Es bietet sich an, es drängt sich geradezu auf: Das seit 2000 entstehende Leipziger Neuseenland ist ein Paradies auch für Fotografen. Wasser, Himmel, Boote, kleine und große Einblicke in eine Landschaft, die kaum noch ahnen lässt, dass hier vor wenigen Jahren noch Kettenbagger lärmten und die Kohle aus riesigen Erdlöchern holten. Wer auch bei Schnee und Eis unterwegs ist, sind fast bizarre Traumlandschaften. Zeit für einen richtig großen Kalender.

Hier ist er. Die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen kennt man in dieser Art schon ein wenig. Lothar Eißmanns und Frank W. Junges Buch über das “Mitteldeutsche Seenland” war damit gespickt. Wer vorher noch nie in dieser Landschaft war, hat dadurch garantiert Lust drauf bekommen. Das Wort von der “größten Landschaftsbaustelle Deutschlands”, das Walter Christian Steinbach als Präsident der Landesdirektion Leipzig gern verwendet hat, stimmt natürlich. Hier wird sichtbar, in welcher gewaltigen Dimension der Mensch mit dem Braunkohlebergbau in die Landschaft eingegriffen hat und den Leipziger Süd- und Nordraum in Jahrzehnten völlig verändert hat. Dass ab 1990 ein gewaltiges Rekultivierungs- und Gestaltungsprogramm beginnen würde, war 1989 so noch gar nicht abzusehen gewesen. In DDR-Zeiten gab es zwar ein paar große Pläne für solche Vorhaben in den Schubladen – aber umgesetzt wurde davon aus Geldgründen so gut wie nichts. Der Kulkwitzer See ist da die sehenswerte Ausnahme. Und er wurde auch nicht vergessen, als ab 2.000 die Seen im Leipziger Südraum begannen, die Besucherscharen zu locken. Das zeigt jetzt der 1. Platz im 2014er Wettbewerb um die deutschen Lieblingsseen.

In diesem großformatigen Kalender aus dem Sax Verlag hat er auch seinen Platz gefunden: als Juni-Bild mit Kunstobjekt am Ufer. Aber wer einen Blick für die großen Seen entwickelt hat, der entdeckt auch die kleinen Gewässerlandschaften am Rande. Eine davon ziert gleich das Titelbild: der Lauersche See, der gleich nördlich des Cospudener Sees liegt. Der Cospudener See ist gleich mit mehrere Motiven vertreten, auch einer grandiosen Winterlandschaft (aufgenommen 2007) oder einer scheinbar sommerlich-sonnigen Aufnahme, die erst auf den zweiten Blick erkennen lässt, dass die Menschen hier eindeutig übers Wasser laufen: Das war 2006, als der See zugefroren war.

Aus dem Nordraum kommt der Schladitzer See ins Bild mit seinem Biedermeierstrand, der Zwenkauer und der Störmthaler See tauchen mit großartigen Landschaftsaufnahmen auf. Einiges davon schon längst nicht mehr zu sehen, wie die eindrucksvollen Rippen aus dem Zwenkauer See, die 2012 noch aus dem Wasser ragten. Man merkt schon, dass die Fotografen Lothar Eißmann, Jürgen und Birgit Röhling zu den verschiedensten Zeiten unterwegs waren – mal in windstillen Morgenstunden, mal an knackekalten Nachmittagen. Und das auch mal abseits der asphaltierten Wege. Was dann oft genug Bilder ergibt, über die der Betrachter grübelt, weil die Perspektive oder der Landschaftsausschnitt ungewohnt sind.
So wie beim Juli-Bild, bei dem erst die Beschreibung verrät, dass man im Hintergrund einen der beiden Bergbaufolgeseen aus dem Nordwesten sieht – den Raßnitzer See (der andere ist der Wallendorfer See). Und was vorn wie ein kleiner Tümpel aussieht, ist tatsächlich die von ihrem ursprünglichen Lauf abgeschnittene Luppe. Womit so beiläufig auch das wichtige Revitalisierungsprojekt in der Leipziger Nordwestaue ins Bild kommt. Zum Nachdenken. Denn die aktuellen Diskussionen um die Wiederbelebung der Burgaue und die “Bespannung” der Elster-Luppe-Aue macht auch deutlich, wie sehr diese alte Auenlandschaft in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten war – und wie schwierig es ist, neue Wege zu finden – weg vom rein technischen Hochwasserschutz, hin zu einer Wiederbelebung der artenreichen Auenlandschaften mit ihren vielfältigen Gewässern.

Der Kalender macht im Grunde sichtbar, wie sehr das alles zusammengehört. Als ein wieder erlebbarer Landschaftsraum mit wieder sichtbar werdenden artenreichen Biotopen. Aber auch als Ergebnis menschlicher Eingriffe in die Landschaft, ihre Verwandlung in neue Kulturlandschaften, die ihre eigenen Reichtümer und Schönheiten hat. Die Fotos strahlen dabei eine beinah majestätische Stille aus – und damit auch ein Gefühl, das im lärmenden, hektischen Leipzig eher selten zu bekommen ist. Gerade weil die Großstadt immer weiter wächst, gewinnen die Erholungslandschaften ringsum natürlich einen immer größeren Wert. Dessen muss man sich immer wieder bewusst werden, wenn man über die Zukunft dieser Landschaftsräume diskutiert. Es kann nicht immer nur um Tourismus und Geschäft gehen. Gerade in einer auf Hochtouren laufenden Metropole wachsen die Bedürfnisse nach Räumen der Stille und der Schonung im Grunde jeden Tag. Aber wenn auch diese Räume dem blanken Kommerz geopfert werden, läuft etwas falsch.

Dieser Lärm, diese da und dort schon sichtbar werdende Überlastung der neuen Landschaften, wird in den Fotos dieses Kalenders eher nicht sichtbar. Selbst das Bild aus dem Bergbau-Technik-Park zeigt eher die Ruhe des stählernen Kolosses unter einem grandiosen Himmel. Und zur Ruhe gekommen ist er hier ja. Und man steht mit der Faszination davor, mit der man auch Saurierskelette im Museum betrachtet. Was für ein gewaltiges Tier. Eine stählerne Erinnerung an eine vergangene Zeit.

Kalender 2015 “Leipziger Neeseenland”, Sax Verlag, Markkleeberg und Beucha 2014, 17,50 Euro.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar