Manchmal gehen Zeitalter zu Ende und man merkt es nicht. Oder will es nicht merken. Man gibt sich ganz christlich, spendiert 1 Million Euro für einen Katholikentag, beschwört auf seltsamen Demonstrationen den Untergang des christlichen Abendlandes. Dabei existiert es gar nicht mehr. Das merkt man, wenn man diese 13 Mordversuche aus dem Leipziger fhl Verlag liest. Dabei haben sich die Autoren alle Mühe gegeben.

Es ist einer dieser thematischen Sammelbände, in denen der fhl Verlag seine Autoren mal zu einem Topos der Kriminalliteratur arbeiten lässt. Giftmorde waren schon dran, vermasselte Morde auch, und nun geht’s auf heiligen Boden. Oder Heiligen Boden? Das ist die Frage.

In der Nachbarabteilung, dem Historischen Roman, geht es ja derzeit genauso heilig zu, werden Bischöfe, Ketzer und Heilige wiederbelebt, versuchen Autoren des 21. Jahrhunderts die Frömmigkeit und die Strenge des Mittelalters nachzuempfinden, kriechen oft tief in alte Archive und Forschungsbestände. Und scheitern in der Regel gründlich. Denn sie kommen nicht aus ihrer Haut. Sie bleiben Bewohner eines vom actionreichen TV geprägten Jahrhunderts und haben wohl auch alle in der Regel nie Mark Twains genialen Roman “Ein Yankee an König Artus’Hof” gelesen, wo er mit Lust und Witz demonstriert hat, was passiert, wenn man das Tempo und den Geist der Moderne mitten hinein pflanzt in ein Jahrhundert, in dem andere Regeln und Tempi gelten. Das Problem der meisten Autoren ist: Sie haben diesen Witz nicht. Sie meinen es richtig ernst. Und sie haben auch nichts bei Umberto Eco gelernt, der seine historischen Romane auf ein gewaltiges Potenzial wirklich erarbeiteten historischen Wissens aufbaut.

Was das mit dem “Sakrament des Todes” zu tun hat? – Eine Menge. Denn die meisten Autoren des kleinen Bandes sind alles andere als gläubig, und wenn, dann schon lange nicht mehr im mittelalterlichen Sinn, als das Heilige noch ein mit Gefühlen der Furcht, der Ehrfurcht, des Tabus verbunden war. Ein Mord im Kirchenraum war ein Sakrileg. Genauso wie die Schändung von Hostien, Ehebruch, Kindsmord, Kirchenraub, Selbstmord und was noch alles dazu gehörte. Diese Rolle spielen die 13 ausgewählten katholischen Kirchen hier alle nicht. Auch nicht im Mönchskrieg, den Frank Kreisler ins mittelalterliche Bad Doberaner Kloster verlegt hat. Aber katholische Kirchen sollten es schon sein, denn an einem Band mit Morden in evangelischen Kirchen wird auch noch gearbeitet. Und vor 100 Jahren, als der Topos “Mord in der Kirche” den frühen Kriminalroman noch mit dem Gruselroman verband, hätte das vielleicht auch noch funktioniert. Mit der gespenstischen Stimmung gar wie im “Hund von Baskerville”, knarrenden Kirchentüren, finsteren Himmeln überm Kirchturm und schiefen Grabkreuzen ringsum. Grabschändung haben wir noch vergessen als mittelalterliches Tabu.

Aber diese Welt – und auch diese historische Erzählschicht der Kriminalliteratur – sind den Autoren, die Andreas M. Sturm hier versammelt hat, sichtlich fremd. Auch Andreas M. Sturm, dessen Teufel in “Pakt mit dem Teufel” ein ganz moderner Teufel ist, ein echter Verbrecher, der keine Skrupel kennt und auch für einen lächerlichen Diebstahl mordet. Also eher das, was unsere moderne Gesellschaft besonders erschreckt, weil es sich als Verbrechen mittlerweile völlig skrupellos gibt, völlig ohne Mitgefühl oder irgendwelche moralischen Sicherungen.

Einen anderen modernen Teufel lässt Eva Lirot in “Limburg sucht den Superbischof” auftreten – und der so in Pracht und Hochmut gestrauchelte Ex-Bischof von Limburg ist es nicht, was die Sache nicht besser macht. Denn der andere Teufel, den Eva Lirot vorsichtshalber von Balken nennt, ist das großmäulige Abbild all derer, die in unserer modernen Welt alles zu Markte tragen, was sich zu Geld machen lässt, egal, ob das nun pubertierende Schlagersternchen sind, Bischofssitze oder kleine, schnuckelige Altstädte.

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Mafiös geht es auch in Hughes Schlueters “Der Bibel Code” zu, während Martina Arnolds “Das Wunder der Heiligen Barbara” eher in die Kategorie der gescheiterten Verbrecher gehört, Jan Fliegers “Finsternis” ebenso. Das muss dann auch der Herausgeber im Vorwort zugeben, dass es seiner Runde von ganz unfrommen Autoren augenscheinlich schwer fiel, Gotteshäuser überhaupt noch zum Tatort zu machen. Eher geschehen die Taten dann doch etwas weiter weg und haben allesamt sehr moderne Motive als Auslöser – auch Romy Fölcks “Todsünde” und Anne Mehlhorns “Schuld und Sühne”. Was natürlich daran liegt, dass für die Helden dieser 13 kleinen Geschichten die Kirche schon lange nicht mehr die moralische Instanz ist. Sie hadern – ganz modern – mit ihrem eigenen Gewissen, mit ihren Vorstellungen von Recht und Unrecht. Manchmal sind es kleine Ganoven, die versuchen, mit ihren Taten irgendwie durchzukommen, manchmal taucht auch das rücksichtslos Grausame auf, das heute so apokalyptisch wirkt, weil wir uns selbst gern suggerieren, eine aufgeklärte Gesellschaft würde eigentlich keinen Platz mehr bieten für den introvertierten Wahnsinn.

Leider tut sie es doch. Und seit der medialen und politischen Glorifizierung des Terrorismus seit dem Jahr 2001 steckt dieses irrationale Denken auch tief in den Apparaten von Macht und Politik. Da wird auch mit einem Riesenaufwand nach Terroristen gejagt, wenn es sich – wie in Patricia Holland Moritz’ “Das Fest” – um einen verstörten Einzeltäter handelt. Ihre Geschichte ist auch eine kleine Hommage an Georges Simenon – und auch Jan Flieger erweist einem Großen des Genres seine Referenz: Hakan Nesser.

Die Bilanz am Ende ist dann eher: Kirchen – selbst Katholische Kirchen – eignen sich heute eigentlich gar nicht mehr für Mord und Totschlag. Und auch das kirchliche Personal ist nicht mehr ganz so christlich, wie es mal war. Verbrecher sind skrupelloser als einst und das Heilige an den Orten ihrer Taten ist ihnen eigentlich Wurst (auch wenn einige heutige Kriminalautoren wie versessen darauf sind, ihre Krimis im Dunstkreis finsterster Todsünden anzusiedeln). Eher sind es simple Habgier, Eitelkeit, Neid oder Missgunst, die die Täter antreiben. Die Ehrfurcht vor sakralen Räumen kennen sie eigentlich nicht mehr.

Das Ergebnis sind dann 13 kurze Geschichten, in denen die Autoren die Spielarten des Kurzkrimis durchprobieren, manchmal mit Finesse, manchmal mit Gefühl für Atmosphäre, manchmal auch mit fröhlicher List am Rätsel. Nicht immer geht die Sache gut aus und das Gute gewinnt auch nicht immer. Und manchmal bleibt auch das Ende rätselhaft. Aber das Irrationale verschwindet ja nicht aus der Welt, nur weil die Mehrheit der Zeitgenossen nicht mehr in Gottesfurcht lebt. Es wird nur deutlicher und sorgt für fette Schlagzeilen, meist mit fetten großen Fragezeichen dahinter. Da hat selbst der an sich selbst schon irrationale Boulevard dann das vage Gefühl, dass es Menschen gibt, die in seltsamen Kopfwelten leben und Seltsames tun. Futter für geplagte Kriminalkommissare und unersättliche Krimiautoren.

www.sakrament-des-todes.de

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