Mit einem richtigen Karacho-Buch hat sich ein neuer Leipziger Verlag zu Wort gemeldet. Neu im doppelten Sinn. 2013 gegründet. Und mit einem Anliegen, das in Zeiten eines völlig überhitzten Bücher-Marktes ganz bewusst auf die Bremse tritt und da ansetzt, wo die großen Verlage in den letzten Jahren allesamt eingespart und outgesourct haben: bei der Betreuung der Autoren. Wer seine Autoren liebt, der betreut sie richtig.
Beim Liesmich Verlag sind es gleich neun Betreuer – vom Lektorat bis zur Öffentlichkeitsarbeit, die sich zusammengetan haben mit dem sehr verständlichen Wunsch, vielversprechende Manuskripte von jungen (aber auch älteren) Autoren betreuen zu wollen von der ersten Einsendung bis zum letzten Schliff. Und das eigentlich nicht mal im Sinne des Autors (auch wenn der davon gewaltig profitiert), sondern des Lesers. Denn Bücher herstellen und schnell auf den Markt schmeißen, das ist heute so einfach wie noch nie. Selbstverlage gibt es wie Sand am Meer, per Digitaldruck kann jeder, der will, sein Werk binnen Tagen gedruckt vor sich stehen haben, und wer’s noch preiswerter in der Herstellung haben will, der bringt’s gleich als e-Book heraus.
Wer darunter leidet, ist der Leser, der es immer öfter mit Produkten zu tun bekommt, die mehr Qual als Vergnügen sind und die auf jeder Seite spüren lassen, dass die simpelsten Vorstellungen von einem lesbaren, professionell betreuten Text fehlen.
Beim Liesmich Verlag wollen es neun Mutige anders machen und sich im Prinzip völlig ehrenamtlich dem lesbaren Buch widmen. Wenn ein Titel Gewinn abwirft, soll das Geld sofort wieder in ein neues Projekt fließen, verspricht Verlagsleiter Karsten Möckel.
Das erste Buch ist jetzt da – gedruckt und als e-Book. Und zumindest eine Jahreszahl verrät, dass an diesem Buch wirklich lange und intensiv gearbeitet wurde: 2008. Das war das Jahr, in dem die Finanzkrise aus den USA auch nach Deutschland herüberschwappte. Im Buch wird es auch beiläufig erwähnt. Eher mit Schulterzucken, denn im Grunde tangiert das Thema die beiden Helden der Geschichte eher am Rande. Der eine ist Walter Schmeck, der die Gelegenheit nutzt, sich nach Jahren als Postbote früher pensionieren zu lassen (“weil der Arbeitgeber bestrebt ist, alle Beamten so schnell wie möglich los zu werden”), der andere ist sein Sohn Johannes, der sich in Hamburg versucht, als Fahrradkurier über Wasser zu halten. Ein Metier, das der Autor Wolf Schmid bestens kennt: Er war selber mal Fahrradkurier. Wahrscheinlich auch 2008 noch, bevor er 2009 nach Lissabon übersiedelte.Die Geschichte, die er sich ausgedacht hat, ist im Prinzip filmreif: Walter will, nachdem er nun endlich nicht mehr seine Runden drehen muss mit dem gelben Auto, mal seinen Sohn besuchen und das etwas komplizierte Verhältnis ein wenig aufbessern. Johannes hat ihn extra eingeladen, weiß selbst auch nicht nicht so recht, was dabei herauskommen wird. Denn mit der Kommunikation hapert es ein bisschen. Und Walter ist eher der distanzierte Typ. Aber auch so der Typ Vater, wie er nicht unbedingt selbstverständlich ist: Wenn er gebraucht wird, ist er da.
Dass Johannes ihn brauchen könnte, ist zwar noch nicht klar, als Walter losfährt. Aber ein gebrochenes Schlüsselbein sorgt dann ziemlich unverhofft dafür, dass Johannes für Wochen keine Kurierdienste mehr fahren kann. Und weil er das Geld trotzdem dringend braucht, springt Walter ein. So weit, so filmreif. Und so flott. Denn unverhofft findet sich Walter in einer Welt wieder, die ihm in vielfacher Hinsicht fremd ist. Hamburg sowieso. Sein alter Zustellbezirk 22 als Postfahrer war überschaubar, da kannte er die Leute und ihre Macken.
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In Hamburg muss er erst alle kennenlernen. Und das nicht auf die lustige Art, denn er landet in der Vorweihnachtszeit in einem eher nassen, trüben und eisigen und natürlich hektischen Hamburg, erlebt die wohl kürzeste Einweisung, die Fahrradkuriere je erlebt haben, und dann muss er los in einen Job, bei dem – anders als bei der Post – am Morgen noch lange nicht klar ist, welche Touren hereinkommen und wohin sie den Kurier auf der Piste führen. Da kann sich einer schnell übernehmen.
Der Leser aber lernt die Welt der Fahrradkurier auf eine intensive Weise kennen, wie das wohl bisher noch keiner so erzählt hat. Man riecht das Ganze förmlich, den Schweiß, die Müdigkeit, die nassen Klamotten. Und man wird mit Walter immer mehr hineingezogen in diese Welt der Pedalritter, die allesamt auf eigenes Risiko unterwegs sind und richtig strampeln müssen, um im Monat genug zum Leben zu verdienen. Weil auch noch mehrere konkurrierende Fahrdienste unterwegs sind, gibt es auch noch einen Konkurrenzdruck, den einige schlecht erzogene hanseatische Geschäftsleute auch nutzen, um es die beauftragten Kuriere spüren zu lassen. Wer nicht fix genug ist, verliert den Kunden an die Konkurrenz.
Und so geht es auch im Alltag von Johannes nicht allzu üppig zu, der bislang immer dachte, er bewahre sich mit dem Job seine Unabhängigkeit, packe sein Leben auch völlig anders an als der Vater. Aber wie es so kommen muss: Die beiden haben es zwar nicht leicht, auf eine Wellenlänge zu kommen, aber sie merken recht bald, wie ähnlich sie sich doch sind. Dass es für Walter immer wieder zu kritischen Situationen kommt, ist schon zu erwarten. Immerhin versucht er, von Anfang an richtig mitzuhalten – und lernt dabei auch die Tücken des Hamburger Stadtplans und einiger Hamburger Zeitgenossen kennen. Berühmt wird er auch noch, als einige Hamburger Medien mitbekommen, dass da ein Senior auf zwei Reifen unterwegs ist in der Stadt.Und so nebenbei spinnen sich auch zwei Geschichten in Sachen Liebe zusammen. Beide von Johannes und Walter in abgeklärter Weise schön sauber auf kleiner emotionaler Kochstufe gehalten. Man weiß ja nie, ob was draus wird und ob es funktioniert. Könnte man auch hanseatische Unterkühltheit nennen, wenn die beiden nicht just gerade aus dem Süden der Republik gekommen wären. Bei Walter steckt dann noch die etwas eigenartige Trennung von seiner ehemaligen Lebensgefährtin dahinter, wenn er solchen Gefühlskram lieber nicht so an sich heranlässt. Was dann aus Walters Ex-Frau und der Mutter von Johannes an Gescheitem geworden ist, erfährt man dann auch noch.
Wolf Schmid braucht es gar nicht besonders zu betonen, dass sein Herz den strampelnden Underdogs gehört, die ihr Brot lieber mit Fahrrad und Kuriertasche auf den wilden Straßen Hamburgs verdienen, als sich mit dubiosen Geschäften eine vergoldete Nase zu verdienen. Indem er in diese Szene eintaucht, zeigt er auch einen nicht unwichtigen Teil der modernen Arbeitswelt – im Grunde zweier Arbeitswelten. Denn Walter hat ja nicht ohne Grund dankbar die Gelegenheit zur Frühpensionierung angenommen. Was an Flexibilisierung und Effizienzsteigerung anfangs in der privaten Wirtschaft Furore machte, hat auch die Arbeitswelt bei den deutschen Staatskonzernen längst verändert.
Die Geschichte hat also schon Tempo, bevor Walter sich Richtung Hamburg auf den Weg macht. Und das Tempo verliert sie auch nicht, auch wenn es einige Kapitel gibt, in denen der Leser mitfiebert, weil es jetzt den einen oder anderen aus der Bahn zu schmeißen droht. Es geht einiges zu Bruch, es setzt auch ein paar Prügel – einige im Suff, andere aus völlig verständlichem Frust (etwa wenn einer von Walters neuen Kollegen einen Zeitungskiosk abräumt), und das Ganze endet in einem großen Rennen der Fahrradkuriere.
Pedalpilot Doppel-Zwo
Wolf Schmid, Liesmich Verlag 2014, 14,95 Euro
Das ist dann schon ein bisschen amerikanisches Kino, aber darin eingebettet hat Schmid dann noch einige berührende Momente, die das vorsichtige und tastende Verhältnis von Vater und Sohn noch einmal von der herzerwärmenden Seite beleuchten.
Ein dichtes, lebendiges Buch für Pedalpiloten, Väter, Söhne und Liebhaber. Aber auch für den weiblichen Teil der Leserschaft, der so ein bisschen mitbekommen möchte, wie schwer sich Männer zuweilen mit Emotionen tun. Und vor allem: warum.
Nur eins sollte man nicht tun: das Buch auf dem Fahrrad lesen. Das geht garantiert schief.
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