Am liebsten treffen sie sich im Café Waldi. Vielleicht auch nur, weil es in Leipzig weit und breit kein englisches Café gibt, irgendeinen dezenten Club, in dem noch Butler servieren und Herren ohne standesgemäßen Anzug höflich hinauskomplimentiert werden. Denn das, was die Mitglieder des Leipziger Krimi-Stammtischs anstellen, ist eigentlich feine englische Art: andere Leute so clever wie möglich unter die Erde zu bringen.
Dafür stehen Autoren wie Patrick Quentin, John Collier, Roald Dahl. Sie haben die Kunst der bitterbösen, heimtückischen Short Story verfeinert für eine Leserschaft, die die Überraschung liebt, die echte angelsächsische Schadenfreude und das wohlerzogene Grausen, wenn mal wieder ein allseits unbeliebter Zeitgenosse auf recht merkwürdige Weise das Zeitliche segnete.
Natürlich tendieren kurze Kriminalgeschichten gern von allein in das Reich der schnellen, deftigen Überraschungen. Da ist kein Platz, groß über gesellschaftliche Missstände zu philosophieren, die Mühsal zäher Ermittlungen zu schildern oder Taten und Tatorte besonders genussvoll und ausführlich zu beschreiben. Manchmal passt auch ein Ermittler nicht mehr in den Text. Es muss ja schnell gehen – 15 Seiten, ab in die Grube.Das verlangt eine saubere straffe Erzählung, einen guten Plot und am besten noch ein kleines, überschaubares Figurenensemble. 2012 haben es die Damen und Herren des Leipziger Krimi-Stammtischs erstmals durchgespielt. Und sie hatten sichtlich ihre Freude daran. Denn wenn man in so illustrer Runde erst einmal anfängt, gelten neue Regeln. Dann geht es nicht mehr nur um die Frage: Können wir die Leser überraschen? – Dann kommt auch der Ehrgeiz. Und Krimi-Autoren sind ehrgeizig. Noch viel ehrgeiziger als andere. Denn richtig gut wird eine Story erst, wenn man damit auch noch die Kollegen, die sich ja im kriminellen Tun bestens auskennen, überraschen kann.
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Womit man wieder bei der feinen englischen Art wäre, die nun mit dem von Hartwig Hochstein betreuten Krimi-Stammtisch in Leipzig neu aufgelegt ist. Dem ersten Band folgte ein zweiter. Da konnte Herausgeber Hochstein noch so tun, als könnte das auch der letzte sein. Doch bei Nummer 3 tut er nun nicht mehr so. Erst recht nicht, weil es der Stammtischrunde gelungen ist, einen der größten Krimi-Liebhaber Leipzigs mit ins Boot zu holen: Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz, der seine Karriere einmal als Kriminalpolizist in Leipzig begann. Natürlich ist er kein neuer Henry Slesar und auch kein Arthur Conan Doyle. Aber er hat so einiges erlebt in seiner Laufbahn – und manches hat ihn selbst als gestandenen Kriminaler berührt – so wie die Geschichte jenes Leipzigers, dem 1989 der Weg in den Westen glückte, und der dann doch wenig später in Leipzig sein trauriges Ende fand. Die Geschichte hat er für diesen dritten Teil der Stammtischmorde beigesteuert, die zum Glück eines nicht sind: alle nach einem Schema geschrieben.
Im Gegenteil: Die 13 Mittäter lassen durchblicken, dass sie durchaus schon eigene Themen, Arbeitsweisen und Stile entwickelt haben. Immerhin haben ja einige von ihnen schon eigene Bücher vorgelegt – Altmeister Jan Flieger vorneweg, der seit DDR-Zeiten das Genre des Thrillers pflegt, Andreas M. Sturm, der seine Kommissarin Wolf in Dresden ermitteln (und manchmal verzweifeln) lässt oder Stefan B. Meyer, dessen Leidenschaft eher der politische Krimi ist. Alle drei spielen auch in ihren Kurz-Krimis auf dieser Klaviatur.Wobei ein kleines Novum in diesem Band der historische Kurz-Krimi ist, vertreten insbesondere durch die stimmungsvolle Geschichte “Hügel der Stiefel” von David Gray aus dem bornierten Wilden Westen Amerikas, der wohl eher verklemmt als wild war. Andere Autoren – wie Joachim Anlauf – spielen mit den Elementen einer durchgeknallten Gegenwart: Er traut dem Volks-Bespaßungs-Sender MDR durchaus zu, auch mal einen eigenen “Big Brother” für sozial Schwache aufzulegen.
Während Traude Engelmann und Mandy Kämpf durchaus die direkte Anknüpfung an die fein gesponnenen, tiefschwarzen Geschichten der englischen Crime-Ladies suchen, frei nach dem Motto: Es kommt immer anders, als es sich eine ausgedacht hat. Denn der große Reiz solch kurzer Geschichten ist ja, wenn der Leser sich bis ganz am Ende sicher fühlt und zu wissen glaubt, wie es ausgeht – und dann sorgt ein winziges Moment der Unachtsamkeit dafür, dass alles anders kommt.
Der Leser bekommt also ein hübsches Spektrum der kriminellen Abgründe angeboten, von denen einige durchaus auch im braven Bürger stecken – so ein bisschen Rachedurst, Neid, Habgier und Bosheit findet sich bestimmt auch im so friedlich dreinschauenden Nachbarn. Und wie wäre es mit den Strippenziehereien der großen und kleinen Politik, die Stefan B. Meyer so gern als Webmuster nimmt?
Stammtischmorde III
Hartwig Hochstein, fhl Verlag Leipzig 2014, 12,00 Euro
In diesem Fall in einer Geschichte, die sich etwas intensiver mit dem Zustandekommen von Privatisierungsbeschlüssen in einem Kommunalparlament beschäftigt. Denn manches Verbrechen kommt in freundlicher Verführung daher. Und erst hinterher weiß der tapfere Held der Gegenwart, wie leicht verführ- und erpressbar er tatsächlich ist.
Kein Buch also für Leute, die noch immer glauben, die Welt wäre in bester Ordnung. Und so, wie sich die Stammtischbande auf Seite 233 präsentiert, ist wohl damit zu rechnen, dass sie ihre nächsten Taten schon geplant hat und die Opfer auserkoren. Muss ja nicht jedes Mal eine hübsche Servierkraft sein, die auf dem Stammtisch das bedauernswerte Opfer gibt …
www.stammtischmorde.de
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