Ein bisschen lassen in Jo Hilmsens zweitem Buch die us-amerikanischen Autoren Robert Anton Wilson und Robert Shea grüßen, deren Trilogie "Illuminatus!" noch heute immer wieder aufgelegt wird. Und das 40 Jahre nach ihrem Erscheinen, obwohl es ein wildes, anarchistisches, esoterisches Spiel ist mit den gängigen Verschwörungstheorien des 20. Jahrhunderts. Und die sind auch im 21. Jahrhundert nicht tot, sondern feiern grimmige Wiederkehr.

Und zwar nicht nur in seltsam weltfremden Montagsspaziergängen auf Dresdner Pflaster oder in einer neuen Partei, die ihre Angst vor Veränderungen als Alternative verkauft. Es ist, als drehe sich die Zeit im Kreis. Und je weniger Ordnung in der Welt scheint – oder in dem, was die vom Hype besessenen Medien draus machen – umso mehr neigen einige Menschen dazu, ihr Heil in alten Mythen und Verschwörungstheorien zu suchen. Vor allem in solchen, die eigentlich mausetot sind und an Irrationalität nicht zu übertreffen.

Doch mit Irrationalität – man sieht es ja – lässt sich herrlich Politik machen. Vor allem am rechten und ganz rechten Rand der Gesellschaft, wo das Wissen über die Welt durch Arroganz und Ignoranz ersetzt wird. Damit rechnen einige der zumeist ganz naiven Helden in diesem Roman von Jo Hilmsen nicht wirklich. Am ehesten noch der Berliner Journalist Daniel Winterstein, der einen recht dubiosen Freiherrn namens Graf von Wiltberg in seinem noblen Guthshaus in der brandenburgischen Pampa interviewt, weil er den Verdacht hat, dass der weißhaarige Herr nicht nur den Verschwörungstheorien um Neuschwabenland anhängt, sondern auch ein paar Fäden zieht in der Neonazi-Szene in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Nur: Wie kommt man dem Burschen bei, wenn der augenscheinlich (Geld macht Vieles möglich) gute Beziehungen in den Staatsapparat hat?

Eigentlich hat er kaum eine Chance, dem Burschen beizukommen, Würden sich da nicht ein paar Dinge ereignen, die nicht nur Winterstein nach und nach einen tiefen und erschreckenden Blick in die Welt des Herrn Wiltberg ermöglichen. Ein seltsames Video fällt dem Altwarenhändler Karl Munkelt in die Hände, ein Aussteiger scheint aus dem Innersten des Zirkels zu berichten, in dem Wiltberg einem Wotan-Kult huldigt, der – wie so Manches aus der dunklen rechten Ecke – zusammengeschustert ist aus alten Germanenmythen, indischen Legenden und den dunklen Überlieferungen der Thule-Gesellschaft. Doch so ganz unbemerkt kam Munkelt nicht zu seinem Fund, so dass er ziemlich bald Besuch von breitschultrigen Schlägertypen bekommt.

Und auch der Pfleger Benjamin Krause ahnt nicht, mit wem er es zu tun bekommt, als er nach einem Einbruch in seine Wohnung den Tipp eines sehr hanfverliebten Freundes annimmt, sich einfach mal als Kurier zu verdingen für einen geheimnisvollen Auftraggeber: Einfach mal eine Sendung nach Holland fahren, ohne zu wissen, was drin ist. Was soll’s? Er ahnt nicht, dass ihn der Trip letztlich in die mongolische Steppe führen wird, wo er – blind von einem Brandereignis – den Herren Urban und Blumentritt hinterher trottet – und einem gut erzogenen Kamel. Soll ja keiner verloren gehen in seiner Geschichte, da passt Jo Hilmsen schon auf.

Urban und Blumentritt, die sich ja auch im Titel so schön beschimpfen, sind zwei liebenswerte Bewohner des Heimes, in dem Benjamin am liebsten sofort kündigen würde. Am Ende retten die beiden etwas abgedrehten Herren Benjamin das Leben. Auch wenn im Prolog alles ganz, ganz finster aussieht.

Und so ganz ohne rettende Engel geht es auch in dieser Geschichte nicht. Denn ein bisschen träumen darf man ja, dachte sich Jo Hilmsen, der in Altenburg geboren wurde, in Brandenburg und Berlin lebte, die Arbeit in Behinderteneinrichtungen kennt und seit 2005 in Leipzig lebt. Da kennt er auch die Beichte über die auf Sparflamme gekochte sächsische Polizei. Ein bisschen steht auch sein Kriminalkommissar Mewes für die polizeiliche Sparpolitik. Eigentlich ist er ja im Drogendezernat tätig, kennt deswegen Benjamins Kumpel Bernd bestens. Aber wie der Zufall es will, wird ihm auch noch alles andere übergeholfen, was am Ende mit diesem Fall zu tun hat, so dass der emsige Kommissar schon längst in Aktion ist, als Benjamin noch glaubt, einen tollen neuen Job gefunden zu haben, und Karl Munkelt, Daniel Winterstein und dessen Kollegin Nina auf eigene Faust recherchieren, obwohl sie schon wissen, mit was für gefährlichen Leuten sie es zu tun haben.

Im Roman darf man das. Da darf man von so einer effizient arbeitenden Polizei träumen. In der Realität würde Kommissar Mewes wohl schon an der brandenburgisch-sächsischen Landesgrenze scheitern. Denn schnell muss es auch noch gehen. Denn der Dilettantismus seiner Helden wird natürlich bestraft. Das Böse kennt kein Pardon. Im Grunde ist Wiltberg einer dieser smarten und trotzdem völlig durchgeknallten Bösewichte, wie sie in guten Verschwörungsromanen immer die Fäden ziehen, auf den ersten Blick echte noble Gutsherren von altem Schlag, in denen alle Welt nur die Wohltäter sieht. Hinter einer reichen Fassade kann man alles verstecken. Wer sieht es schon, wenn er es nicht sehen will?

So weltfremd ist die Fiktion ja nicht. Manche Gegenden im nördlichen Bandenburg und in Vorpommern können ein Lied davon singen von diesen seltsamen Neusiedlern vom rechten Schlag, die sich in ihren Gemeinden als Wohltäter gerieren und da und dort auch gut bewachte Ferienlager gründen, in denen mal wieder andere Erziehungsmethoden gelten. Im Grunde gibt es genug Stoff in diesem Buch, der erschrecken ließe, wenn nicht gerade die letzten Jahre gezeigt hätten, wie leicht Menschen sich von den krausesten Behauptungen und Mythen lenken lassen und dann auch noch glauben, sie hätten eine neue Wahrheit gefunden, würden jetzt endlich sagen dürfen, was irgendwer verboten hat zu sagen.

Das Buch passt also erstaunlich sauber in die Zeit, auch wenn Hilmsen – wie Shea und Wilson – seine Freude daran hat, die wilden Verschwörungsphantasien aufzudröseln, etwas ernsthafter als die beiden Amerikaner. Denn ganz so lustig wirkt der Mythos von einer am Pol versteckten Herrenrasse ja nicht aus der neueren, deutschen Perspektive. Da wabert wieder was. Oder immer noch. Und es verbrüdert sich eifrig mit den nationalistischen Schlagedraufs aus der Nachbarschaft, die für ihre Länder genauso obskure nationalistische Legenden träumen.

Stichwort: Neonationalismus. Der auch deshalb fröhliche Urständ feiert, weil er nicht allein ist bei der Demontage der modernen Staaten und Gesellschaften.

Im zweiten Buch von Jo Hilmsen entwickelt sich diese Melange zu einer zuweilen sehr dramatischen wilden Jagd, bei der nicht wirklich klar ist, ob der Autor seine Helden am Ende der Geschichte alle wieder unversehrt einsammeln kann. Da und dort greift er zur liebevollen satirischen Überspitzung, denn ein wenig ist das Buch ja auch sein Beitrag zu all den heute so beliebten Verschwörungs-Romanen – man denke nur an den wilden Hype um den “Da-Vinci-Code”. Es gibt augenscheinlich viele Menschen, die sich für solche Mysterien-Spiele begeistern. Und nicht alle nehmen sie es als das, was sie eigentlich sind: gut gemachte Gedankenspiele mit einem gewaltigen Schuss Phantasie. Die Grenzen sind fließend. Und etliches, was Hilmsen seine Neuschwabenländler träumen lässt, stammt eigentlich aus alten Fantasy-Schwarten – wie hier aus Edgar Bulwer Lyttons “The Coming Race”. Aber wie man weiß, konnten und wollten das auch schon im 19. Jahrhundert einige Leute nicht auseinander halten. Und im 20. und 21. ist das nicht anders. Im Gegenteil: Die Sehnsucht vieler Menschen nach einem gewaltigen Schuss Mystik und Esoterik in ihrem Leben scheint riesengroß. Und die Verführbarkeit, die Welt als mystische Verschwörungskulisse zu betrachten, auch.

In gewisser Weise versucht Jo Hilmsen ja diese neuen, alten Geister in seiner temporeich erzählten Geschichte zu jagen und zu bannen. Wohl wissend, dass es in der Realität mehr braucht als einen kauzigen Kommissar Mewes und zwei, drei tapfere Zivilisten, die den Kopf nicht einziehen, wenn sie merken, dass ein Typ wie Wiltberg sein Unwesen treibt.

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