Anke Kuhl ist eine der acht Laboranten, die sich in Frankfurt am Main zu einer Grafikergemeinschaft zusammengetan haben. Mit ihrer selbstbewussten Art hat die junge Diplom-Designerin auch den Leipziger Klett Kinderbuch Verlag begeistert. Und wer so fröhlich Geschichten und Bücher illustrieren kann, der kann auch selbst Geschichten erzählen. Von Cowboys zum Beispiel, die Angst vor Pferden haben.

Oder den Burschen, den sie mit Hut und Cowboystiefeln mitten in so ein richtiges amerikanisches Westerndorf versetzt hat, selbst zitiert: “Wenn so ein Tier erst mal losrennt, bleibt es womöglich nie wieder stehen.” Ein echtes Problem. Nicht nur eines für Reitanfänger.

Aber wie bekommt man einen Cowboy, der lieber beim treuen Drahtesel bleibt, dazu, aufs hohe Ross zu steigen? – In Bilderbüchern ist das ganz einfach. Dazu sind sie ja da. Da genügt ein einfaches Umblättern und der Bursche wacht in einer anderen Geschichte auf. Oder zumindest: mit Pferd in seiner Bude, einem großen weißen Pferd. Und da das hier eine echte Geschichte für Kinder ist, ist jetzt alles möglich. Denn natürlich muss das Pferd jetzt irgendwie aus der Bude, aber wie? Immerhin wohnt der Bursche direkt unterm Dach. Da muss er sich was einfallen lassen. Und tatsächlich ist er nicht der Typ Feigling, der nicht auf Pferde steigt, weil er oben erst recht zu schlottern anfängt. Er hat nur mit dem Problem zu tun, mit dem alle zu tun haben, die etwas noch nie getan haben: Sie stellen sich alle möglichen Dinge vor, machen sich eine Menge Gedanken darüber, was alles schief gehen könnte und lassen es bei all den Überlegungen dann lieber sein. Vorerst. Und aus guten Gründen.

Bei Pferden ist die Erklärung ja einfach: Sie haben weder Bremse noch Rücktritt.

Nur dass in Anke Kuhls Geschichte die Dinge dann einfach passieren. Denn natürlich läuft nicht alles glatt, wenn der tapfere Cowboy das riesige Pferd auf die Straße abseilt. Ein Blättern, ein Wusch – und schon ist’s passiert und der Held erlebt, wovor er sich am heftigsten gefürchtet hatte. Der große Ritt beginnt. Da lachen die Mexikaner, da wundern sich die Büffel. Und selbst der Geier staunt, wer da vorüberprescht. In Windeseile. Bald auch im Sturmgebraus. Das Pferd ist, wie es ist – und hält nicht an.

Die Geschichte ist längst in jenem Schwebezustand, der gute Kindergeschichten ausmacht – halb Traum, halb Wirklichkeit, eine Welt, die man so zwar im Alltag nie erlebt, aber die jedem bekannt ist, der sich an seine wildesten Träume erinnert. Da ist die alltägliche Logik meist aufgehoben und eine andere Logik ergreift den Erzählstrang. Viel schöner – und irgendwie viel nachvollziehbarer. Das Seltsamste kommt dem Träumer vertraut vor, unzweifelhaft, es kann gar nicht anders sein. Wenn man Geschichten erst einmal konsequent so erzählt, dann entstehen verwirrend vertraute Welten und Situationen.

Das kennen nicht nur Cowboys. Das kennen besonders Kinder, die Dinge zum ersten Mal erleben – und dabei Schwellen überschreiten, die sie vorher nie überschritten haben: der erste Tag im Kindergarten, der erste Tag in der Schule, die erste Schwimmstunde, der erste Versuch, auf dem Fahrrad zu fahren … Irgendwann weiß man zwar, dass das Leben voller solcher Situationen ist und dass man jedes Mal in der Situation des Cowboys ist, der sich darum sorgt, dass der Gaul durchgeht und Schreckliches passieren könnte. Manche werden ihr Lampenfieber und ihre Schwellenangst ihr Leben lang nicht los. Andere entsorgen sie flott, meist schon in jungen Jahren, und trampeln dann wie die Elefanten durchs Leben, ohne Rücksicht auf Verluste, Verletzungen und Kollateralschäden (Jawoll: Die Krieger dieser Welt sind genau solche Typen).

Und dann gibt es all die anderen, die sich das Sorgenmachen zwar nie abgewöhnt haben, weil sie auch gelernt haben, dass es wichtig ist. Denn so denkt man zumindest das Undenkbare schon mal mit und baut Sicherungen ein. Was die Hemmungslosen sowieso nie begreifen werden. Nicht nur Mamas Sicherheiten, sondern richtige – in Kernkraftwerke zum Beispiel, in Autos oder Fahrräder.

Soweit geht die Geschichte, die Anke Kuhl erzählt, natürlich nicht. Sie bleibt auf der Ebene, auf der die Ängste noch pferdegroß sind und ein kleiner, tapferer Cowboy lernen muss, wie man damit umgeht. Ganz unbeeindruckt – das gehört zum nur in den Bildern erkennbaren Teil der Geschichte – durch die Blicke und Kommentare der anderen. Aber das hat er ja schon vorher gelernt, als er tapfer auf seinem Fahrrad fuhr, während die anderen stolz galoppierten.

Es ist so eine Geschichte, mit der die erwachsenen Vorleser zusammen mit ihren kleinen Mitguckern wieder dem eigenen Anfang begegnen und all den eigentlichen normalen Fragen, die dazu gehören. Und die man mit einem “Hab dich nicht so” nicht einfach wegbügeln kann. Und auch nicht muss. Auch später nicht, wenn die Cowboy-Situationen zwar seltener werden, aber nie wirklich aufhören, auch wenn einige (Halb-)Ausgewachsene gern so tun, als hätten sie das alles längst hinter sich. Auch wenn sie damit nur alles Neue, Fremde und Beängstigende von sich fern zu halten versuchen. Wahrscheinlich steht es bei ihnen auch nach traumnassen Nächten auf einmal im Zimmer. Aber dieser Moment danach, der macht den Unterschied. Nähert man sich dem großen Pferd auf dem Teppich und kümmert sich? Oder ignoriert man es einfach?

Das sind Lebensentscheidungen. Die sich – man schaue nur diesem Cowboy zu – mit einem Ernst abhandeln kann, der in Anke Kuhls Zeichnungen fast fröhlich wirkt. So ein bisschen wie bei Lucky Luke, nur dass Morris diese Szene irgendwie vergessen hat, wie es scheint.

Ein richtig traumhaftes Buch für alle, die einen großen Ritt vor sich haben und so ein klein bisschen Bammel, den Gaul zu besteigen.

* Stichwort “Oktober-Bibliothek”: Vorm Einsatz des neuen CMS der L-IZ gingen auch alle Buchrezensionen aus dem Oktober 2014 im großen Chaos der Digitialmaschine verloren. Also veröffentlichen wir sie in den nächsten Tage noch einmal für alle, die sie schon schmerzlich vermisst haben.

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