Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist eine Geschichte der Städte. Man lernt zwar im Geschichtsunterricht die Namen von allerlei Reichen und Herrschern und Feldherren. Doch die Motoren der Geschichte waren die Städte. Oder ein wenig anders formuliert: Ohne Städte hätte die komplette Geschichte der letzten 10.000 Jahre nicht funktioniert. Selbst wenn manche heute fast nur noch Legende sind - wie Troja, Uruk, Karthago.

Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist eine Geschichte der Städte. Man lernt zwar im Geschichtsunterricht die Namen von allerlei Reichen und Herrschern und Feldherren. Doch die Motoren der Geschichte waren die Städte. Oder ein wenig anders formuliert: Ohne Städte hätte die komplette Geschichte der letzten 10.000 Jahre nicht funktioniert. Selbst wenn manche heute fast nur noch Legende sind – wie Troja, Uruk, Karthago.

Der englische Publizist John Julius Norwich hat dieses Buch nicht allein geschrieben. Einer wie Umberto Eco hätte es getan – aber dann wäre es ein phantastische Buch mit lauter mythischen Orten geworden. Norwich hat sich lieber 30 Expertinnen und Experten zusammengeholt, die ihr spezielles Arbeitsgebiet bestens kennen und es auch schaffen, auf wenigen Seiten das Wichtigste zu den ausgewählten Städten zu erzählen, kurz, lebendig, reich gespickt mit Fotos. Denn eine Auswahl ist es, auch wenn 40 alte Städte schon eine Menge sind, eine Überraschung vielleicht auch für jene, die sich aus dem Geschichtsunterricht nur eine Handvoll solcher berühmten Städte merken konnten – Babylon, Athen und Rom zum Beispiel, Jerusalem nicht zu vergessen.

Norwichs Projekt ist der Versuch, die Rolle der frühen Städte rund um den Erdball anschaulich zu machen. Und damit meint er die wirklich alten (Groß-)Städte, die im wesentlichen vor dem Beginn unserer Zeitrechnung gegründet wurden, groß wurden, manchmal auch mächtig, und manchmal auch untergingen, weil ihre Existenzgrundlagen verschwanden. Denn Städte sind von Anfang an wirtschaftliche Knotenpunkte. Sie werden von Handel und der Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht geprägt. Eigentlich sogar regelrecht hervorgebracht. Man denke nur an Thomas Sedlaceks kluge Analyse des Gilgamesch-Epos in “Die Ökonomie von Gut und Böse”. Das ist ein guter Einstieg – oder ein schöner Abschweif – wenn man sich nun in Norwichs Buch stürzt, das natürlich nicht mit Europa beginnt, sondern mit der eigentlichen Keimzelle unserer Zivilisation: dem Zweistromland.

Womit wir bei Uruk, Ur und Hattusa wären, den drei ersten Städten im Buch. Natürlich fehlen auch Ninive und Babylon nicht. Alles Namen, mit denen sich Legenden von mächtigen Reichen, aber auch mit ersten Überlieferungen zu Kunst, Politik, Handel und Staatsverwaltung verbinden. In den Texten wird es zumindest mit angerissen, wie sehr sich die frühen Herrschaftsformen verstehen als notwendige Organisation eines reicher werdenden Gemeinwesens, das ohne Arbeitsteilung und Spezialisierung nicht mehr funktionieren kann.

Und wenn man sich spezialisiert, die Erträge und den Reichtum steigert, kommt man von ganz allein in all die Zwänge, die den Staat ergeben – mit seinen Königen, Verwaltern, Schreibern, Wächtern und gigantischen Bauprojekten. Zu denen nicht nur die ganzen Nekropolen gehören, sondern auch die Paläste, die Tempel, die Stadtmauern mit ihren eindrucksvollen Toren, die Märkte und die ausgeklügelten Versorgungsleitungen für Wasser. Städte sind hochkomplexe Lebewesen. Und während frühere Archäologen vor allem zuerst nach den Palästen, Grabkammern und Schatzkammern suchten, graben sich die modernen Archäologen-Teams Schicht für Schicht durch die Lebensepochen der Städte, denn je älter sie sind, umso mehr Schichten liegen übereinander. Manche wurden immer wieder erobert, niedergebrannt und wieder aufgebaut. Manche liegen noch heute unter den Städterastern späterer Eroberer – wie das alte, punische Karthago unter dem Karthago der Römer.

Manche sind halb im Meer versunken und haben so dennoch einen Teil ihrer Pracht für die Nachwelt bewahrt – wie Alexandria in Ägypten (was trotzdem nicht ausschließt, das man den Leuchtturm und die Bibliothek schmerzlich vermisst). Manche wurden auf spektakuläre Weise wiederentdeckt und bestätigen damit uralte Epen und Überlieferungen – wie Troja oder Tikal. Alle erzählen sie vom Reichtum jener Gesellschaft, die sie hervorbrachte und der immensen Bedeutung von solchen Dingen wie einer funktionierenden Landwirtschaft, funktionierenden Handelswegen, kluger Verwaltung.

Manche dieser Städte faszinieren heute als wiederausgegrabene Kulisse einer 2.000, 3.000 Jahre zurückliegenden Zeit – so wie Knossos auf Kreta, das Zentrum der Welt der Minoer, oder Pompeji, das vielen Historikern erst einmal vor Augen führte, wie der Alltag im römischen Reich tatsächlich war – und wie farbenfroh. Etliche dieser Städte und ihre antiken Ruinen sind ja bis heute Pilgerziel für Touristen aus aller Welt. In Athen kann man so dem Geburtsort der Demokratie begegnen, in Rom der alten Hauptstadt eine Weltreiches, dessen Recht und Kultur genauso in den Fundamenten unserer heutigen Welt stecken.

Nicht alle Rätsel sind gelöst. Manches Artefakt gibt den Forschern bis heute Rätsel auf, auch wenn sie schon sehr gut erklären können, warum Anuradhaputra seine Bevölkerung verlor genauso wie die die Städte der Maya. Aber ging es Teotihuacan genauso? Waren Eroberungen Grund für das Verlassen der eindrucksvollen Stadtlandschaften? Oder eine Hungersnot? Eine Klimakatastrophe?

Andere Städte verloren zwar ihre ursprüngliche Rolle – wie Trier oder Nimes – sind aber heute noch quirlige Gemeinwesen, in denen die Bauwerke der Römer stehen wie gestrandete Kolosse, eindrucksvoll, faszinierend und doch so erklärlich, wenn man die Kultur der Erbauer kennt.

Natürlich sind auch 40 Städte nur eine Auswahl, lenken den Blick auch ein wenig auf die europäische und englische Perspektive auf das Altertum. Der Nahe Osten spielt da schon traditionell eine wichtige Rolle, denn hier waren englische Archäologen seit 150 Jahren unterwegs, um die Geheimnisse der klassischen Welt ans Licht zu holen. Aus Afrika sind zwar allein sechs Städte aus dem Osten des Kontinents (aus Ägypten, Nubien und Äthiopien) vertreten, der ganze mittlere und südliche Teil Afrikas aber bleiben Terra Incognita. Ganz ähnlich ist es in Amerika, wo die Konzentration auf Mittelamerika auffällt. Aber man ahnt schon, dass der Band nicht nur doppelt oder dreimal so dick geworden wäre, wenn Norwich auch noch alle anderen berühmten Zentren der alten Welt mit aufgenommen hätte. Die Wahl fällt natürlich schwer: Welche der alten Städte aus China nimmt man mit auf? Was ist mit Kampuchea, Laos, Indonesien?

Da und dort erwähnen die Autoren auch die noch ausstehende Arbeit. Viele alte Städte liegen noch unter den Ablagerungen der Jahrhunderte. Andernorts werden – wie in Irak und Syrien – auch die ausgegrabenen Schönheiten schon wieder durch Kriege zerstört.

Für den Leser ist es trotzdem eine faszinierende Weltreise, bei der man auch wieder lernen kann, wie sehr die Städte notwendig waren für viele kulturelle Errungenschaften, die wir heute für selbstverständlich halten. Das Theater konnte nur in Städten erfunden werden – griechische und römische Theater erzählen davon. Zur Versorgung der Stadtbevölkerung waren frühe Baumeister zu cleveren Erfindungen gezwungen. Davon zeugen etwa die Aquädukte der Römer. Aber selbst die Städte Asiens und Amerikas zeigen, dass die Wasserversorgung eine der wichtigsten Künste war, die frühe Stadtentwickler beherrschen mussten.

Und so sieht man auf den vielen eindrucksvollen Fotos nicht nur gigantische Stadtmauern und Zitadellen, Tempel und die Reste einstiger Prachtstraßen, man sieht auch die Zeugen des Alltags: Bäder, Märkte, Tavernen, Wohnhäuser, wenn sie sich im Lauf der Jahrtausende erhalten haben und nicht für andere, jüngere Kulturen zum großen Steinbruch wurden. Und da die Städte  zumeist in der Geschichte der jeweiligen Reiche und Dynastien eine wichtige Rolle spielten, kommen auch ganze Kapitel der älteren Zivilisationsgeschichte ins Bild. Die Namen vieler Städte sind mit ihren berühmtesten Herrschern verbunden, auch weil die oft mit ihren Prachtbauten der Stadt ihren Stempel aufdrückten.

Und da die Archäologen seit einigen Jahren verstärkt auf das Leben, Handeln und Arbeiten in den von ihnen untersuchten Metropolen achten, wird auch das Modell Stadt sichtbar, das auch heutigen Städten (in der x-ten Verwandlung) zugrunde liegt. Die eigentliche Botschaft ist wohl auch: Alles verändert sich. Reiche vergehen. Auch tausende Jahre alte Städte können verlassen werden. Aber das Modell Stadt prägt die menschliche Geschichte seit tausenden Jahren. Und zwangsläufig spielte sich auch ein Großteil der überlieferten Geschichte in diesen Städten ab, die deshalb oft schon in ihrer Blütezeit zur Legende wurden.

Eine echte Einladung zur Weltreise. Vielleicht auch bald ein Buch der schmerzhaften Verluste, wenn immer neue Kriege über die grandiosen Fundstätten der vergangenen 150 Jahre walzen.

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