Eigentlich müsste es neben der Rubrik Kinderbuch auch so etwas geben wie eine Rubrik "Bilderbücher für Erwachsene". Oder "Bilderbücher für groß gewordene Kinder". Da wäre Pocco pissi nicht ganz allein. Ganz bestimmt nicht. Eigentlich heißt der Hund nur Pocco, passt in einen Koffer und tut, was man von Hunden so kennt: alles anpinkeln, was irgendwie zum Revier gehört. Und trotzdem sind die kleinen Pinkler beliebt.

Hetty Krist ist Grafikerin, lebt und arbeitet in Frankfurt, gibt sich sonst auch sehr ernsthaften Themen hin – wie der klassischen Musik zum Beispiel. Aber diesmal hat sie ihrer Liebe zum Hund einfach mal die Zügel gelockert und den kofferkompatiblen Rocco zum Helden einer bebilderten Reisegeschichte gemacht. Der kleine Hund erzählt quasi aus Hundeperspektive, wie das so ist, mit Frauchen ins herrliche Paris zu fahren. Eigentlich, um dort Dominic, den Sohn von Frauchen zu besuchen. Aber Paris ist ja auch heute noch für eine Künstlerin das Traumreiseziel. Da muss man einfach immer wieder hin, um einmal richtig in Kunst zu baden und das Flair dieser Stadt einzuatmen.Und noch einen großen Zug Geschichte dazu. Das ist ja in Paris alles eins. Und weil Pocco der Hund einer Künstlerin ist, hat er selbst künstlerische Talente entwickelt: Er kann richtige Kunst pinkeln. Das kann nun wirklich nicht jeder. Und so zaubert er, während er die Gerüche Pariser Abfallbehälter genießt, schnell mal Napoleon, de Gaulle, Picasso und die Piaf aufs Trottoir, versucht sich auch an Notre Dame und den tanzenden Katzen vom Moulin Rouge.

Es ist schon erstaunlich, was so ein kleiner Hund alles von Pariser Geschichte weiß. Aber der Blick auf das Tierchen, das sich hier so emsig durch Paris pinkelt, ist natürlich der liebevolle Blick von Frauchen. Menschen sind so: Sie legen ihre eigene Vorstellungen auf das Verhalten des Tieres. Und weil Hundchen brav gelernt hat, Frauchen eine Freude zu sein, ergänzt sich das. Ein Herz und eine Seele. Da spiegelt sich in Roccos Freude an den Pariser Straßengerüchen natürlich die Freude von Frauchen, die ihr Paris wieder genießt. Ist ja nun wirklich nicht mit Frankfurt zu verwechseln. Im Grunde ist ja Paris ein einziger Spielplatz der kulturellen Erinnerungen, die sich tief ins sehnsuchtsvolle Gemüt der Europäer eingegraben haben – nicht nur Moulin Rouge (wo die Katzen und die Mädchen mit den langen Beinen tanzen) und jeder Straßenkünstler ein verkleideter Toulouse-Lautrec sein könnte (übrigens wohl der Lieblingsmaler von Frauchen), sondern auch der unfassbare Eifelturm (den Rocco natürlich ebenfalls mit Grazie vor Frauchens Schuhe pinkelt, um dann ein innerliches Hoch! auf Pissi und Kaka anzustimmen) oder das Café “Hugo” am Place des Vosges, wo Rocco sein Recht als Mitmensch einfordert: Bedienung, aber knurr!

An die heiligen Plätze der Kunst darf er ja sowieso mit – in Frauchens Rucksack, so dass nur Nase und Glubschaugen herausschauen und im Louvre geradezu glühen beim Betrachten der Mona Lisa. Der Paris-Besuch entpuppt sich als eine kleine Einladung, die europäischste aller Metropolen mal wieder zu besuchen, die Jugendstileingänge in die Metro zu bewundern und sich auf der Eintrittsmatte des La Coupoule zu wälzen. Na gut, das sollte man vielleicht nur als Hund tun, als kleiner, knuffiger Taschenhund, vor dem auch Kinder keine Angst haben, wenn er wie närrisch den Strawinsky-Feuervogel vorm Centre Pompidou ankläfft. Was geht da noch drüber?Natürlich echte Hunde-Höhepunkte wie die Begegnung mit einem hungrigen Pariser Straßenköter und der Besuch auf dem ältesten Hundefriedhof der Welt, wo die Pariser von ihren treuesten Freunden eindrucksvoll Abschied nehmen. Mit Sprüchen, die so mancher Mensch nie auf seinen Grabstein bekommt: “Tu seras dans notre cours.” (“Du wirst immer in unseren Herzen sein.”) Es geht doch nichts über die innige Freundschaft von Hund und Mensch.

Aber da Pocco ein philosophischer Hund ist, denkt er bei dieser Gelegenheit auch über sein seliges Ende nach. Immerhin ist er ja auch nicht mehr der Jüngste, da werden auch Hunde melancholisch. Was werden die Menschen auf seinen Grabstein schreiben? Vielleicht: Er war ein fleißiger Pinkler?

Wenn es schon so nachdenklich wird, ist meist der Abschied nicht weit. Was Pocco zeigen wollte, hat er gezeigt: ein Paris in romantischer Erinnerung an Toulouse-Lautrec. Noch ein Abstecher zu Dominic, dann geht’s heim zu Katze Cosima und Pater Amandus, der seine heilige Freude daran hat, den Hund gleich mal zu füttern. Motto: “Ich esse fast alles, auch Spaghetti und Oliven.” Da hätte Pocco eigentlich nach Rom reisen sollen. Aber was soll einer machen als Hund, wenn Frauchen unbedingt in ihr geliebtes Paris will?

“Pocco pissi in Paris”, Hetty Krist, Lychatz Verlag, 9,95 Euro

www.lychatz.com

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