Eltern mit schwachen Nerven sollten dieses Buch ganz bestimmt nicht unter den Weihnachtsbaum legen. Oder ihren Kindern gar verraten, dass es dieses Buch gibt oder ihnen auch nur 13,95 Euro geben, damit sie sich im nächsten Buchladen mal ganz fix ein ganz, ganz tolles Buch kaufen können. Und sollte es dennoch im Kinderzimmer auftauchen: Rette sich, wer kann.

Warnungen stehen genug drauf, vorn, hinten, mittendrin. “Nachmachen auf eigene Gefahr”. Das gilt für alle: für große und kleine Kinder, die sich das Buch heimlich besorgt haben und nun Klassenkameraden, Freund, Eltern, Großeltern und Onkel Alfred, das Ekel, mal so richtig in den Wahnsinn treiben, zum Kreischen bringen und in Panik versetzen. Denn hier ist einiges drin von dem, was sich clevere kleine Biester in langen Jahren eifrigen Ausprobierens so ausgedacht haben, um ihre Mitwelt in Schockstarre zu versetzen. Es gibt Kinder, die lieben das. Früher haben sie mit Begeisterung Regenwürmer ausgegraben, Spinnen, Mäuse und Ratten gefangen. Das ist nicht mehr nötig.

Lyn Thomas weiß es. Vielleicht war die Autorin aus Victoria, British Columbia (Kanada) ja mal selber so. Aber man darf auch ein braves Mädchen gewesen sein, das bedeutet noch lange nicht, dass einen die eigenen Kinder verschonen. Und dann ist sowieso alles anders, dann wählt man entweder die Rolle des Elternteils mit dauerndem Bluthochdruck und Alptraum-Nächten. Oder man macht mit. Irgendwann wird das Kind ja mal vernünftig. Eltern glauben so was. Ganz ehrlich.

Die andere Rolle ist die schönere und klebrigere: Man macht mit und wird wieder jung, wenn man das eigene Kind quietschen hört  vor Freude, dass der Schabernack geklappt hat. Früher hat unsereins dem grimmigen Nachbarn Blechbüchsen ans Auto geknotet oder die Gartenpforte mit Marmelade eingeschmiert.

Vielleicht kommt das noch in einem eigenen Jungs-Buch. Das hier ist eigentlich eher ein Mädchenbuch. Und die meisten deftigen Überraschungen wird sich wohl Lyns Tochter Emma ausgedacht haben. Jedenfalls erinnert sich Lyn Thomas noch mit Freude an die Zeit, als ihre Tochter mit Warzen,Rotznasen, Schleimwürmern und Gemüse-Kotze ihren Spaß hatte. Das Kind ist ja mittlerweile selber groß. Also mussten fürs Experimentieren andere Kinder ran: Chloe und Payton, die augenscheinlich besonders an den essbaren Kackwürsten ihren Spaß hatten.

Die Warnung gilt also auch für diesen Text.

Erschienen ist das Buch erstmals 2009 bei Kids Can Press unter dem Titel “100 % Pure Fake”. Lyn Thomas hat nicht einfach nur aufgeschrieben, was ihr so aus eigener Erfahrung und den Erlebnissen mit ihrer Tochter einfiel, sie hat das Ganze auch experimentell aufgezogen. Man soll’s ja nachmachen können. Oder lieber nicht? Der Verlag warnt, die Autorin warnt. Die wichtigste Warnung: “Wir bitten vielmals um Entschuldigung für dieses Buch. Das Leben bei Ihnen zu Hause wird nie mehr so sein wie vorher. TUT UNS ECHT LEID!”

Wie gesagt: Wenn die Kinder erst einmal spitz kriegen, dass es das Buch gibt, ist es mit der Familienruhe vorbei. Dann kann sich Papa gefasst machen auf seltsame gelbe Pfützen in der Wohnung, fette Kakaoflecke auf seinem Lieblingsbuch oder einen Haufen rosa Gedärm mitten auf dem Gartenweg. Wenn  die Phantasie von Kindern erst mal losgelassen ist, gibt es kein Halten mehr. Dann muss man auch mit braunen Kackhäufchen unter der Bettdecke rechnen oder knirschenden Splittern unterm Flurfenster. Dann ist Tom-Sawyer-Stunde: “Wer war das? Wo ist der Lümmel!”

Oder wie wär’s mit abgeschnittenen Fingern? Ein uralter Trick. Aber wer nicht damit rechnet, fällt in Ohnmacht oder ruft den Rettungswagen schneller, als das Kind den Trick erklären kann. Will es das überhaupt? Bei einigen der fein mit Rezept und Handlungsanweisung versehenen Tricks kommen uralte Erinnerungen auf an Zeiten, als man selbst noch dumm war und auf der wehrlosen Seite der Kindheit, als einen andere Rabauken mit solchen Streichen so richtig nach Strich und Faden verkohlt haben. Nicht gerade mit einem auf Silberteller servierten Gehirn – dazu gehört dann schon ein bisschen Grips. Aber den herausspringenden Augapfel, der war schon heftig genug. Als Knirps unter 8 erwartet man ja nicht wirklich, dass der menschliche Körper derart leicht kaputt geht. Das mit dem Blut kennt man ja schon: aufgeschlagene Knie und Ellenbogen, blutige Ratscher von Glasscherben und Dornenbüschen …

Auch damit kann man Eltern gewaltig erschrecken. Und so erklärt Lyn Thomas auch, wie man schöne blutige Knie, Wundnarben und Warzen herstellt, all das Zeug, mit dem  man bei Gleichaltrigen so richtig Eindruck schinden kann: Nur ein verwundeter Cowboy ist ein richtiger Cowboy.

Nur dass das alles aus Lyn Thomas Experimentierküche kommt und eben das ist, was auf der englischen Original-Ausgabe steht: ein hundertprozentiges Fake. Die Zutaten stehen in der Regel in der Küche rum – und wenn sie da nicht stehen, gibt es sie im Laden. Gelatine und Nahrungsmittelfarben spielen eine Rolle, aber auch solche eh schon schlabberigen Dinge wie gekochte Nudeln, Apfelmus, Haferflocken und kleingehächselte Mohrrüben und Brokkoli. Was das Ergebnis noch viel schrecklicher macht: Einige der wirklich ekligen Dinge, mit denen man eben den grimmigen Onkel Alfred zur Weißglut gebracht hat, kann man nicht nur fröhlich quietschend wieder aufheben, sondern auch noch genüsslich … Wenn Ekel Alfred dann nicht kreidebleich ins Bad stürzt, hat der Trick nicht wirklich gut funktioniert.

Und wenn hier schon mal von kleinen braunen Kackhäufchen die Rede war (oder je nach Vorliebe auch lange oder geringelte Würstchen), dann darf, wer’s mag, gleich durchblättern zur Seite 42, wo das Rezept steht, wie man sich leckere knackige Würste für die Brotdose backen kann. Das schindet Eindruck.

Es gibt auch etliche Warnhinweise. Manches sollten, gerade wenn die angehenden Lausbuben noch klein sind, die Eltern in der Herstellung liebevoll begleiten. Die haben eh die Wahl, was für Kinder sie mal haben wollen – brave Modestreber, die so sind wie alle anderen Kindern, konsumgeil und phantasielos, oder echte Kinder, denen es ein Heidengaudi ist, ihre Mitwelt zu verblüffen. Auch mal mit echten Schockern. Und die dann schon mal ein  gutes Rüstzeug haben für das richtige Leben, wo in der Regel nun mal alle die den größten Spaß haben, die sich die besten Streiche ausdenken.

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