Schon beim letzten Mal hatte Herr Alptraum eigentlich so ein bisschen das Gefühl, dass er seinen Laden mal in andere Hände geben und ein bisschen Urlaub machen könnte. Alpträume produzieren für eine Welt, in der die Leute das auch noch cool finden, hat irgendwie was Frustrierendes. Die Zeit, als sich gebannt Lauschende beim Vorlesen von Gespenstergeschichten bei Kerzenschein gruselten, ist wirklich lange, lange her.

Alpträume werden mittlerweile in Serie produziert. Und nicht ganz zufällig sieht Herr Alptraum, wie ihn Schwarwel nach den Alptraum-Moritaten Christian von Asters entworfen hat, ein bisschen aus wie die neue Inkarnation des Spekulanten aus den Bildern von George Grosz. Was schon beim Vorgängerband “Herr Alptraum und die Segnungen des Fortschritts” zu denken gab: Hat Christian von Aster mit dieser scheinbar einem düsteren Fantasy-Film entsprungenen Type nicht tatsächlich eher eine Realsatire auf eine von Ängsten besessene Welt gedichtet, die ihre Ängste dadurch zu bannen versucht, dass sie sie in immer neuen Blut- und Splatter-Orgien steigert? Nicht nur im wilden Internet, vor dem einige brave Politiker so eine schreckliche Angst haben. Die Hälfte aller Hollywood-Filme und “Tatorte” im deutschen Fernsehen ist nicht die Spur besser. Mit ganz großer Linse wird die finstere Seele der Mörder seziert. Man spürt geradezu den Atem des Regisseurs im Nacken, der verzweifelt herauszufinden versucht, was den Bösewicht so böse macht. Das muss doch eine extrahierbare Substanz sein, so eine Art Essenz des Böseseins.

Es ist die schweißige Rückseite des romantischen Selbstbilds des modernen Kleinbürgers, der selber nie und nimmer zu derart Schrecklichem fähig wäre. Das sind immer nur die anderen. Den Horror konsumiert man lieber hinter verschlossenen Fensterläden und verlässt am nächsten Tag frisch gebügelt das Haus in der Hoffnung, keiner merkt, wie man die Nacht über in Angstschweiß kochte. Es ist eine finstere Lust, an der Herr Alptraum sein gutes Geld verdient. Sein Imperium blüht, auch wenn er sich selbst eingestehen muss, dass aus dem guten alten Handwerk mittlerweile eine Massenproduktion geworden ist. “Der Alp unterliegt dem Reinheitsgebot”, dichtet Christian von Aster.Wenn es so weit gekommen ist, denken Unternehmenspatriarchen schon mal daran, die Bude dem Nachwuchs zu hinterlassen. Aber was ist, wenn der Nachwuchs aus der Norm geraten ist? Soll ja vorkommen. In der Regel wundern sich vor allem Eltern darüber, denen der Aufwuchs ihrer Kinder die meiste Zeit ziemlich egal war, und die sich gern mit dickem Taschengeld und teuren Geschenken loskauften von der Blage: Nur nicht ernsthaft mit diesem unfertigen Wesen beschäftigen. Ob es Herr Alptraum und seine angetraute Insomnia genauso gehalten haben, weiß man ja nicht. Man trifft Alptraum Junior praktisch schon fast fix und fertig an, ein putziges Kindchen, das “Frohsinn, Scherz und Überschwang” liebt, gern kuschelt und Blümchen mag. So ein richtig schreckliches Kind eben, das zu einem auf keinen Fall zu taugen scheint: zur Unternehmensnachfolge.

Was tun? – Ab ins Erziehungslager, ins “Bootcamp des Bösen der Gebrüder Irrsinn und Wahn”. Eine Woche mit Satan, Belial, den vier apokalyptischen Reitern und der Frau von der Supermarktkasse sollten ja reichen, dem Burschen das Fürchten und Alpträumen zu lehren. Man merkt: Von Aster hat die Grimmschen Märchen gelesen. Nur dass Alptraum junior nicht ganz freiwillig in die Ein-Wochen-Hölle ging. Irgendwie fürchten kann er sich ja schon. Er zittert wie Espenlaub, als ihn seine geliebten Eltern verlassen.Und dann gibt’s wieder diesen radikalen Regisseur, der einfach mal Schnitt macht und die ganze Szenerie sieben Tage später wieder ansetzen lässt. Vielleicht war Christian von Aster das Thema Umerziehung dann doch zu heiß. Es könnte zu viele finstere Zeitgenossen geben, die das dann als Handlungsanweisung nehmen, die üblichen ordentlichen Leute, die gern ein bisschen Zucht und Ordnung ins junge Gemüse bringen. Also lieber nicht auch noch erklären, wie so eine Biegung und Beugung von Menschenkindern funktioniert.

Oder?

Oder könnte es sein?

Immerhin befinden wir uns mitten in einer Moritat. Da darf der Sänger schon mal für überraschende Umschwünge sorgen. Denn Klein-Alptraum hat augenscheinlich seine Erzieher um den Finger gewickelt und ihnen Mützen und Hörnerschoner gestrickt. Vielleicht sollte der Autor mal nachschauen, ob Alptraum junior nicht doch eigentlich ein Mädchen ist. Das könnte einiges erklären.

Verständlich andererseits die Enttäuschung der Eltern, ihr missratenes Gör nun doch wieder im alten Zustand zurückzubekommen. Eine Katastrophe. Denn wer soll die Alptraum-Fabrik übernehmen, wenn Junior so ein Häkelfritze ist? Sollte man das Balg nicht besser verkaufen?

Bis Papa Alptraum begreift, dass Sohnemann noch eine ganze Spur schärfer ist, als es sich ein alter Horrorfabrikant je hätte ausmalen können. Denn was wird das erst für ein Geschäft, wenn man die Alpträume gar in bunte Wolle verpackt und den Leuten unterjubelt? Wenn der Horror sich verkleidet und versteckt? Herr Alptraum ist überglücklich. Sein Imperium ist gerettet.

Es ist irgendwie eine Märchenparabel auf eine Gegenwart, in der zwar die Herren Alpträume nicht mehr mit Melone herumlaufen, dafür aber ein sehr großes pekuniäres Interesse daran haben, dass die Konsumenten mit Alpträumen aller Art bestens versorgt sind. Süchtig werden sie von ganz allein danach, wenn die Schrecken der Wirklichkeit groß genug sind. Und auch die lassen sich ja steigern. Und so taucht hinter der kleinen, kinderfreundlichen Geschichte von Christian von Aster eine andere Folie auf, eine, die erzählt, warum eine sowieso schon von Alpträumen erdrückte Welt noch zusätzlich künstliche Alpträume in Serie produzieren muss und dabei die Dosis immer weiter erhöhen muss. Auch deshalb gelten Golem, Dracula und Frankensteins Monster mittlerweile als Kinderkram. Und ganz sanft richtet von Aster so ab Seite 75 den Blick des Lesers auf die Veränderungen, die Juniors bunte Strickerei in der Welt der Alpträume anrichtet. Und darauf, dass man nicht unbedingt nach finsterem Schwarz und blutigem Rot Ausschau halten sollte, wenn man die Alpträume von heute erkennen will. Eher nach buntem Tralala und den erschreckend bunten Landschaften einer heilen, kindischen Welt.

Kommen diese Gedanken beim Lesen? Nicht nur. Von Asters Reime und Schwarwels Bilder dazu gehen eine Symbiose ein. Und von Schwarwel weiß man ja, dass er seine Hinter- und Nebengedanken so ganz sachte im Augenwinkel seiner Bilder mit unterbringt. Man muss das 88-Seiten-Werk also nicht nur laut (die Verse von von Aster) lesen, sondern auch aus den Augenwinkeln (die Bilder von Schwarwel). Da weiß man dann, dass diese Geschichte von Junior eigentlich auch schon eine ist aus der guten alten Zeit. In der Wirklichkeit hat Junior den Laden längst schon übernommen. Und die meisten Empfänger sind so glücklich mit dem, was er ihnen schickt, dass sie nicht mal mehr ahnen, was es eigentlich ist.

Christian von Aster, Schwarwel “Alptraum junior und die Wonnen der Umerziehung”, Glücklicher Montag, Leipzig 2014, 9,90 Euro

www.vonaster.de

www.schwarwel.de

www.schwarwel-shop.de/product.php?id_product=642

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar