Er hat's versprochen. Er hat's gehalten. Und er wischt sich den Schweiß von der Stirn, denn die Finanzierung von Gedichtbänden ist eine Herkulesaufgabe. Gerade in Sachsen. Ralph Grüneberger, Vorsitzender der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, kann ein Lied davon singen. Doch ein Wunschprojekt zu Leipzigs 1.000-jährigem hat sich nun erfüllen können.

Es ist Teil 1 eines Doppelprojekts, mit dem die Lyrikgesellschaft den Stellenwert von Literatur in der Geschichte Leipzigs auch für Lyrikfreunde les- und hörbar machen will. Teil 2 soll Anfang 2015, im Jubiläumsjahr der Ersterwähnung, ein Band mit Lyrik und Prosaminiaturen unter dem Titel “Leipzig im Gedicht” werden. Da denkt man zwar an Goethe und Lene Voigt. Aber die Leser werden mit diesem Band vor allem die reiche jüngere Lyrikergeneration kennenlernen.

Der jetzt vorgelegte Band aus der Reihe “Poesiealbum neu”, immerhin schon der 20., worauf Ralph Grüneberger zu Recht stolz ist, bringt nun den Leipzigern ihre Partnerstädte mal auf ganz andere Weise nahe. Denn für gewöhnlich werden Partnerschaften vor allem auf wirtschaftlicher und politischer Ebene gepflegt. Seltener denkt man daran, dass die Partnerstädte tatsächlich ein genauso reiches und vielfältiges kulturelles Leben haben wie die eigene Stadt. Da leben Maler, Bildhauer, Musiker und da wohnen Dichter. Oder wohnten da.

Und das Erstaunliche und für viele Leser dieses Bändchens eine echte Entdeckung wird sein, was für hochkarätige Autoren in den 14 Partnerstädten Leipzigs leben oder lebten. Der Literaturnobelpreisträger von 1961, Ivo Andric, lebte zum Beispiel in Leipzigs Partnerstadt Travnik im heutigen Bosnien-Herzegowina. Die Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska lebte in der polnischen Partnerstadt Krakow, wo sie 2012 verstarb. In  die Nobelpreisklasse (auch wenn sie ihn nie erhielten) gehören auch Jan Skácel aus der tschechischen Partnerstadt Brno und Pier Paolo Pasolini, der in der italienischen Partnerstadt Bologna zu Hause war.

Es ist also auch ein Stück moderne europäische Literaturgeschichte, die in diesem Bändchen sichtbar wird, in der auch alle anderen Partnerstädte mit ausgewählten Vertretern bedacht sind – Houston in Texas zum Beispiel durch eine in Deutschland geborene Autorin, Lisa Kahn, die ihr Gedicht gleich in zwei Fassungen abgeliefert hat: in Englisch und in Deutsch.

Was den zweiten Aspekt des Heftes in den Fokus rückt:

Die notwendige Übersetzung der Gedichte aus all den Sprachen der Partnerstädte, aus dem Amharischen (Addis Abeba), dem Chinesischen (Nanjing) oder auch dem Ukrainischen (Kiew). Letzteres machte dann auch deutlich, dass auch ein Stück Recherche hinter dem Ganzen steckt, denn nicht in alle diese Regionen unterhält die Lyrikgesellschaft aktive Beziehungen. Da mussten in einigen Fällen auch Kontakte um zwei, drei Ecken geknüpft werden – erst recht dann, wenn die gefragten Dichter auch nicht in einem deutschen Verlag vertreten sind. Einige sind es ja zum Glück. Ganz haben die Verlage der Bundesrepublik die so wichtige Entdeckungsarbeit in Ländern, die nicht dem englischen Sprachraum angehören, nicht eingestellt.

Und wo der Herausgeber Ralph Grüneberger dann fündig wurde, lag natürlich nicht immer eine Übersetzung vor. Aber auch da hat Leipzig eine lange und kompetente Tradition. Zu fast jeder Sprache dieser Welt wird man wohl heute noch exzellente Übersetzerinnen und Übersetzer finden in dieser Stadt. Die dann auch wieder ehrenamtlich tätig wurden. So funktionieren kreative Projekte in Leipzig nun einmal: Man leistet seinen Beitrag, ohne nach Boni zu fragen. Und freut sich, wenn das Ergebnis dann die Leser erreicht.

In diesem Fall nicht nur in 14 schönen Gedichten, die einerseits die unverwechselbare Sprache ihrer Autoren vermitteln, auf der anderen Seite aber auch die überraschende Nähe der Texte, die zu völlig unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Ländern und Weltregionen entstanden sind. Bei manchen ist es schlicht nur das fremde Schriftbild, das frappiert, während die Übersetzung zeigt, wie vertraut das Dichten und Fühlen der Autoren auch dem heutigen Leipziger Leser ist.

Und der hat jetzt die Wahl.

Er kann sich mit dem einfachen “Poesiealbum neu” bescheiden, das die 14 Gedichte und ihre Übersetzungen bietet. Oder er kann sich den Bonus mitnehmen, das “Poesiealbum  neu” also mit beigelegtem Hörbuch. Dieses nun bietet nicht nur die Gedichte des Heftes in aller Schönheit, eingelesen von Maja Gille und Axel Thielmann.

Michael “Massa” Großwig  und das Cosmic Love Projekt haben auch noch eine richtige kleine kosmische Sinfonie drumherum komponiert und eingespielt, die den Zuhörern auch noch eine ganze Tüte Entspannung verschafft, den stimmungsvollen Untergrund für die Gedichte, die damit natürlich auch prägnanter wirken, dichter, weil das Ohr nun auch die leiseren Töne wahrnimmt, das, was man sonst leicht überliest, wenn man Gedichte zum Beispiel nur überfliegt, weil man’s eilig hat.

Dann werden auch die Fäden leichter erkennbar, die die Städte der Dichter mit Leipzig verknüpfen. Auch wenn die Gedichte so ursprünglich nicht gedacht waren. Etwa wenn Joanna Skelt aus Birmingham von dieser “Stadt, wo Kinder aus allen Erdteilen zusammengewürfelt werden” (“Birmingham Gold”) erzählt oder Pier Paolo Pasolini über “die Zeit der Verwirrung im Gedächtnis”. Natürlich kann das auch am Herausgeber liegen, der ja selbst schon im nachdenklichen Alter ist und aufmerksam auf diese subtilen Korrespondenzen achtet, die Lyon mit Nanjing, Herzliya mit Brno verbinden, wo der Regen fällt “auf die Stadt wie der schiefe Turm / im nie gesehenen Pisa”.

Das könnte man natürlich weitertreiben.

Denn Dichter in allen Städten beschäftigen sich irgendwann einmal mit diesem Leben in der Stadt, diesem seltsamen Lebensort, in dem die Zeit irgendwie anders vergeht als da draußen irgendwo. Gerade in der Zeit, “wenn die Straßen ihre Lichter herunterdimmen” (Nikos-Alexis Aslanouglou). Dann sind einem die fernen Städte in Griechenland, Israel oder Polen oft vertrauter und näher als das Land, das man für gewöhnlich Land nennt. Etwa wenn man in Hannover auf dem Pariser Platz steht und nichts will, als weg hier: “nach Paris? aufs Land! aufs Land!” (Christine Kappe).

Nicht nur Leipzig hat so seine Probleme mit den Plätzen, wie man sieht.

Poesiealbum neu “Gedichte von Welt. Leipzigs Partnerstädte”, Edition Kunst & Dichtung, Leipzig 2014, 4,80 Euro, mit Hörbuch 10,80 Euro.

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