Ganz so naiv, wie die romantische Zeichnung auf dem Umschlag wirkt, ist Lisa Brokempers erster Roman nicht. Auch wenn es um Liebe geht, eine Frage, die ja bekanntlich schon Hurvinek bewegte und die Spejbl nicht wirklich schlüssig beantworten konnte. Da passiert einfach zu viel. Und manchmal weiß man auch einfach nicht, was es eigentlich ist.
So geht es auch Jana, die nach einem eher ratlos verbrachten Studienbeginn der Tiermedizin in die Ferne zieht. Nur weg aus Deutschland, Abstand finden, wieder einen klaren Kopf finden und möglichst noch einen ganz anderen Blick auf die Welt. Sie tritt ihr Auslandsjahr recht überstürzt an, man könnte auch sagen: zupackend. Nicht lang überlegen, Praktikumsplatz suchen, Flug buchen, losfliegen. In diesem Fall nach Thailand. Zu einer Gastfamilie, die sie freudigen Herzens aufnimmt, und zu einem richtigen Abenteuer im Waisenhaus von Singburi, weit ab von der Landeshauptstadt Bangkok. Da kann man nicht einfach abhauen, muss sich mit Land, Menschen und Sprache beschäftigen. Und die Sache einfach erleben.
Jana ist zwar ein Menschlein voller Selbstzweifel, voller strenger Analyse ihrer Lage, ihrer Handlungen, ihrer Beweggründe. Dass das mit dem Tiermedizinstudium nicht so recht gelang, liegt nicht wirklich an ihrem Willen. Was die Sache nicht einfacher macht. Denn wenn man einen starken Willen hat, aber auch mit 20 Jahren noch nicht weiß, wo nun der richtige Weg für einen ist – da hat man ein Problem. Ein zermürbendes. Erst recht, wenn auch noch ein paar andere Fragen ungelöst sind. Was Jana zwar weiß, aber lieber verdrängt. Immerhin hat sich das zwischen ihr und ihrer alleinerziehenden Mutter bisher als bestes Mittel entpuppt, einigermaßen konfliktfrei miteinander umzugehen.
Und dann landet sie nicht nur mitten in der Regenzeit in Thailand und in ihrer kleinen Gastfamilie, sie landet auch – kaum hat sie sich umgesehen – in einer recht seltsamen Beziehung zu Michael, ihrem Gastvater. Kommt vor. Kommt ja nicht nur in Thailand vor, dass einen verwirrende Gefühle befallen. In diesem Fall recht heftig und beiden bewusst. Auch wenn sie zumindest in den ersten Tagen eifrig bemüht sind, das voreinander zu verbergen. Immerhin wissen sie, wie kompliziert dadurch alles wird. Und mit Michael und Lea hat Jana ja eine fast bezaubernd liebe Gastfamilie gefunden. Sie fühlt sich wohl. Und als auch noch Hannes auftaucht, der mit ihr gemeinsam im Waisenhaus Singburi beginnt, ist alles beieinander, was das Auslandsjahr schön und aufregend machen könnte.
Man muss ja der Verwirrung der Gefühle nicht folgen. Irgendwann ist ja auch die Regenzeit vorbei. Dann könnten sie ja abflauen. Manchmal liegt die Verwirrung ja nur an Hitze und hohem Wassergehalt in der Luft.
Und in gewisser Weise gelingt es Jana auch, das Thema für ein paar Monate auf kleiner Flamme zu kochen. Emotionen sind eben da, ob man will oder nicht. Und nicht jede Zuneigung ist ja darauf angelegt, auch gleich in eine wilde Affäre zu münden. Denkt zumindest Jana. Denkt Michael wohl auch.
Wären Menschen rationale Wesen, gäbe es keine Liebe und keine Verwirrungen. Alles wäre klar.
Und der Auslandsaufenthalt würde – vollgepackt mit faszinierenden Eindrücken einer fremden, reichen und bunten Gesellschaft – auch genauso traumhaft zu Ende gehen. Wären Emotionen wirklich so leicht beherrschbar. Sind sie aber nicht, was Jana und der 17 Jahre ältere Michael dann auch merken. Und dass ausgerechnet die Situation, in der sie eigentlich alles klären und aussprechen wollen, so heftig schief geht, ist vielleicht nur der Dramaturgie der Autorin geschuldet. Aber irgendwie hat man ja als Leser schon die ganze Zeit drauf gewartet. Ungeklärte Emotionen sind ja nicht wirklich auszuhalten. Irgendwann drängt alles dazu, sich in einem Gewitter zu entladen. Manchmal reinigend, manchmal völlig zum falschen Zeitpunkt, so dass das ganze so liebevoll gehegte Kartenhaus mit einem Krach zusammenstürzt und von heute auf morgen nichts mehr ist, wie gedacht.
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Und vor allem: Genau das Drama ist angerichtet, das die braven Helden doch unbedingt vermeiden wollten. Womit nun auch noch Gewissensbisse und falsche Schuldgefühle toben. Wenn das Fass der Gefühle erst einmal geöffnet ist, dann bleibt auch der Geschichte nur, jetzt Tempo aufzunehmen und richtig dramatisch zu werden. Mit Krach und Flucht und einer unverhofften Begegnung der gar nicht feinen Art, die aus der eben noch knisternden Ja-ist-das-denn-Liebe-Geschichte eine hochdramatische Räuberpistole macht, bei der es um Leben und Tod geht. Mittendrin natürlich Jana, die im entscheidenden Moment gar nichts mehr sagen und beitragen kann, weshalb – und diese Konsequenz ist bei jüngeren Autoren erstaunlich selten geworden – Hannes und Michael die Sprecherrollen so lange übernehmen müssen, bis Jana wieder ansprechbar ist. Womit zumindest auch ihre Seite der verwirrten Gefühle noch zu ihrem Recht kommt.
Immerhin ist es ja nicht nur eine verzwickte Dreier-Beziehung geworden, sondern eine verzwickte Vierer-Kiste. Und drumherum ein paar dubiose Ereignisse um das Waisenhaus von Singburi, wo augenscheinlich so einiges nicht mit rechten Dingen zugeht. Zufall ist es eher, dass Jana mitten hinein gerät und damit eine Kette von Ereignissen auslöst, die das Ende ihres Thailand-Aufenthaltes zumindest noch tröstlich machen, wenn auch nicht leichter. Denn eigentlich wollte sie ja niemandes Herz beschweren, auch nicht Leas. Aber wie kann man das verhindern, wenn augenscheinlich ein paar unausgesprochene Dramen unterschwellig die ganze Zeit mitköcheln?
Eines davon könnte auch Janas komplizierte (und gut verschlossene) Beziehung zu ihrem Vater sein, die noch kurz vorm großen Showdown Eingang findet in die Geschichte und zumindest vermuten lässt, dass ungeklärte Elterngeschichten ihren guten Anteil haben an allen Verwirrungen im späteren Leben. Jana macht sich das freilich nicht einfach, schon gar nicht auf die freudsche Art. Sie nimmt den Leser mit in ihre oft selbst dramatischen Analysen. Im Grunde lässt sie nichts unreflektiert und zeigt damit wohl ganz die Haltung der Autorin zur Welt, die in Bonn Mathematik und Physik auf Lehramt studiert. Wenn das nicht analytisch ist …
Und da Jana augenscheinlich nicht der Prinzessinnen-Typ ist, der sich auf Abenteuer, die sich so anbieten mitten in der Regenzeit, ohne viel Überlegen einlässt, entsteht am Ende eigentlich eine Beinah-und-beinah-nicht-Geschichte, eine, die alle Möglichkeiten offen lässt, auch die, dass das, was da zwischen Jana und Michael passiert, eben nicht das erwartbare Tarzan-und-Jane-Spiel ist. Auch wenn die exotische Stimmung dazu passen würde. Irgendwie kommt sie bei all ihrem Nachdenken zu dem Schluss, dass sie es wohl mit einer anderen, noch viel verwirrenderen Art der Zuneigung zu tun hat, die im üblichen Schema von Liebe ja / Liebe nein eigentlich keinen ordentlichen Platz hat. Und ein ordentliches Mädchen ist sie ja. Keine Frage.
Umso herzhafter und trauriger wird der Abschied aus einem Land, das Jana gerade erst lieben gelernt hat, und aus der kleinen Gastfamilie, die erst einmal nur noch einem Trümmerhaufen ähnelt. Ein Abschied, aber kein Happyend. In gewisser Weise folgt ein solches noch, auch wenn eher nur ein halbes. Sind ja mindestens zwei Geschichten, die sich da verknotet haben. Und von denen keine darauf hindeutet, dass mit dem letzten Kuss im Buch auch alles zu Ende erzählt ist. Aber das sind nicht die schlechtesten Geschichten, bei denen am Ende noch was übrig bleibt.
Lisa Brokemper “Regenzeitversuchung”, Edition Hamouda, Leipzig 2014, 9,80 Euro
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