herz, wenn die Rasselbande in Streik tritt, weil sie nun wirklich lang genug Morgenkreis gemacht hat, gemalt und gespielt. Wo ist man denn hier? Immer noch im Kindergarten?

Man merkt, dass das Autorenduo seine Helden kennt und auch richtige Feldforschung betrieben hat, auch fรผr diesen Band wieder. Da haben echte Kinder geplaudert รผber ihre ersten Schultage. Irgendwie ist es wohl wirklich so, dass all die Reformer der vergangenen Jahre ein vรถllig falsches Bild vom Kind haben, es betrachten wie ein unbedarftes Plรผschhรคschen, fรผr das Lernen und Schule etwas Schreckliches sind. Dass Schule tatsรคchlich schrecklich ist, das kommt dann vielleicht in spรคteren Bรคnden. Der Unterforderung in der Grundschule folgt ja die Zuschรผttung mit Wissensballast, der dann auch wieder nichts mit dem echten Leben der Kinder zu tun hat.

Wer schmeiรŸt eigentlich mal die Reformer und Politiker mit ihren falschen Vorstellungen davon, was kindgerecht ist, aus der Schule?

Was ist da falsch gelaufen? Warum hat man es mit der immer noch gepflegten Narretei der Experten zu tun, die glauben, sie mรผssten Kinder formen und anleiten, als wรคren sie zu dumm zum Selberlaufen? Eine Art neuer Entmรผndigung, die so tut, als hรคtte sie mit der alten Schwarzen Pรคdagogik nichts zu tun, weil sie jetzt eine Rosa-Graue Pรคdagogik ist?

Eltern, die ihre wissbegierigen Knirpse wirklich beim Aufwachsen beobachtet haben, wissen, was fรผr ein verstรถrendes und entmutigendes Korsett Schule heute ist. Es ist ganz bestimmt auch ein bisschen ร„rger der Autoren dabei, wenn sie an dieser Stelle mal die wilden Zwerge rebellieren lassen. In Stellvertretung fรผr die GroรŸen, die nicht mehr rebellieren, weil sie es mit Altersgefรคhrten zu tun haben, die entweder gar keinen Bock mehr haben oder Profilierungsneurosen wie die Propellereltern. Das Problem von Schule ist ja auch, dass sie keine erwachsen Gewordenen mehr entlรคsst, sondern groรŸgewordene Kinder, die gerade noch zwei Haltungen kennen, mit denen sie sich ins Leben fรผgen: Wegducken oder รœberdrehen.

Warum fรคllt einem das ein, wenn man รผber diese ersten erfrischenden Tage der wilden Zwerge in der Schule liest?

Vielleicht, weil das wirklich alles zusammengehรถrt. Und weil Schule augenscheinlich wirklich eine Maschine ist, die aus diesen begeisterungsfรคhigen Knirpsen im Lauf weniger Jahre lauter Null-Bock-Typen oder verlogene Streber macht. Anders ist nicht zu erklรคren, dass unsere Gesellschaft so voll davon ist โ€“ auch voller brรคsiger Verachtung von Bildung.

Gottchen, dabei ist es doch nur ein sรผรŸes, liebevolles Buch, das auch noch einladen soll zum Lesen. โ€œLoslesen!โ€ ist das Motto, das sich der Klett Kinderbuchverlag gesetzt hat. Und etwas anderes kann man an der Stelle auch gar nicht fordern: Lest, Kinder. Tobt eure Neugier in Bรผchern aus, wenn euch die Schule unterfordert. Und lasst euch nicht entmutigen, Fragen zu stellen und euch selbst herauszufordern. Naja, fรผr Eltern gilt das auch. Also kann man auch dieses Buch wieder gemeinsam lesen, sich vor Lachen รผber den Teppich rollen und sich einfach dran freuen, dass Kinder herrlich kluge Quรคlgeister sind, die in der Regel noch die richtigen Fragen stellen und auch รผber all die Dinge etwas wissen wollen, von denen die Erwachsenen in der Regel keine Ahnung haben.

Bestellen Sie versandkostenfrei in Lehmanns Buchshop: Meyer / Lehmann / Schulze โ€œEndlich Schuleโ€œ, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015, 8,95 Euro

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