Maik Martschinkowsky ist - noch viel stärker als die anderen Mitglieder der Lesebühne "Lesedüne" - der Philosoph unter den Bühnenautoren. Er verrät zwar nicht, welche Studiengänge er in aller Frische in seinem Kühlschrank aufbewahrt, aber Philosophie und Soziologie scheinen dazu zu gehören. Und damit macht er nicht nur seine beiden Lieblingsfiguren Maurice und Lilith verrückt.
Selbst den doch recht verständnisvollen Verlag scheint er ins Grübeln gebracht zu haben. Zumindest ist das von ihm mitgelieferte “Vom Verlag nicht gebilligte Inhaltsverzeichnis” darauf hin zu deuten, in dem der große verzweifelte Jünger der Jünger, Hegel und Nietzsche anklingt. Denn wer sich mit dem Problem des Nichts beschäftigt, der hatte alle Reifestadien zum deutschen Großdenker durchlaufen. Und wenn er dann auch noch beim Psychotraining im Jobcenter auf Gleichkarätige trifft, dann kann das zu einem schönen geistigen Schachspiel werden. In Martschinkowskys Geschichten ist alles möglich. Aber leider nur dort. Denn das Problem der hochsensiblen Selberdenker in Deutschland ist: Ihre Qualifikationen braucht der übliche Verwaltungsablauf nicht. Und den Platz hinterm Schreibtisch können auch Leute einnehmen, die den betreuten Kunden nicht das Wasser reichen können. Was der Behörde sowieso egal ist. Die ist ja nicht geschaffen worden, Menschen einen hochqualifizierten Platz im Leben zu vermitteln, sondern sie gefügig zu machen für den Einsatz als simples, nicht-denkendes und anspruchsloses Werkzeug.
Oder um einmal die selbst verirrte Psychologin aus Martschinkowskys Geschichte “Von nichts kommt was” zu zitieren: “Das hier ist das Arbeitsamt, Her Martschinkowsky. Hier passiert nichts Spannendes. Der ganze Betrieb ist ein großer Bottich, in dem Gold in Blei verwandelt wird: Die Leute kommen hierher mit Zeit, zum Teil auch mit Talenten und bisweilen Ideen. Und wir transmutieren das alles in grauen Alltag.”Nicht die einzige Begegnung übrigens des Berliner Autors mit der so genannten Wirklichkeit. Und allein ist er damit in der bunten Welt der Bühnenautoren auch nicht. Man muss ja nur losgehen und versuchen, sich mit den neuen Entwicklungsformen der modernen (nach einigen Autoren auch postmodernen) Gesellschaft zu beschäftigen. Galerien etwa, die sich gewaltig verändert haben, seit der Markt bestimmt, was Kunst ist, und nicht mehr der Kunstkenner. Gibt es überhaupt noch solche?
Einer wie Martschinkowsky jedenfalls kann jede Vernissage sprengen, wenn er beginnt, im wissenschaftlichen Kauderwelsch die üblichen heutigen Smalltalks über Kunst und was sie ist und wann sie ist zu imitieren. Wahrscheinlich hat er irgendwo in seinem Studium so einen kleinen “An”-Knopf eingebaut bekommen, der ihn sofort losplappern lässt, wenn er dieses verzwickte Gefühl hat, in einer völlig abgedrehten Szenerie gelandet zu sein. Und davon gibt es ja unendliche: das Warten etwa an einer Bushaltestelle, an der schon vor einer halben Stunde mal ein Bus hätte vorbeikommen müssen (“Ist er in ein schwarzes Loch geraten?”), und ein seltsamer Earthling will unbedingt wissen, wo es hier zum nächsten Club geht und hält verschwundene Busse überhaupt nicht für ein Problem, über das sich nachzudenken lohnt.
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Oder wie ist es mit den ganzen absonderlichen Namen in Liliths Gewürzregal: Drängen die nicht geradezu darauf, zu Helden in einer wilden Fantasy-Geschichte zu werden? Oder: Warum gibt es eigentlich keine Gebrauchsanweisung für das Leben in der heutigen Gesellschaft?
Jetzt gibt es sie. Martschinkowskys hat sie geschrieben: “Allgemeine Sicherheitshinweise”. – “Meine Damen und Herren, herzlich willkommen an Bord der kapitalistischen Marktwirtschaft …” – Ein Kleinod der kurzen Prosa. Und ein schöner Fingerzeig aus Berlin, dass man dort sehr wohl den selben Kummer hat mit der Flugbahn unseres Raumschiffs. Man begegnet sich. Wenn schon nicht bei der nächsten Lesebühne (in Leipzig liest Martschinkowsky wieder im Dezember), dann doch bei der netten Psychologin vom Arbeitsamt. Ob sie hübsch war, hat der Autor nicht verraten. Aber nett war sie. Man kannte sich ja aus dem Wartezimmer, wo alle, alle gleich sind.
Wenn einer Philosophie studiert, heißt das freilich nicht, dass er nicht auch andere Berufe ausprobiert hat: Dachdecker, Tischler, Gespenst, Zeitarbeiter oder Weihnachtsmann zum Beispiel. Man lernt eine Menge, wenn man’s wirklich macht. Und gar so weit von der Realität ist das, was der ewige Philosoph da kennengelernt hat, wohl nicht. Denn auch wenn Berater einem sonstwas versprechen – die meisten Berufe sind eher der mehr recht als schlecht organisierte Versuch, die Dinge getan zu bekommen. Die Regeln sind meist eher informell als zuverlässig. Und auch die ach so effiziente Gegenwart hat ihre Löcher, Dunstwolken und Aha-Erlebnisse, bei denen einer, wenn er clever ist, vor allem lernt, unbeschäftigt sehr geschäftig auszusehen. Dazu muss man nicht mal in einer Behörde arbeiten, das geht auch in einer Garagentorproduktion.Woran das alles liegt, muss auch Martschinkowsky ja keinem mehr erklären. Wenn man die grauen Theorien einer von Effizienz besessenen Möchtegern-Wissenschaft auf alle gesellschaftlichen Bereiche anwendet, machen zwar einige Leute einen gewaltigen Reibach, der Rest erlebt aber zunehmend verstärkt kafkaeske Zustände, die dann natürlich Stoff für Martschinkowskys Kurzgeschichten werden – etwa wenn er eine typische neuzeitliche Berliner Wohnungsbesichtigung schildert (“Krieg’ den Palast”) oder drei eingebildeten Neu-Punks in der S-Bahn begegnet, die ihn mit Klugscheißereien zudödeln. “Punk is Dad” heißt die Geschichte und ist ein kleiner Hinweis an das konsumgeile Lederklamottenvölkchen, vielleicht doch erst mal die Älteren zu fragen, bevor sie anfangen, Punk zu spielen.
Martschinkowsky schaut mit diesem verstörend strengen Philosophenblick überall hinter die Kulissen, wo man ihn lässt. Er interviewt die Chaoten vom 1. Mai in Kreuzberg, schildert die schrecklichen Folgen eines Besuchs in einem Hipster-Club, versucht ein politisches Kochbuch zu schreiben (augenscheinlich mit den Rezepten aus seinem täglichen Medienkonsum), besucht mit Maurice einen Esoterik-Markt und hat sogar eine Freundin, deren Namen er nicht verrät, mit der er aber weinselig herrlich über Nichts philosophieren kann.
Das Ergebnis sind 32 mehr oder weniger kurze Stücke zwischen Grübeln und Lachen, Verzweiflung und wortgeschliffener Analyse. Pointen hat er auch drin in seinen Texten, nur merkt man das meist nicht. Er ist ja Philosoph und kein Schauspieler. Deswegen führt er seine Jünger lieber mit zurückhaltender Ernsthaftigkeit durch die Weiten der schnöden Welt, um dann – Plopp! – am Ende kurz mal den Schaum aus der Flasche spritzen zu lassen. Die Geschichte, die eben noch so auffällig völlig daneben schien, kehrt mit einem Knall in die Gegenwart zurück. Oder wie der Autor nach einer langen Nacht, die ihm einen deftigen Kater und einen frohlockenden Maurice hinterlassen hat, denn der hat die wilde Nacht hübsch als Video festgehalten. Falls mal einer nachfragen sollte – die Polizei zum Beispiel.
Von Nichts kommt was
Maik Martschinkowsky, Verlag Voland & Quist 2014, 13,90 Euro
Zwei Bücher hat er derweil zum Glück nicht geschrieben, eigentlich drei, wenn man den erwähnten Fantasy-Roman mitzählt: eine 1.054 Seiten fette Vampir-Geschichte und einen Roman über Arbeitsverweigerungsstrategien. Manchmal kommt man ja vor lauter Nachdenken und Ausprobieren zu nichts. Dafür zu einem echten Voland & Quist-Buch mit beigelegter CD, auf der sich dann noch zwölf Matschinkowsky-Texte in Hörerlebnisse verwandelt haben.
Mit seinen Geschichten ist Maik Martschinkowsky am 17. Dezember um 20 Uhr im Horns Erben (Arndtstraße) in Leipzig zu Gast.
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