"Eine Diktatur der Dummen? Die sehen Sie und ich, wenn wir uns umschauen, in Politik, Medien, Wirtschaft, Banken, Bildung, Hochschulen: Wohin der Blick auch fällt, überall sitzt der Wurm drin, haben sich die Institutionen, die uns bisher gut gedient haben und weiterhin dienen sollen, gegen uns und unsere tatsächlichen Interessen gewandt." (S. 7)
Gleich vorweg: Das ist alles nicht neu, was uns Brigitte Witzer in ihrem – zugegeben – bisweilen etwas larmoyanten Rechenschaftsbericht zur deutschen Gesamtsituation vorlegt. Polemisch – “Diktatur der Dummen” – kommt sie daher – die Generalabrechnung mit der medial aufgeladenen (Unter-) Durchschnittlichkeit medialer und politischer Diskurse. Steckt im Untertitel bereits die Antwort: “Weil die Klügeren immer nachgeben?”
Nicht unbedingt. Und nicht so schnell. Brigitte Witzer, Professorin und Trainerin für Veränderung und Umgang mit Macht (Was heißt das genau?), versucht der provozierenden Oberfläche von Gesellschaftskritik ein Gerüst der Erklärung und der Auswege unterzuschieben. In sensiblem, humorvollen und bisweilen selbstironischem Ton. Ohne in den Chor der Fundamentalkritiker des Systems einzustimmen. “Mir geht es hier nicht um Kapitalismuskritik. Dummheit als schwerwiegendes und kulturvernichtendes Resultat von Außensteuerung halte ich in jeder Gesellschaftsform für möglich.” (S. 31) Die “Außensteuerung” sei das Problem. Und die fehlende “Innensteuerung”. Wen oder was meint die Autorin denn damit? Und reicht das? Ist eine Kritik an Erscheinungen möglich, ohne nach dem Wesen zu fragen? Wie kommt es denn zur Vergrößerung der Schafherde, welche provokant das Buchcover ziert und von der die Autorin ständig spricht?
Medien – Wirtschaft – Bildung. In allem steckt der Wurm der Macht. Welcher Macht? Der Macht der Manipulation. Manipulation unserer Gefühle. Ausgelöst von einer verantwortungslosen Ökonomie-Krake. Die alles beherrscht und unsichtbar omnipräsent scheint. Ein “Big Brother 2.0”. Witzer erweist sich hier als aufmerksamer Beobachter kollektiver Unaufmerksamkeit. Von den Angeboten der medialen Zumutung bis hin zur sozialen Entfremdungsaktion. Tendenz fallend. Runde Geburtstage von großen Schlagerstars werden in Printmedien viereckig groß aufgemacht, Wetterberichte gleichen im TV seit Kachelmann mit Puschelmikrofon Fußballreportagen, um dann von der Leichenschau am Tatort abgelöst zu werden und so weiter … An Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel finden sich dann am nächsten Morgen smart surfende Menschen mit der sozialen Empathie eines Ladekabels; abwartend, ob nicht irgendein fotografierter Verkehrsunfall die Alltagstrance beendet …
Genug der Illustration. Genug der Boulevardisierung der deutschen Medienlandschaft?
Wirtschaft und Macht. Ökonomie und Manipulation. Schläue und Cleverness. Ohne Moral. Längst keine Erfolgs-Geheimnisse mehr, dafür Strategien der Unveränderlichkeit vor dem Hintergrund des unsichtbaren Ökonomieturbos. Kennen Sie das auch?
Die Diktatur der Dummen
Brigitte Witzer, Heyne HC 2014, 16,99 Euro
Im 5. Fazit (Kapitel) wird beschrieben, dass die Diktatur längst in unserem Alltag angekommen ist. Klingt deprimierend, meint auch Witzer, ist es aber nicht. Ihr Ausweg? Vom “Big Brother” zum “Big Spender” meint Witzer. Kooperation statt Kontrolle. Mit mehr Souveränität, mehr eigener Verantwortung, mit mehr `Freiheit vom Kabel’. Weniger Fernsehen, dafür mehr fern sehen. Dann sind wir wieder in der Lage, unseren Kindern Geschichten zu erzählen. Abends kurz vor dem Einschlafen.
Bleibt nach Lektüre dieses erhellenden Buches zu hoffen, dass nicht wir einschlafen. Daran führt kein Weg vorbei. An der mühsamen, am Gemeinwohl orientierten Selbstvervollkommnung. Selbstreflektierend, weniger zweckrational, autonom. Mit Mut zum eigenen (Bauch-) Gefühl und wirklich eigenen Bedürfnissen (Worin bestehen die?)
Sapere sentire – wage zu fühlen.
Irgendwie fühlt man das wirklich. Dass da nicht nur ein Wurm drin steckt. Und wenn es sogar intelligente Wirtschaftstrainer in erhellenden Büchern zu erklären versuchen … gibt es dann noch Hoffnung?
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