Es ist schon erstaunlich: Da sitzt eine junge Dame in der Stadt und schreibt ein Buch, wie man es eigentlich aus der Werkstatt von Alexandre Dumas d. Ä. erwartet hätte - irgendwo im 18. Jahrhundert angesiedelt, mit einem stolzen Piraten, einem widerlichen Widersacher und lauter edlen Admirälen, Königen und bildhübschen Mädchen. Praktisch sofort verfilmbar, wenn mal wieder Bedarf an einem Mantel-und-Degen-Film besteht.

Und wieder staunt der Leser: Es gibt also immer noch eine Welt des Geschriebenen, in der Bedarf besteht an edlen Helden, dem Glanz adliger Titel, romantischen Liebesgeschichten und dem Traum eines großen Sieges der Guten über den Bösen. Denn den Bösen gibt es in den alten Abenteuergeschichten ja immer nur in der Einzahl. In diesem Fall ist es ein Finsterling, der den Namen Baron von Felkington führt und dem strahlenden Helden der Geschichte, Robert d’Escambaud, immer wieder in die Quere kommt.

Es gibt auch ein dunkles Geheimnis, das die beiden miteinander verbindet. Doch davon weiß nur der Leser, der natürlich mehr wissen darf, als der wackere Robert, der so etwas ist wie ein edler Pirat, der seine Feinde beeindruckt und die Frauen zum Schmachten bringt. Alle. Aber wie das ist: Sein Herz hat er sich für die große Liebe aufgespart. Und das ist – Alexandre Dumas würde sich vor Freude auf die Schenkel klatschen bei dem Spaß – natürlich die Tochter des Bösewichts, der 400 Seiten lang nichts anderes im Sinn hat, als diesen Robert d’Escambaud zu vernichten, in die Hände zu bekommen und dann mit einem hämischen Lachen zu quälen, zu erniedrigen und dann …Dann gibt es im Film für gewöhnlich die große Überraschung, eine winzige Kleinigkeit, mit der der Finsterling natürlich nicht gerechnet hat. Und beim Spielen mit seinem Opfer hat er natürlich auch vergessen, dass das Opfer die ganze Zeit an Flucht oder irgendeine ausgefallene Finte denkt. Oder gar Helfer hat, was ja schier unmöglich ist, wo doch der Böse seine Untergebenen mit Drohungen und Grausamkeiten in Schach hält. Die kämen niemals auf die Idee …

Natürlich sind sie zumindest zum Helfen bereit. Denn in solchen Büchern sind auch Sklaven und alte Diener edlen Herzens und erkennen die Guten schon am Leuchten der Augen.

Es kann sein, dass in der Buchhandlungsecke mit den so genannten Historischen Romanen (die im Grunde nichts als Historische Fantasy sind) schon seit Jahren solche Bücher stehen. Wenn man dort nicht ständig unterwegs ist, weil einen der Hunger nach edlen Heldentaten plagt, bekommt man das ja nicht mit. Da wird man dann eher überrascht, wenn so ein Buch im Programm eines kleinen Leipziger Verlages auftaucht. Was auch deshalb überrascht, weil Andrea Richter ja alle Register des Genres beherrscht. Sie hat augenscheinlich all die Romane von Alexandre Dumas und Kollegen verschlungen. Wahrscheinlich schon in dem Alter, als andere Mädchen noch von Ponygeschichten und Elfenmärchen schwärmten. Und danach hat sie sich auch all die Filme und Verfilmungen zu Gemüte geführt, in denen der edle Mantel-Geist des romantischen Zeitalters fortlebt – von “Vom Winde verweht” bis zu “Fluch der Karibik”. Das Kino ist ja zur späten Heimat dieser Ur-Sehnsucht nach großen Abenteuern und noch viel größeren Gefühlen geworden. Quasi als Ersatz, weil man ja im täglichen Einerlei nicht wirklich dazu kommt, ein paar feindliche Karavellen hopp zu nehmen, Mädchen zu retten oder Bösewichter im fairen Duell zu besiegen.

Man hat ja keine Zeit dafür. Und wenn man Zeit dafür hat, fehlt die Gelegenheit, laufen einem keine katzenäugigen Schönen über den Weg, die darum bitten, gerettet zu werden. Man wüsste ja auch gar nicht, wohin mit ihnen. Entweder hat man zu Hause schon eine und es scheitert am Platzmangel. Oder man braucht eher eine, die kochen und den Computer wieder in Ordnung bringen kann.Aber die Sehnsucht ist natürlich da. Überraschenderweise beim weiblichen Geschlecht, von dem man nun dachte, es hätte nach Jahrhunderten der Entrechtung genug von der Prinzessinnenrolle, wolle nun selber rauben und fechten und sich den Weg in eine bessere Welt freikämpfen. Aber da wird man hier wohl eines Besseren belehrt: Die Autorin schwärmt von ihrem schönen (und ganz gewiss nicht dicken) Helden genauso wie von den hübschen Mädchen, die für die Rolle der Braut in Frage kommen. Gesittet muss es schon zugehen und am Ende muss auch der König persönlich anweisen, dass dieser Robert nun auch diese Marie zur Frau nimmt. Lebenslänglich bitte.

Was uns verrät, dass auch in heutigen Autorinnen der Wunsch, lebenslänglich gerettet zu werden, noch sehr stark sein muss. Was natürlich der Industrie der Historischen Fantasy einen Absatzmarkt verspricht, den auch das dümmste Daddelspiel für schießwütige Jungen nicht zerstören kann. Vielleicht sollte man das Buch also doch lieber jungen Burschen schenken, die am PC garantiert nichts über die mentale Funktionsweise von Frauen gelernt haben. Hier könnten sie was lernen. Zumindest, dass weibliche Geschöpfe augenscheinlich immer noch auf verwegene Typen stehen, die sich von finsteren Mächten nicht einschüchtern lassen, auf ihre Körperpflege und ihre Umgangsformen achten und sicherheitshalber auch noch ein Schiff mit hilfsbereiten Matrosen in der Hinterhand haben.

Natürlich steckt auch ein Stück Sehnsucht drin nach einer Zeit, in der die Welt noch Platz bot für echte Abenteuer. Oder zumindest von Träumen von solchen. Einen anderen Bedarf hat ja auch Alexandre Dumas’ Werkstatt im Zeitalter des bräsigen Bürgerkönigs Louis-Philippe, des Zeitalters des “Enrichez vous!” und des “Die glorreichen Zeiten sind vorbei.” nicht gedeckt.

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In der Gischt des Zorns
Andrea Richter, Einbuch Verlag 2014, 16,40 Euro

Jede Gesellschaft hat augenscheinlich so einen Seelenkater, wenn sie merkt, dass nach den Stiefelhelden immer die Pantoffelhelden kommen. Und dass statt der wilden Ausflüge ins Schlachtengemetzel nur noch die Ausflüge ins Einkaufscenter bleiben. Achje: Wohin mit all den Gefühlen? Man ist doch eigentlich ein verkleideter und verkannter glorreicher Pirat. Schon wieder ins Kino? Oder doch lieber ein Buch lesen und wegträumen? In eine Parallelwelt, in der auch die Kriege zwischen großen Nationen wie England und Frankreich noch von edlem Großmut geprägt waren? – Die Zeiten sind halt irgendwie nie so, die Könige und Piraten auch nicht. Aber dafür wurde ja das Genre erfunden, in dem Leidenschaften noch Erfüllung finden und das Herz vor Schadenfreude hüpft, wenn der Bösewicht endlich doch seine gebührende Strafe erhält.

Das darf ruhig höchstdramatisch sein. Hauptsache, sie kriegen sich.

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