Wahrscheinlich wird Papst Franziskus als der große Mahner in die Geschichte eingehen, als der Papst, der seinen (katholischen) Schäfchen unentwegt predigte, sie sollten sich doch bitte wie Christen verhalten. Nicht diese Scheinheiligen sein, die sich das christliche Mäntelchen überhelfen und sich trotzdem wie Wölfe und Schakale benehmen.

Wölfe und Schakale kommen in seinen Predigten noch nicht vor. Dazu ist der Mann aus Südamerika zu gut erzogen. Und auch zu sattelfest in der Bibel, die er nicht auf hochwissenschaftlichem Niveau interpretiert wie sein Amtsvorgänger, sondern so nimmt, wie es wohl auch Paulus und die vielen unbekannten Autoren des Bibeltextes selbst getan haben: Er nimmt die Gleichnisse, wie sie sind, und wendet sie auf unsere Zeit und unsere Probleme an. Und die scheinheiligen Christen kamen 2014 in seinen Predigten zur Fasten- und Osterzeit mehrfach vor.

Als “Christen ohne Erinnerung” zum Beispiel (am Pfingstsonntag, 8. Juni 2014) oder als Streben nach dem alten falschen Götzen: Reichtum.

“Ein Herz, das vom Streben nach Besitz besetzt ist, ist ein Herz, das von diesem Besitzstreben, aber nicht von Gott erfüllt ist”, sagte er im Angelusgebet am 2. März 2014. Er kennt seine Schäfchen. Und er weiß, wie ein Land aussieht, das geplündert ist und in dem die Klüfte aufreißen zwischen reich und arm. Und er kennt die reichen Christen, die ihr Herz mit dem Verlangen nach noch mehr Reichtum gefüllt haben und damit Politik machen. Die gibt es nicht nur in Argentinien – übrigens derzeit das Griechenland Südamerikas und genauso unterm Dauerbeschuss der Gläubiger, die gar nicht so zufällig in den ach so christlichen USA sitzen. Wenn es um ihr Geld geht, hört ihr Christentum auf. Dann werden sie – zu Schakalen und Wölfen. Und sie jagen die Beute, bis sie am Boden liegt.

Man muss kein Christ sein, um diesen immer so freundlich wirkenden und doch so wütenden Papst in Rom zu verstehen. Der seine Rolle nutzt, auch denen ins Gewissen zu predigen, die auf niedrigere Leute schon lange nicht mehr hören, die sich in einer Burg von Alternativlosigkeiten eingemauert haben, obwohl es nur eine Burg aus faulen und oft auch verlogenen Krediten ist. Das Papierzeug von Leuten, die ihr Leben nicht Gott oder einer anderen höheren Sache gewidmet haben, sondern dem schlichten Mammon.

Und die auch nicht mehr wissen, was eine Versuchung ist, weil sie längst die Seiten gewechselt haben. Manche wohl nicht mal merkend, dass es so ist. Nicht immer sieht der Teufel so teuflisch aus wie in der Versuchung Christi (über die Franziskus im Angelusgebet am 9. März 2014 sprach). Er kommt in der Regel ganz sanft, ganz freundlich und zeigt dem Verführbaren die Schätze der Welt. Und er bietet immer den leichten Weg an, diesen verführerischen, breit asphaltierten, “den Weg des Erfolgs und der Macht”.

So ein kleiner, scheinbar sachte hingesagter Satz. Der einem beim Lesen aber gleich ein anderes, wirklich wütendes Buch in den Sinn bringt, das kurz mal für Furore sorgte auch im deutschen Feuilleton, bis dann die üblichen Runtermoderierer und Korrigierer es wieder in die Versenkung schrieben: Karen Duwes “Warum die Sache schiefgeht: Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen”.

Da meinen zwei durchaus die selbe Spezies Mensch. Oder genauer: Mann.

Völlig ins Macherische verdorben

Denn es sind im Prinzip alles Männer, die Karin Duwe beschreibt, ignorante, sture Macher, die nicht mal einsehen, dass sie sich irgendwann einmal korrigieren müssten. Und auch Franziskus meint sie, spricht sie aber lieber sanft und mahnend an. Ein väterliches: Besinnt euch, kehrt um.

Werden sie natürlich nicht tun. Auf sanfte Worte haben sie noch nie gehört. Nicht die im Wirtschaftsteil gefeierten “Investoren” (die zwar Geld irgendwo reinstecken, aber nicht in soziale oder gar ökologische oder daseinsfürsorgliche Projekte), Spitzenbanker, Investmentspezialisten, Nato-Generalsekretäre und was der Herren mehr sind, die die Welt wie ein Schlachtfeld behandeln.

Dabei hat ja die Libreria Editrice Vaticana auch dieses Büchlein mit Predigten und Gebeten von Papst Franziskus eigentlich nur zusammengestellt, um den Gläubigen und Verehrern ein wenig Stoff zum Nachdenken und Besinnen für die Fasten- und Osterzeit in die Hand zu geben, in der wir uns ja gerade wieder befinden, seit die Narren die Ratshausschlüssel zurückgegeben haben. Eine Zeit zum Besinnen, zum Entschlacken – im christlichen Sinn eben nicht nur auf das Abschrubben von Weihnachtsspeck gemünzt. Auch das so eine Sache, die völlig ins Macherische verdorben ist und ihren Ursprungsgehalt völlig verloren hat. Wieder so eine Predigt, in der die Wut dieses Mahners in Rom zu spüren ist (gehalten am Aschermittwoch, 5. März 2014): “Wir wissen, dass uns diese immer künstlichere Welt in einer Kultur des ‘Machens’ und des ‘Nützlichen’ leben lässt, wo wir, ohne es zu merken, Gott aus unserem Horizont ausschließen. Aber damit schließen wir auch den Horizont selbst aus.”

Der Mann hat sein Leben genutzt, um auch über sein Leben als Jesuit hinauszudenken. Ja, was bleibt übrig vom Leben, wenn man sich auf all die profitabel empfohlenen “Nützlichkeiten” einlässt? Die Welt beginnt in lauter (ordentlich zu bezahlende) Nützlichkeiten zu zerfallen. Man muss nicht “zwischen den Zeilen lesen”, um zu merken, worauf dieser Franziskus – mit Recht – sauer ist: “Das Fasten beinhaltet die Entscheidung für einen maßvollen Lebensstil: ein Leben, das nicht verschwendet, ein Leben, das nicht ‘wegwirft’.”

Ein Leben, das in seiner Gier nicht die Welt auffrisst

Und damit meint er mehr als unsere völlig närrisch gewordene Konsumgesellschaft. Das klingt in seinen Predigten immer wieder an. Denn wenn eine Gesellschaft derart verschwenderisch ist wie die unsere, dann wirft sie auch das weg, was sie eigentlich bewahren sollte: die gesamte einmalige Schöpfung. Und – was genauso schlimm ist – die Liebe und Achtung vor den Mitmenschen.

Und auch am 23. April sprach er das Grundthema an in einer Generalaudienz. Scheinbar auch wieder nur so eine schöne fabelhafte Stelle aus der Bibel, als die Frauen das Grab Jesu geöffnet finden und die Engel ihnen zurufen: “Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?”

Aber Franziskus ist keiner, der sich auch nur einen Moment mit Totenkulten aufhält. Er liest die doppelte Botschaft so, wie sie dasteht und münzt sie auf unsere Welt, in der – für die, die nicht blind sind, ist es ja unübersehbar – das Tote regiert: “Wie oft suchen wir das Leben bei den toten Dingen, bei den Dingen, die kein Leben schenken können …”

Die Mahnung bräuchten wir, sagt er, “wenn wir uns in irgendeiner Form von Egoismus oder Selbstgefälligkeit verschließen; wenn wir uns von den weltlichen Mächten und von den Dingen dieser Welt verführen lassen und Gott und den Nächsten vergessen; wenn wir unsere Hoffnungen in weltliche Eitelkeiten, Geld, Erfolg setzen.” (Generalaudienz am 23. April 2014)

Ob das die Ohren und Gehirne derer erreicht, die es angeht? Oder haben die Menschen, die sich längst “als ‘Dinge’ oder ‘Gegenstände'” sehen (Kreuzweg am 18. April 2014), überhaupt noch Sinne dafür, verstehen sie es überhaupt? Oder gehört dazu das, was Franziskus beschwört, wenn er vom Sinn des “dunkelsten Augenblicks” spricht (am 16. April 2014): Demut?

Klingt ganz christlich, ist aber eine ganz alte menschliche Dimension – und übrigens das Gegenteil von Hochmut und Überhebung und Besessensein von den Dingen.

Beim ersten Hören und Lesen dieser Texte fällt einem das nur vage auf. Ist ja immerhin die alte christliche Botschaft zur Einkehr, die Franziskus hier mit vielen Gleichnissen untermauert. Nur ist es eben nicht mehr die Zeit von Jesus, sondern unsere. Und es scheint sich in einigen Dingen wirklich nicht viel geändert zu haben. Nur der Ton des aktuellen Papstes ist ein bisschen mahnender und enttäuschter geworden. Könnte also sein, dass die eigentlichen Mahnpredigten erst kommen. Wenn das immer so weitergeht.

Papst Franziskus “Auferstehung für unsere Herzen”, St. Benno Verlag, Leipzig 2015, 7,95 Euro

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