Kirchen sind Bilderbücher. Manchmal auch kleine Kunsttempel. Denn jahrhundertelang war es Tugend, Kirchen zu beschenken und reich auszustatten, Altäre, Kruzifixe, Epitaphe, Ausstattungen von gut bezahlten Künstlern anfertigen zu lassen. Der Reichtum ist in vielen Kirchen heute noch sichtbar. Und jede Glaubensrichtung hat ihren eigenen Stil. Das ist selbst in Sachsen so.
Wolfgang Ipolt, Bischof von Görlitz, hat hier so ganz nebenbei eine Art kleinen Band über Kunst in den katholischen Kirchen seines Sprengels vorgelegt. Eigentlich eher für den innerkirchlichen Gebrauch gedacht: Der Bildband soll von den Gemeinden selbst benutzt werden für Meditation oder Gespräch. Falls man mal keine Zeit hat, in die Kirche zu gehen. Oder in die spezielle Kirche, nach Senftenberg etwa, Neuzelle oder Jauernick. Oder auch – wie auf dem ersten Bild – zu einem Spaziergang in Görlitz. Denn auch am Äußeren vieler Gebäude findet man, wenn man aufmerksam ist, biblische Darstellungen. Am Biblischen Haus in Görlitz ist zum Beispiel ein Sandsteinrelief aus der Zeit um 1570 zu sehen, das die Erschaffung des Menschen zeigt.
Ein kleiner Text neben dem Bild im Buch erläutert, was zu sehen ist, interpretiert es aber auch gleichsam – wie eine kleine Predigt oder eine Andacht des Tages. Denn den Schöpfungsmythos kennt man ja in der Regel. Zwei Bibelstellen sind hier extra aufgeführt. Aber wenn man ein wenig über die Stellen nachdenkt, dann wird meist mehr draus. Und der Bischof und sein Co-Autor Winfried Töpler beweisen hier, wie schnell man von diesem ganz speziellen Schöpfungsmythos aus der Genesis zu Gedanken über die Würde des Menschen kommt und der modernen Aussage (wie sie auch im Grundgesetz steht): Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Manches Kunst-Werk in diesem Band weist natürlich auch die ganze Naivität jener Künstler auf, die das Werk einst angefertigt haben. Ein farbiges Wandrelief etwa aus der Stiftskirche Jauernick zeigt den “Traum des Jakob” mit der berühmten Himmelsleiter in einer naiven Interpretation des 17. Jahrhunderts. In den Kirchenräumen fallen solche Kunstwerke – in diesem Fall ein Wandrelief – oft nicht auf. Da schweift der Blick zum Altar, zu den hohen Chorfenstern, zur prächtigen Orgel. Da übersieht man Details, weil sie sich meist sehr harmonisch in den Kirchenraum einfügen. Und so übersieht man auch oft, welche Art Bildgeschichte sich die Gemeinde im Lauf der Zeit gewünscht hat für ihre Kirche. Da wird auf den Heiligen, der der Kirche seinen Namen gab, Bezug genommen, da werden auch Zeit- und Lebensereignisse in biblischen Geschichten und Motiven interpretiert.
Auch das “Opfer des Melchisedek” in der Pfarrkirche Großräschen kann man so interpretieren, 1913 geschaffen, ein fast naturalistisch wirkendes Bildwerk. Immerhin geht es hier um die neue Interpretation des Opfers in der jüdischen Religion, die manche Bibelinterpreten auf den Priesterkönig Melchisedek zurückführen – weg vom Fleischopfer, hin zur symbolischen Darbringung von Brot und Wein, die dann später als Leib und Blut Christi interpretiert wurden.
Manches Kunstwerk aus den Kirchen des Bistums Görlitz ist von anrührender Naivität, oft verbunden mit tiefer Innigkeit und einem unübersehbar katholischen Blick auf die Frau. “Die Anbetung der Heiligen drei Könige” aus dem Sebastianaltar der Pfarrkirche Wittichenau (16. Jahrhundert), nimmt zwar das bekannte Bild der Anbetung im Stall zu Bethlehem auf – aber Maria mit ihrem golddurchwirkten Gewand hat wenig mit der jungen Jüdin aus der Bibel zu tun. Sie wirkt unübersehbar schon madonnenhaft. Selbst die Heilige Hedwig, die in der Kathedrale St. Jakobus in Görlitz zu sehen ist, strahlt ganz und gar madonnenhaft, gütige Mutter und hingebungsvolle Beschützerin in einem.
Aber auch die Jesus-Bildnisse tendieren nicht zu den eher realistischen Darstellungen, wie sie in evangelischen Kirchen oft zu sehen sind, sondern zum verklärten, gütig alles ertragenden Christus – in der Pfarrkirche Wittichenau lächelt selbst der geprügelte kreuztragende Jesus gütig von der Wand. In der Pfarrkirche Görlitz lässt er demütig alle Verleumdungen über sich ergehen. Aber auch, so stellen die Autoren fest, passiert ja jedem mal: “Wie unvorsichtig oder voller Vorurteile wird täglich geredet – und wie viele Menschen können sich dessen nicht erwehren.”
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Das Bildergucken macht also auch in katholischen Kirchen Sinn. Manches befremdet, weil es unserer heutigen abgeklärten Haltung so fremd ist, anderes wirkt vertraut. Das Christentum lebt ja nicht durch die besondere Überzeugungskraft seiner Päpste und Bischöfe, sondern weil die Geschichten, die in der Bibel erzählt werden, Menschliches offenlegen – und gerade in der Figur Jesus Christus auch mit all den Konflikten, die es mit sich bringt. Angefangen bei der Kommunikation mit den Nächsten. Thema “Fußwaschung Jesu”, ein Bild von Giovanni Vanetti in der Pfarrkirche Neuzelle. Immerhin kommt Jesus hier zu seinen Jüngern eben nicht als Herr und Meister, sondern in Demut. Das zwingt auch die Jünger, ihm anders zuzuhören. Das stelle man sich nur heute einmal vor: Ein Ministerpräsident oder gar die Bundeskanzlerin kämen und wüschen gemeinen Leuten aus dem Volk die Füße – und würden so auch zugeben: Eigentlich mache ich Politik für euch …
Wird nicht passieren. Da ist der Sicherheitsdienst davor.
Das Buch ist also einerseits ein kleines Bilderbuch durchaus zum Betrachten einladender Kunstwerke aus dem Bistum Görlitz, andererseits auch eine kleine Anregung zum Nachdenken über das ganz alltäglich Menschliche. Da und dort natürlich sehr kirchlich gedacht, auch unübersehbar katholisch – etwa wenn die Autoren im “Gekreuzigten” aus dem Benediktinerinnenkloster Guben vor allem die “Ruhe und Güte” betonen, obwohl das Schnitzwerk aus der Zeit um 1100 einen leidenden Christus zeigt, der vielleicht gerade die Worte sagt: “… warum hast du mich verlassen …”
Gerade in den gezeigten Kunstwerken des 17. und 18. Jahrhunderts wird deutlich, wie sehr die Kunst in katholischen und evangelischen Künsten verschiedene Wege genommen hatte. Beispielhaft steht dafür die fast inbrünstige Gestaltung des “Mahls in Emmaus” von Johann Wilhelm Hennevogel, eine Stuckmarmorskulptur, zu sehen in Neuzelle. Hier geht es um das “Brechen des Brotes” und die Verwunderung der Emmausjünger, als sie Jesus just bei der Geste des Brotbrechens erkennen. Manchmal staunt man ja, wie oft der arme Mann im Neuen Testament von den Leuten einfach nicht erkannt wird. In diesem Fall schaut er auch noch hingebungsvoll hinauf in die Höh. Auch die Autoren sprechen hier von einer “inbrünstigen Geste”.
So wird auch in den Darstellungsformen der Interpretationsunterschied deutlich zwischen dem Wunsch nach Inbrunst und Innigkeit in katholischen Kirchen und dem selbstbewussteren Umgang mit dem Glauben, der nach Luther in den protestantischen Kirchen praktiziert wurde – und damit auch die Bildwelt veränderte. So gesehen ist es auch ein Besuch in einer etwas anderen Welt. Einer von den vielen Welten, in denen Menschen für gewöhnlich hübsch nebeneinander her leben.
Neben Bibelstellen und Interpretationen gibt es dann auch kleine Gebetsangebote für die Gemeinden, die sich in das Buch vertieft haben. Und eine beigelegten CD bietet die Bilder auch noch digital, sozusagen Kunst für den Beamer, damit alle was sehen.
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