Es gab mal Zeiten, da war der Krieg - zumindest aus Sicht der jeweiligen politischen Elite - der "Vater aller Dinge". Das ist noch nicht allzu lange her. Politische Händel wurden mit scharfen Waffen ausgefochten, wer die Söldner bezahlen konnte, setzte seine Interessen durch. Leipzig hat das in 800 Jahren immer wieder leidvoll erfahren. Denn die Kriegsherren waren auch immer auf das Geld der Leipziger aus.
2013 stand das Thema “Stadt und Krieg” über dem Tag der Stadtgeschichte, mit dem der Leipziger Geschichtsverein schon seit ein paar Jahren thematische Schwerpunkte setzt im Vorfeld des Jahres 2015, wenn die dreibändige große Stadtgeschichte erscheint. Seit über 100 Jahren wird das erstmals wieder eine Gesamtschau mit neueren Erkenntnissen. Gustav Wustmann lässt grüßen, denn in vielen Themenbereichen gilt heute noch das, was der namhafte Stadtgeschichtsforscher vor über 100 Jahren geschrieben hat. Und eigentlich war schon 2009 zu ahnen, was da auf die Forscher zukam. Das bestätigt jetzt nach und nach: Die Leipziger Stadtgeschichte ist voller Löcher. Selbst wichtige Themengebiete sind erst bruchstückhaft erforscht.
Das trifft auch auf die kriegerischen Seiten der Stadtgeschichte zu. Und auf den Beginn, den Enno Bünz in seinem ersten Beitrag versucht zu umreißen: “Eine wehrhafte Stadt?” Denn Stadtgründungen in Mitteleuropa waren geprägt von Mauern, Türmen und Gräben. Wahrhaftigkeit fand nicht nur auf dem Stadtsiegel statt. Sie war der Grundcharakter der Stadt, die zumeist im Schutz einer Burg entstand. Fast immer war die Reihenfolge: erst die Burg, dann die Stadt. Auch in Leipzig. Denn es waren nicht nur kriegerische Zeiten, in denen sich Herrschaftsverhältnisse erst festigen mussten und das Recht auf der Straße lag. Burgen und Städte waren Knotenpunkte der Wirtschaft. Märkte wurden geschützt und waren von Anfang an das Kernelement einer ummauerten Stadt. Die Bürger mussten wehrhaft sein und hatten ihre Mauerabschnitte, die sie im Ernstfall zu verteidigen hatten. Und Waffen hatten sie auch. Auch die Stadt Leipzig betrieb bis in die Neuzeit hinein ein Zeughaus. Denn nicht nur wenn die Stadt selbst bedroht war, mussten die Bürger zu den Waffen, auch wenn der Fürst rief, musste Leipzig ein bewaffnetes Kontingent entsenden. Das war alles festgelegt – bis auf die Ausrüstung und die Männer pro Wagen genau.
Das schildert Thomas Krzenck sehr genau am Beispiel der Hussitenkriege, die nicht nur Leipzig bedrohten (und Altenburg versehrten), sondern auch die Herrschaft der Wettiner direkt bedrohten. Mehrfach mussten Leipziger Kontingente ausrücken – und Aktenfunde lassen nur ahnen, wie die Niederlagen wohl auch auf die Emotionen in der Stadt zurückgewirkt haben müssen. Waren diese Hussiten überhaupt zu schlagen?
Der nächste Beitrag von Max Stern springt zwar gleich zum Schmalkaldischen Krieg 1547. Aber kurz zuvor – das belegen Akten – musste ein Leipziger Kontingent auch mit, als der sächsische Herrscher mit dabei war, den Bauernaufstand 1525 in Thüringen niederzuschlagen. Die Frage, ob die Leipziger Landsknechte mit dabei waren, als die Bauern bei Mühlhausen niedergemetzelt wurden, wird nur angerissen. Denn zumindest scheint wahrscheinlich, dass es nicht unbedingt die eigenen Stadtkinder waren, die losziehen mussten, sondern dass die Stadt selbst die Kontingente zusammenwarb, die der Fürst bestellte, und sie auch bezahlte.22 Jahre später, als sich Herzog Moritz (nach dem in Leipzig die Moritzbastei benannt ist) an der Seite des Kaisers gegen die im Schmalkaldischen Bund vereinigten protestantischen Fürsten engagierte, war es genauso. Nur dass der Konflikt nicht im fernen Böhmen oder Thüringen ausgefochten wurde, sondern quasi unter Brüdern in Sachsen – es war der sächsische Kurfürst Johann Friedrich, der die reichste Stadt des benachbarten Herzogtums belagerte und beschießen ließ, wie es auf der zweitältesten Leipziger Stadtansicht zu sehen ist. Da sieht man das halb zerschossene herzogliche Schloss, den niedergelegten Henkersturm. Trotzdem zogen die Belagerer am Ende ab ohne Erfolg. In Leipzig war für sie nichts zu holen gewesen. Auch weil das Erobern von wehrhaften Städten die Ressourcen der Belagerer damals noch überstieg.
Das sollte sich erst 100 Jahre später ändern, als der 30-jährige Krieg auch nach Sachsen kam und Leipzig mehrfach belagert und genommen wurde. Zwischendurch war die Stadt mit den berühmten Festungswerken aus der Amtszeit von Hieronymus Lotter aufgerüstet worden – den starken Bastionen und der Pleißenburg. Es half nur nichts. Wenn Städte mit den übermächtigen Herren keine friedliche Ãœbergabe aushandelten, drohte – wie in Magdeburg – die Plünderung und Zerstörung der ganzen Stadt. Teuer wurde es so oder so. Und aus der Zeit des 30-jährigen Krieges haben sich etliche Rechnungen erhalten über die Summen, die die Leipziger aufbringen mussten, um die diversen Besatzer zu versorgen.
Aber die diversen Kriege zeigen auch, wie sich das Militärwesen in gewisser Weise zivilisierte, wie sich Fürsten und Heerführer nach und nach Regeln auferlegten, mit denen die umkämpfte Substanz geschont werden konnte. Denn aus einer funktionsunfähig gemachten Stadt konnte keiner mehr eine Kontribution herauspressen. Und erschlagene Stadtbewohner waren auch nicht mehr fleißig und konnten auch keine Steuern mehr zahlen.
18 Flicken für eine Geschichte voller Löcher: Leipzigs Bedeutung für die Geschichte Sachsens
Der Titel “Leipzigs Bedeutung für die Geschichte Sachsens” …
Leipzigs neues Jahrbuch zur Stadtgeschichte: Von slawischen Ursprüngen, Wagner-Denkmälern, Runden Tischen und gestohlener Kunst
Er vereint die emsigsten Stadtforscher …
Ein Sammelband zur Leipziger Wirtschaftsgeschichte: Messe, Buchstadt und ein Ozean von weißen Flecken
In Vorbereitung auf das 1.000. Jahr …
Das Prinzip wurde mit den Kriegen der modernen absolutistischen Herrscher immer mehr ausgefeilt und am Ende hat es wohl keiner besser beherrscht als Friedrich II. von Preußen, der den Siebenjährigen Krieg praktisch damit begann, erst einmal Sachsen zu besetzen und als Kriegsgegner auszuschalten, und Leipzig mit einer Besatzung zu versehen, um sich hier die nötige Finanzierung für seinen Krieg zu erpressen. Mit allen Folgen bis hin zur Zerstörung der Währung, wie Christoph Zeumer in seinem Beitrag zum Siebenjährigen Krieg beschreibt. Leipzig war praktisch sieben Jahre in Geiselhaft – nicht nur symbolisch, sondern – in Person seiner Bürgermeister und anderer Honoratioren – auch faktisch. Und das Verblüffende für den Leser dieser gesammelten Vorträge von “Tag der Stadtgeschichte 2013” ist, wenn sie am Ende des dicken Bandes auf Verhaltensweisen der Offiziere des 20. Jahrhunderts stoßen, dass sich diese Verhalten im Agieren der preußischen Offiziere schon vorwegnimmt. Man betrachtete Städte als große Melkkuh, aus der alles herauszupressen war, was man zur Unterhaltung des Krieges brauchte.
Dazwischen liegt dann das verwirrende 19. Jahrhundert mit seinen zum Teil sehr widersprüchlichen Kriegserfahrungen und Kriegsmythen. Das beginnt mit den Interpretationen der Schlacht bei Leipzig (die wir heute Völkerschlacht nennen) und endet nicht mit der Teilnahme sächsischer und Leipziger Soldaten am Krieg von 1866 (auf der Verliererseite) und dem von 1871, als die Sachsen sich bei Saint-Privat in einem blutigen Angriff quasi andienten als brave neue Bundesgenossen im neuen Deutschen Reich. Mit dem Ergebnis, dass sie – wie die Bayern – ihren König behalten durften.Natürlich haben die Autoren der Beiträge in diesem Buch eher wenig Sinn für das ganze Heldengedöns. Sie beleuchten lieber, was bisher unbeleuchtet blieb: die wirtschaftlichen Folgen für die Stadt, die wachsende Rolle der modernen Verkehrsmittel, angefangen bei der Bahn, die schon den deutsch-französischen Krieg von 1871 beschleunigte, aber auch das im Jahr 1813 noch sehr rudimentäre Militärlazarettwesen und natürlich – wo nachweisbar – die Rückwirkungen auf die Stadtgesellschaft. Denn Protest (ja ja: aus der linken, der Arbeiterecke) gab es schon 1871. Nur hatte die kaum Einfluss auf das Geschehen. Bis zum 1. Weltkrieg lag auch die städtische Gewalt komplett in der Hand der reichen, konservativen Bürger. Bis zum Beginn der Weimarer Republik bestimmte die Steuerkraft darüber, wer im Stadtrat mitreden konnte und wer nicht.
Deswegen war auch das 1888 errichtete Siegesdenkmal auf dem Markt zuallererst ein Denkmal des konservativen Leipziger Bürgertums, das mit diesem teuren Prachtstück auch zeigen wollte, was man sich in Leipzig so leisten konnte.
Natürlich wird auch der lange Weg zum Leipziger Völkerschlachtdenkmal und dessen vielfältiger politischer Missbrauch beschrieben. Und erstmals etwas ausführlich wird auch erzählt, wie es den daheimgebliebenen Leipzigern während des 1. Weltkrieges erging und wie aus dem ersten, noch zaghaften Kontra (Karl Liebknecht) schon 1916 ein heftiges Rumoren wurde gegen diesen Krieg, dessen Folgen sich in der Versorgungslage immer mehr bemerkbar machten. Die selben Effekte gab es dann auch im 2. Weltkrieg, der noch einmal wesentlich detaillierter analysiert wird – hier kommt die Leipziger Kriegsindustrie ins Bild, die – genauso wie die Infrastrukturen – zum Hauptangriffsziel der alliierten Bomberverbände wurde.
Aber auch die sehr heftige Umgestaltung unter den amerikanischen und sowjetischen Besatzern wird analysiert. Immerhin hatte die neue Stadtregierung nicht nur eine völlig zertrümmerte Stadt wieder ins Laufen zu bringen, Hunderttausende Flüchtlinge zu versorgen und eine desaströse Versorgungslage zu bewältigen – sie mussten auch die Entnazifizierung vorantreiben und die neuen Verwaltungsstrukturen schaffen, in der Regel unter voller Befehlsgewalt der Militäradministrationen.
Stadt und Krieg
Ulrich von Hehl, Leipziger Uni-Verlag 2014, 62,00 Euro
Einige der Vorträge aus der Tagung von 2013 konnte, teilt von Hehl mit, nicht verschriftlicht werden. Dafür steuerten einige Autoren noch Texte bei, die damals im Rahmen der Tagung nicht unterzubringen waren.
Dieser nunmehr schon achte Band der “Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig” bringt ein schweres und wichtiges Puzzle-Stück ein in die erstaunlich vielfältige Leipziger Geschichte. Und er benennt noch stärker als die Vorgängerbände, wie lückenhaft die Stadtforschung der letzten Jahrzehnte war. Man ahnt schon, wie die Autoren der Großen Stadtgeschichte zu tun haben, das oft noch rudimentäre Material zu bändigen und wenigstens die Grundlinien herauszukristallisieren, ohne die sich Stadtgeschichte mit modernen Ansprüchen nicht erzählen lässt. Man kann gespannt sein auf das, was da kommen wird.
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