Diese schreckliche Moderne. Sie hat das 20. Jahrhundert geprägt. Generationen von Kunstwissenschaftlern haben sich den Kopf darüber zerbrochen. Jahrgänge von Kunstexperten haben sie schon für tot und erledigt erklärt, haben die Post-Moderne zur Erbin hochgeschrieben. Und doch ist sie so lebendig wie eh und je. Ein bisschen abgenutzt. Ein bisschen schäbig. Und trotzdem noch präsent genug, um Künstlerinnen wie Margret Hoppe zu faszinieren.

Die in Greiz geborene Fotografin, die an der HGB in Leipzig studierte, hat gerade den Kunstpreis der Sachsen Bank bekommen. Aktuell werden ihre Bilder im Museum der bildenden Künste ausgestellt. Und – mit dem Preis in Verbindung – bekam sie jetzt auch diese Publikation, in der sich noch einmal die Arbeiten aus der Ausstellung wiederfinden nebst zwei Würdigungstexten von Oliver Fern vom Preisstifter Sachsen Bank und Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der bildenden Künste, ergänzt um ein ausführliches Interview von Sarah Alberti mit der Künstlerin über ihre Motive und Anregungen und einen kleinen Versuch von Marc Ries, zwei Fotografen-Positionen ins Gespräch zu bringen.

Denn wenn sich jemand so intensiv mit der Architektur des Altmeisters der modernen Architektur, Le Corbusier (eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris), auseinandersetzt, dann bekommt er, bekommt sie es auch mit dem von Le Corbusier persönlich autorisierten Fotografen seiner Bauwerke zu tun, mit Lucien Hervé, dessen Schwarz-Weiß-Fotografien mit ihrem strengen Muster von architektonischen Geometrien und scharfen Schattenrissen die gesamte Architekturfotografie des 20. Jahrhunderts beeinflusst haben. Sie prägen auch bis heute das Bild von den Architekturentwürfen Le Corbusiers. Diese Fotografien haben auch schon frühzeitig den Blick des (Foto-)Betrachters auf die von Menschen künstlich geschaffenen Wohn- und Lebenswelten verändert. Nicht ganz so theoretisch-abstrakt, wie es Marc Ries aus der Feder fließt. Kunstwissenschaftler leben zum Teil in erstaunlich theoretischen Welten.

Aber auch das gehört zur Moderne. Das war schon zu Le Corbusiers Zeit so, als das moderne Bauen auch begleitet wurde von zum Teil heftigen theoretischen Diskussionen. Da wurde sich durchaus ernsthaft gestritten, wohin es nun gehen sollte: eher in eine Verknappung der Formensprache, die Reduzierung auf das industriell gefertigte Design, das sich mit modernen Werkstoffen leicht reproduzieren lässt – so, wie es auch die Bauhaus-Schule vertrat, – oder doch eher das moderne Ausreizen der neuen Möglichkeiten, die Stahl, Glas und Beton als moderne Werkstoffe boten? Kühne Bau-Experimente, die die neue Ästhetik über die simple Funktionalität stellen?

Mal ganz davon zu schweigen, dass die Grenzen von Moderne und Post-Moderne fließend sind und Architekten wie Le Corbusier schon in den 1950er Jahren versuchten, den Formenkanon zu erweitern. Was Schule machte. Auch im scheinbar so tristen Osten, wo man neben den strengen Wohnbauten genauso die abgewandelten architektonischen Experimente sieht – manchmal noch als stille Ruine im Land, manchmal auch schon emsig entfernt von Leuten, denen der pompöse Stil des Historismus lieber ist, wenn man mal an den Palast der Republik in Berlin denkt. Architektur wird gern auch als Zeichen einer Epoche und einer Ideologie begriffen. Und so setzt man mit Bau und Abriss selber Zeichen. Was der Diskussion um die Moderne weitere Diskussionsfelder anfügt.

Das ist nicht das Thema von Margret Hoppe. Auch wenn sich das natürlich spiegelt in ihrer Arbeit der letzten zehn Jahre. Denn den Einstieg in ihre fotografische Erkundung der modernen Architektur hat sie im Osten Europas gestartet – in den zahlreichen Fundgruben der DDR-Moderne genauso wie in denen Serbiens oder der Slowakei. Dazu kamen dann nach und nach auch die Befunde aus Frankreich oder Kanada. Das ist im dritten Teil dieses Bandes dokumentiert, in dem Margret Hoppe Bilder aus Ost und West im Dialog zueinander stellt. Das Eine spiegelt sich im Anderen. Der ganze aufgeblasene Kalte Krieg verhinderte nicht, dass sich die Architekten in Ost und West alle im selben Dialog bewegten und bei dem Versuch, für die heutigen Städte adäquate Formensprachen zu finden, zu ganz ähnlichen Lösungen kamen. Was auch mit dem international geführten Diskurs über neue urbane Räume zu tun hat.”Typologien der Moderne” nennt Margret Hoppe diesen Teil, der auch ein wenig Archäologie der Moderne ist. Margret Hoppe wäre auch gern Archäologin geworden, sagt sie. So hat sie auch diesen suchenden Blick, der im Bestehenden auch das Vergängliche sieht. Ihre jüngsten Projekte beschäftigen sich alle mit dem Werk Le Corbusiers, der so prägend wurde gerade für die städtischen Architekturen der Neuzeit. Seine Bauten stehen in Frankreich, Deutschland, Italien, Afrika, Indien, Südamerika. Wie kaum ein anderer Architekt verkörpert er den Anspruch, neue Räume für ein neues Lebensgefühl zu bauen, neue Raumstrukturen, die auch die alten städtischen Strukturen aufsprengen sollten.

Doch kaum ein halbes Jahrhundert später wirken diese Raumlösungen in Ost wie West wie Fremdkörper, wie aus der Zeit gefallen, befremdlich gerade dadurch, dass sie auf klare geometrische Formen setzen, die Reduktion auf das Wesentliche. Bei Le Corbusier auch stark reduziert auf die sichtbaren Baumaterialien Beton und Glas. 1926 konnte Le Corbusier von all dem noch schreiben unter dem utopischen Titel “Kommende Baukunst”. Es sind die Ideen der 1920er Jahre, die sich nach dem Krieg in allen Ländern der Welt entfalteten und oft genug für den politischen Anspruch einer modernen, wissenschaftlich begründeten Welt standen.

Bewusst bezieht sich Margret Hoppe auf Le Corbusiers Voraus-Blick aus dem Jahr 1926, indem sie den zentralen Teil ihrer jetzigen Ausstellung und den Hauptteil des Bildbandes nun “Après une Architecture” nennt. Was für Le Corbusier das Kommende war, ist für die heute Lebenden das, von dem man sich trennt irgendwie, auch wenn die neue Landschaft der Post-Moderne ähnlich schwer zu greifen ist. Auch in diesem Bezug auf eine Moderne, die sich schon in der Bezeichnung deutlich absetzen wollte von allen Kunstepochen zuvor. Ist ihr das geglückt? Oder hat sie dadurch selbst eher dafür gesorgt, dass sie auch im Nachhinein als ein Fremdkörper begriffen wird, als etwas, das sich nicht einfügen lässt? Auch nachträglich nicht?

Margret Hoppe nimmt ja die Diskussion nicht mit theoretischen Texten auf, sondern mit der Kamera, hat lauter Le-Corbusier-Orte in Europa bereist und hat versucht, sich von den existierenden Architektur-Fotografien zu lösen – von den allbekannten Hochglanz-Fotografien der Neuzeit genauso wie vom eindrucksvollen Werk Lucien Hervés. Sie fotografiert – anders als Hervé – durchgehend in Farbe. Manchmal fotografiert sie sogar dieselben Motive – wie die Lichtschächte in Couvent de Saint-Marie de la Tourette – und sorgt damit auch für neue Verwirrungen. Denn schon bei Hervé wirkte dieses Motiv in Schwarz-Weiß zeitlos abstrakt. Bei Hoppe wirkt das groß aufgezogene Foto wie eine kubistische Malerei. Wer den Kontext nicht kennt, ist verunsichert.

Aber das ist eine der wichtigsten Arbeitsweisen Hoppes, die durchaus den Maler-Blick hat auf das von ihr Fotografierte, auch wenn sie gern sagt, das sei die Kamera, die den Blick ändere. Das Verblüffende ist, dass sie eindeutig reale Motive, Raumausschnitte, Sichtachsen wählt, die geradezu typisch sind für Le Corbusiers Architektur, die aber auch die Raumstrukturen deutlicher machen und die zuweilen drastische Strenge der konkreten Details – Treppenaufgänge, Nischen, Flure, Türfluchten. Die Ausschnitte verraten in der Regel nicht, welcher Funktion das Gebäude eigentlich dient, zeigen aber auch, wie präsent Farbe, gläserne Strukturen, Säulen und andere architektonische Elemente überall in den Bauten Le Corbusiers sind. Für Hoppe ein guter Grund, anders als Hervé eben doch in Farbe zu fotografieren. In der Schwimmhalle Firminy hat sie sich dann auch mal selbst mit ins Bild gesetzt: Spurensucherin bei der Arbeit.

Überhaupt bieten sich Le Corbusiers Bauten zum Spiel mit den Elementen an, für eine Inszenierung des bewusst inszenierten Sichtbetons. Bauensembles wie die Unité d’Habitation in Berlin oder Marseille drängen sich auch auf für die heute drängenden Fragen: Ist diese Architektur tatsächlich lebbar? Oder wirkt sie nicht gerade durch ihre strenge Geometrie eher leblos, verschlossen und beengend? Denn die Faszination der Geometrie ist zwar für Fotografen ein Hingucker – aber wie wirkt das, wenn man in diesen Ensembles dauerhaft leben will? Oder ist das nur der Eindruck des Betrachters der Fotos, in denen Hoppe bewusst auf die Präsenz von Menschen verzichtet hat?
Was sie im Bildband übrigens aufbricht, indem sie im Mittelteil “Installationsansichten” ihrer Ausstellungen in Essen und in der Leipziger Spinnerei zeigt, in denen junge Leute bei der intensiven Betrachtung ihrer Fotos zu sehen sind. Was natürlich auch wieder die Sichtweise der Fotografin betont: die Moderne als betrachtetes Objekt. Der Betrachter in sichtlicher Distanz. Lässt moderne Architektur gar nichts anderes zu? Hat auch Le Corbusier hier etwas übersehen, auch wenn er versucht hat, den Menschen als Maßstab einzubauen in seine Entwürfe? Hat man deshalb dieses Gefühl, mit den Bauten der Moderne nicht mehr viel anfangen zu können, außer da, wo sie als reine Zweckbauten errichtet wurden, sie einfach weiterzunutzen? Sorgt die Fixierung auf den reinen Zweck am Ende dafür, dass so Vieles schlicht nur noch zwecklos wirkt? Reif für die Abrissbirne?

Da Margret Hoppe den archäologischen Blick bevorzugt, liefert sie natürlich keine Antworten mit. Auch der Gesamttitel “Das Versprechen der Moderne” ist eher eine Frage. Denn verheißen haben die Theoretiker der modernen Architektur ja so einiges. Aber: Haben sie es auch einlösen können? Oder sind sie an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert? Haben sie zu viel versprochen?

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Margret Hoppe. Das Versprechen der Moderne
Hans-Werner Schmidt, Scheidegger & Spiess 2014, 29,00 Euro

Oder hatten sie den falschen Traum, den Traum von einer idealen Stadt für den idealen, funktionstüchtigen Menschen, der ja bekanntlich in Ost wie West gleichermaßen geträumt wurde. Ein Traum, der so nicht aufgegangen ist, weil sich der Mensch nicht auf seine Funktionen reduzieren lässt?

So gesehen – ein fotografischer Diskussionsbeitrag zu einer Debatte, die in den 1920er Jahren im Zeichen der Moderne begann, und der mit den manchmal hörbaren Verzweiflungen der Post-Moderne auf andere Weise fortgeführt wird.

www.scheidegger-spiess.ch

www.margrethoppe.com

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