Das Format kennt man irgendwie. So bringt doch der Buchverlag für die Frau seine Mini-Bücher heraus? - "Stimmt", sagt Hieronymus Lotter alias Karsten Pietsch. "Da hab ich mich diesmal einfach drangehängt." Denn das Produktionsverfahren ist klar. 1.500 Exemplare lässt die Müller Buchbinderei in Gerichshain einfach so mit durchlaufen durch die Maschine. Und so gibt's jetzt das erste Buch aus den Rumpelkammerspielen Leipzig.

Das ist auch Karsten Pietsch, der im Leben ein wandelndes Journalistenbüro, beliebter Mitspieler auf kleinen Bühnen und gefragter Darsteller berühmter Leute ist. Als Bürgermeister Hieronymus Lotter zeigt er Neugierigen von in- und auswärts die alte Stadt Leipzig. Und sagt seine fröhlichen Sottisen über das heutige Leipzig dazu. Auch Seifert’s Oscar ist er bei Bedarf, Badearzt und Fastenprediger. Wenn sich mal die Möglichkeit ergibt, eröffnet er in Leipzig auch wieder Lotters einstige Badestube. Mit allem, was rein und dazu gehört.

Derweil aber schreibt er. In der L-IZ gern über Wagner und die Bayreuthsche Wagner-Mania. Über seinen Lieblingshelden sowieso. Sein Buch “Lotterwirtschaft” erschien 2009 in der Mini-Reihe des Buchverlags für die Frau. Die Idee lag also auf der Hand, dergleichen noch einmal zu probieren. Mit einem genauso leibhaftigen Leipzig-Thema: Leipziger Allerlei. Alle kennen es, kaum einer weiß, was es ist.Bücher wurden auch schon drüber geschrieben. Der E. A. Seemann Verlag hat es mit aufgenommen in sein Leipzig-Quartett als eine der vier Leipziger Spezialitäten: Kaffee, Gose, Leipziger Lerche und Leipziger Allerlei. Und da wird’s schon etwas kompliziert. Denn Seemann erläutert dazu: “1745 erstmals erwähnt, ein Leipziger Traditionsgericht”.

Das liest sich bei denen, die sich mit dem Gericht seit Jahren intensiv beschäftigen, anders. Zuallererst natürlich bei Ulla Heise, der Leipziger Gastronomie-Expertin, die zusammen mit Andreas Reimann und Kathrin Francik im Forum-Verlag eins der schönsten Leipzig-Sammel-Bücher herausgegeben hat: “Leipziger Allerlei – allerlei Leipzig”. Natürlich kommt auch das Allerlei drin vor. Muss ja. Auch um Umherreisenden mal wieder zu erklären, dass Mischgemüse kein Leipziger Allerlei ist.

Aber auch die Geschichte ist so einfach nicht, wie es Seemanns Quartettspiel suggeriert. Nein. Ein Traditionsgericht gar aus dem 18. Jahrhundert ist das Leipziger Allerlei nicht. Karsten Pietsch sammelt in seinem Büchlein alles, was es an möglichen Quellen und Spuren gibt. Sie enden zumeist im Jahr 1815. Verdachtsweise gehen sie auch etwas weiter. Aber dann landet man in Frankreich und bei der Begeisterung der Franzosen für die frisch importierte chinesische Küche, die mit Gemüse schon immer schonend umging. Das war für Europäer, die ihr Gemüse bis dahin wohl kochten und garten, bis es lappig und müde war, eine echte Überraschung, wie knackig und frisch im Wok gesottenes Gemüse sein konnte.

Und es sieht ganz so aus, dass die Leipziger von dieser französischen Begeisterung angesteckt wurden. Im Lauf des 19. Jahrhunderts taucht dann das Allerlei erstmals in den Kochbüchern auf. Wobei es auch eine Art Karriere erlebte – aus den Kochtöpfen der ärmeren Bevölkerung, die sich in der Regel selten Fleisch leisten konnten und eben zubereiteten, was der eigene Garten hergab, ins gutbürgerliche Milieu. Den Ruch des Extravaganten hat es erst heute, weil die im 19. Jahrhundert im Leipziger Gewässerland noch üppig vorhandenen Krebse und Morcheln heutzutage eher selten und teuer sind.

Übrigens ist auch das ein Effekt der Flussregulierungen.Was aber pfiffige Köche nicht hindert, das Leipziger Allerlei zu variieren. Wichtigste Grundzutat ist immer der Spargel. Deswegen ist das Leipziger Allerlei ein Saisongericht, das es im Grunde nur in der achtwöchigen Spargelsaison geben kann, so lange der Spargel frisch im Angebot ist. Möhren, Erbsen, und – wenn man ihrer habhaft wird – Morcheln dazu, da hat man schon mal vier Töpfe oder Pfannen in Beschlag. Wenn man gar noch mit Broccoli und anderen Gemüsen ergänzt, wird’s noch aufwändiger. Aber Variationen und Interpretationen gehören dazu. Im Grunde ist das ein Grundcharakter des Leipziger Allerlei, das eben kein Resteverwerten ist, eher dem thüringischen Neunerlei in seiner Philosophie verwandt.

Aber Karsten Pietsch wäre nicht der belesene Bursche, der er ist, wenn er nicht rechts und links schauen würde – nach Allerlei in der Literatur (mit kleinem Loblied auf Edwin Bormann), der Leipziger Lebensart oder der Quellenlage in Archiven und Museen (gar nicht so berauschend). Auch am Kleingarten kommt er nicht vorbei und die Vermutung liegt nahe, dass Leipziger Allerlei und Schreberbewegung aufs engste zusammengehören. Auch ein paar kleine Seitenhiebe gibt es auf das, was in den Kühltruhen der Supermärkte ab und zu als Leipziger Allerlei auftaucht. Ein bisschen Leipziger Gastlichkeit ( … seit 4.000 Jahren) kommt drin vor – nebst Seitenhieb aufs moderne Leipziger Stadtmarketing, das aus dem Allerlei nichts zu machen weiß, während andere Orte – wie Oldenburg – gleich eine ganze Werbeschiene stricken aus ihrer Spezialität – in diesem Fall Kohl.

Am Ende staunt man, was alles in so ein Büchlein hinein passt. Auch wenn drei Buchtitel der letzten 20 Jahre das Allerlei im Namen führten, ist das hier die erste Monografie, die sich ganz der Leipziger Spezialität widmet. Zu beziehen direkt über die Rumpelkammerspiele.

Karsten Pietsch “Das Leipzger Allerlei”, Rumpelkammerspiele Leipzig, Leipzig 2014, 5 Euro

www.rumpelkammerspieleleipzig.de

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