Mit kleinen Schritten naht das Jahr 2015, das Jahr, in dem Leipzig den 1.000 Jahrestag seiner Ersterwähnung feiert. Da gibt es nicht nur Bücher zum Jubiläum, sondern auch allerlei kleine Dinge drumherum, die man als Andenken mitbringen kann. Ein "Leipzig Quartett" zum Beispiel, vorgelegt vom E. A. Seemann Verlag. Mit Lerneffekt.

Denn wer beim Leipzig-Besuch schlechtes Wetter gehabt haben sollte, wunde Füße oder Kopfschmerzen, der kann mit den 32 Kartenmotiven noch einmal so eine Art Schnelldurchgang absolvieren. Ob da noch ein, zwei, drei Mitspieler dabei sein müssen, ist völlig dem Besitzer des Kartenspiels überlassen. Wer Glück hat, bekommt im Zug einen Vierersitz mit Tisch und kann drauflos ramschen – alle drei Musikerheroen (Bach, Wagner, Mendelssohn) plus Thomanerchor? Fertig ist die Musikstadt. Vier Karten, vier Punkte.

Wer hat den Gottsched? Wer den Loest? Wer den Meyer? Goethe noch dazu, und schon weiß man alles, was es über die Literatur Leipzigs zu wissen gibt. Weiß man natürlich nicht. Bei jedem der acht Themen, die sich die Quartett-Autoren ausgedacht haben, musste natürlich ausgewählt werden. Der Feuilletonist Richard Christ würde von der Seitenlinie einwerfen: “Immer fehlt was!”Oder mal so formuliert: Das ganze Leipzig passt in kein Quartettspiel. Man kann nur zitieren, antippen, gucken lassen. Die Auswahl kann nur jedes Mal schräg werden. Andere Städte hätten in so einem Quartett alles untergebracht, was wirklich alt ist. Nicht nur die Thomaskirche, sondern auch Moritzbastei, Altes Rathaus und Alte Nikolaischule. Damit die Spieler gleich merken, wie sich so eine alte Stadt anfühlt auf der Hand.

Aber so wirkt Leipzig nicht. Immer funkt das Neue dazwischen. Die Stadt lebt vom erlebten Widerspruch zwischen Alt und Neu. Zwischen Alter Handelsbörse und Neuer Messe, Völkerschlacht und Friedlicher Revolution, Johannapark und Cospudener See.

Völkerschlacht und Friedliche Revolution gehören zu den vier “Geschichte”-Karten. Da kommen noch die Disputation auf der Pleißenburg und die Ersterwähnung dazu. Fertig. Und unfertig zugleich, weil im Kopf gleich die ganzen anderen Daten rattern, bei denen Leipzig Geschichtsschauplatz war.

Beim Thema “Kunst” fallen einem zehn Namen ein – die allesamt nicht im Quartett vertreten sind. Außer Tübke und Klinger. Dafür darf man sich daran erinnern, dass auch Max Beckmann ein Leipziger war und Rogier van der Weyden im Bildermuseum hängt. Natürlich ist das alles nur angetippt. Das ist wie bei einer der atemlosen Stadtführungen, bei denen die Stadtbilderklärer ihre liebe Not haben, alle berühmten Bewohner, Gäste, Insassen und Inschriften aufzuzählen. Schiller hier, Seume da, der Pelzdieb May da hinten und hier hat Hans Reimann mit Erich Kästner … So ist das. Und so hat jeder Quartett-Macher zu Leipzig ein Problem mit der Fülle, wählt aus, denkt sich was dabei und lässt auch ein paar Karten drin, die auch den Leipziger, der sonst alles weiß, noch mal zum Grübeln bringen. Man freut sich übers Messemännchen, und auch die Spezialitäten sind nicht vergessen: Kaffee, Gose, Leipziger Lerchen und Leipziger Allerlei. Und wenn man fleißig war bei seiner Stadtbesichtigung, dann erkennt man auch Vieles wieder – die Liebesbrücke im Johannapark, den Erweiterungsbau der Nationalbibliothek.

Manches dabei ist gut geeignet, die Quasi-Leipzig-Kenner zu ertappen, die außer Völkerschlachtdenkmal und Altem Rathaus nichts anderes kennen. Und auch die Experten darf man kitzeln: Na, schon mal was von Gottsched gelesen? Oder gehört? Wird ganz knifflig, denn mit den Bildunterschriften tun sich die Autoren genauso schwer wie die Namenerklärer an Leipzigs Straßenbahnen: Ist Gottsched tatsächlich als Professor der Uni Leipzig und als Autor eines Stückes “Der sterbende Cato” bekannt? War da nicht noch was Wichtiges? Und warum wird bei Goethe wieder mal “die berühmte Szene” in Auerbachs Keller erwähnt und das Käthchen nicht? Und ist von Erich Loest nur der Leipzig-Roman “Nikolaikirche” erwähnenswert?

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1.000 Jahre Handel und Wandel
Seemann Verlag 2014, 7,95 Euro

Es ist, wie man sieht, eine schwere Kunst, selbst berühmte Leute, die man so kennt, in zwei Zeilen zu pressen. So dass man sie wiedererkennt. Welche Geschichten von Clemens Meyer spielen in Leipzig? – Da muss man dann wohl im Lexikon nachschlagen. Oder sammelt lieber die Kunst statt die Literatur. Und hat auch hier das Gefühl: Welch ein Wagemut! Die Stadt passt zwar in eine Nuss, aber in kein Quartett. Sie hängt überall über. Vielleicht sollte man ein Oktett draus machen? Später vielleicht, wenn man diese 32 Motive alle intus hat. Und die Familie beschließt: Da müssen wir mal wieder hinfahren. Da fehlt noch was.

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