Ein wenig ist das, was Patrick Zschocher mit seinem Einbuch-Verlag macht, richtige Graswurzelarbeit - manchmal auch ein bisschen Glücksspiel. Erkennt man die Talente, wenn sie ihr Manuskript abgeben? Erkennt man das Besondere? Mit zwei Autorinnen hat er in letzter Zeit einen guten Griff getan: mit Hanna Montag und ihrem Roman "Ein Himmel voller Haie" und jetzt mit dem Buch "Seelenbruder" von Grit Kurth.
Bislang ist die 1969 geborene Grit Kurth vor allem mit Gedichten an die Öffentlichkeit getreten. Von Beruf ist sie Lehrerin, hat sich vom sächsischen Bildungswesen auch noch nicht entmutigen lassen. Geschrieben hat sie schon seit einer Weile. Nicht einfach nur so nebenbei. Das geht schief. Sondern aus Liebe zum Schreiben. Das ist eine Voraussetzung, die viel zu wenige Debütanten mitbringen. Ohne Liebe funktionieren Geschichten nicht. Das merkt jeder, der nach Metern von bestellter Fließbandware wieder einmal glücklich auf ein richtiges Stück Literatur stößt. Die es noch gibt. Man muss sie suchen mit der Lupe. Und in der Regel taucht sie auch in Bestsellerlisten nicht auf.Manchmal landet sie in Zwischenwelten. “Seelenbruder” ist tatsächlich kein Roman, auch wenn’s auf dem Cover so steht. Glücklicherweise nicht. Stoff und Geschichte sind genau das, was man klassischerweise eine Novelle nennt, im Grunde genauso klassisch eingefangen mit einem klar begrenzten Ort und einer streng limitierten Zeit. Denn Kurths Heldin Lina Förster liegt nach ihrem zweiten missglückten Selbstmordversuch in der Silvesternacht im Krankenhaus. Erst wenig später wird sie in ihrem Krankenzimmer auch eine Mitbewohnerin bekommen, keineswegs überraschend eine Lehrerin. Da ist sie schon ein Stück Weg gegangen – in ihre eigene Geschichte hinein, ihre Todessehnsucht und die Gründe dafür.
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Nur anfangs nimmt man es ihr noch ab, dass der Tod ihres Jugendfreundes Sebastian der Auslöser für ihre Weltflucht gewesen sein soll. An und für sich schon eine von diesen ergreifenden, weil keineswegs blumigen oder romantisch überhöhten Liebesgeschichten. Auch noch in einem kleinen Nest, möglicherweise irgendwo im Brandenburgischen, wo die Menschen lieber tratschen als miteinander reden, und wo jeder bemüht ist, seine Rolle zu spielen und zur limitieren Peergroup zu gehören.
Was Lina von Anfang an nicht gelingt. Da sind nicht nur Landkinder giftig, wenn Mitschüler die Cliquen-Norm nicht erfüllen. Oder sich gar in einer Weise entwickeln, die der Dorfklatsch nicht einzuordnen weiß. Wie es Basti geht, dem das Lernen leicht fällt, und der dann doch sein Medizinstudium schmeißt, weil er seine Gefühle im Seziersaal nicht in den Griff bekommt. Dass er zurückkommt ins Dorf und lieber in der Autowerkstatt aushilft, versteht keiner. Am Ende finden sich die beiden Außenseiter, kommen aber dennoch irgendwie nicht zusammen. Und dann wirft auch noch ein Motorradunfall beide aus der Bahn, die Beziehung bekommt einen Knacks. Stück für Stück arbeitet sich Lina in ihre Erinnerungen hinein. Stück für Stück wird die Geschichte aber auch eine Suche nach der Antwort auf die Frage: Wozu leben? Welchen Sinn hat es? Eine Frage, die auch Linas Bettnachbarin beschäftigt. Was passiert, wenn eine negative Diagnose auf einmal ein gut sortiertes Leben aus den Gleisen laufen lässt?
Dass Linas Leben als Journalistin bei einer “Abendzeitung” so gut sortiert gar nicht war, erfährt man natürlich auch noch. Die moderne Arbeitswelt, die den übelsten Typen alle Freiheiten gibt, ihre Angestellten zu schikanieren, zu mobben und zu erniedrigen, hat auch längst in den Medien Einzug gehalten. Eine Gesellschaft, die derart rigoros die permanente Leistungs- und Einsatzbereitschaft abfordert, lässt kaum noch Raum für solche Dinge, die man mal Solidarität oder Kollegialität genannt hat. Schöne neue Arbeitswelt.
Und wenn dann auch noch dieser Typus Eltern dazu kommt, den Lina mitbekommen hat, dann wird ein Leben ziemlich schnell zur Sackgasse. Wem vertraut man noch, wenn es für Schwäche nur Verachtung oder bestenfalls bittere Vorwürfe gibt?
Da hat zwar die Psychotherapeutin keine guten Karten. Aber die kurzen, illusionslosen Gespräche Linas mit ihrer Bettnachbarin helfen augenscheinlich beiden, die so lange antrainierten Bremsen zu lösen. Etwas gerät in Bewegung. Und auch da bedient Grit Kurth recht geschickt die Technik der Novelle – sie erzählt nicht alles, fügt nur noch die letzten notwendigen Bruchstücke ein, damit verständlich wird, wie sehr ihre Heldin auch vermieden hat zu trauern und Abschied zu nehmen. Denn wie macht man das, wenn man niemandem mehr vertrauen kann? Wohin mit den Gefühlen, wenn man sie nicht zulassen darf, weil sie nur Hohn und Spott auslösen? Wohin mit den eigenen Ängsten?
Seelenbruder
Grit Kurth, Einbuch Verlag 2014, 13,40 Euro
Und Grit Kurth erzählt auch nicht alles zu Ende. Das Wichtigste ist erzählt. Alles ist offen.
Der Geschichte ist dann noch ein Berg Gedichte angehängt. Aber die muss man nicht unbedingt lesen, auch wenn sie die Lebensgeschichte der Heldin ein bisschen ergänzen sollen. Wirklich gebraucht werden sie nicht. Und der Vergleich fällt auch eindeutig aus: In Prosa vermag Grit Kurth ihre Emotionen wesentlich konkreter und sinnfälliger zu gestalten als im Vers. Manchmal muss man sich einfach entscheiden für eins. In diesem Fall dürfte es für die Novelle sein.
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