Er vereint die emsigsten Stadtforscher und er widmet sich Themen, die für gewöhnlich untergehen in der Geschichtsforschung: der Leipziger Geschichtsverein. Jedes Jahr veröffentlicht er ein Jahrbuch mit einer Auswahl von neuen Beiträgen zur Leipziger Stadtgeschichte. Manchmal muss auch noch mal nachgelegt werden, wenn die Ergebnisse in der Öffentlichkeit einfach ignoriert werden. Wie zum Beispiel bei der Namensherkunft von Leipzig.
Dem Thema hat sich der Onomastiker Karlheinz Hengst schon mehrfach gewidmet. Leipzig hat eine Tradition in der Onomastik, der Namensforschung. In den vergangenen 50 Jahren wurde geradezu emsig an der Erforschung der Ortsnamen in der Region Leipzig gearbeitet. Das wird künftig wegfallen, denn die Onomastik gehört ja auch zu den “Blütenfächern”, die auf der Streichliste der Uni Leipzig stehen.
Seit 2009, seit Hengst eine größere Arbeit zur Herkunft des Namens Leipzig vorgelegt hat, sind wieder ein Dutzend Stadtführer und ähnliche Werke erschienen, die die alten Märchen erzählen. Es gibt zwar ein paar Seufzer in diesem Jahrbuch, bei denen die Autoren hoffen, dass mit der großen dreibändigen Stadtgeschichte, die zum 1.000-jährigen Jubiläum der Ersterwähnung erscheint, mit alten Fehlern, die einer vom anderen abschreibt, einmal aufgeräumt wird. Aber so recht glauben mag man nicht dran. Wie bei der Namensherkunft von Leipzig, das erst im 13. Jahrhundert mit einer Herleitung aus dem slawischen Lipa (die Linde) in Verbindung gebracht wird. Das war auch die Zeit, als aus dem weichen b (Libzi) das harte p wurde (Lipzk). Alte Urkunden geben sehr genau die Entwicklung der Schreibweise wieder, die in Teilen auch eine Anpassung an die neue dominierende Sprache, das Deutsche bzw. Altsächsische (Ursprung: das heutige Niedersachsen) war.
1015, als Thietmar von Merseburg dieses Libzi erstmals erwähnte, und um 1065, als Leipzig das Stadtrecht erhielt, war die Mehrheitsbevölkerung slawisch. Und damit ist auch anzunehmen, dass das Slawische bzw. Altsorbische bis ins 12., 13. Jahrhundert die Alltagssprache in Leipzig war. Darum geht es im Kern in dem Beitrag von Karlheinz Hengst zu den sprachlichen Verhältnissen im Raum Leipzig vor 1.000 Jahren, in dem es auch ein wenig um das mögliche Miteinander von Slawen und deutschen Zuwanderern geht.Auch andere Beiträge im Jahrbuch befassen sich mit Fragen, die in den letzten Jahren immer offen blieben. Gerald Kolditz beschäftigt sich mit der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Völkerschlacht 1863, die von Leipzig praktisch binnen vier Wochen auf die Beine gestellt wurde und in der Grundsteinlegung für ein erstes Denkmal gipfelte, das dann doch nicht gebaut wurde. So nebenbei geht er auf das Auf und Ab der Völkerschlachtbegeisterung im Lauf der Jahrzehnte ein. Und auf die Tatsache, dass auch das Fest von 1863 schon vom nationalen Gedanken getragen wurde. Das nationale Pathos des 1913 eingeweihten Denkmals hat also seine Vorläufer.
Aber auch ein anderes Jubiläum beschäftigte ja 2013 die Historiker: Richard Wagners 200. Geburtstag und die lange Geschichte eines Versuchs, dem umstrittenen Musikus in seiner Geburtsstadt Leipzig ein Denkmal zu schaffen. Marie-Louise Monrad Moller geht dieser Geschichte nach, streitet sich auch textlich ein bisschen mit Grit Hartmann, die seinerzeit das wichtige Buch “Wagner gepfändet” schrieb, das sich dem langen Hinsiechen des 2. Wagnerdenkmals am Elsterbecken widmete.
Das wäre schön: Es gäbe einen Briefkasten …
Es sind kleine Schatzkästlein …
Es mausert sich immer mehr zum Sammelstück …
Doch während Grit Hartmann im Entwurf von Emil Hipp eher keine Verstrickung in den nationalsozialistischen Zeitgeist sah, sieht Monrad Moller sehr wohl eine Affinität des Künstlers zur Kunstauffassung der NS-Zeit – und zeigt logischerweise Verständnis dafür, dass Leipzig dieses Denkmal nach Ende des 2. Weltkrieges nicht geschenkt haben wollte. Und während eingefleischte Wagnerianer hadern mit dem 2013 dann verwirklichten Denkmal Stephan Balkenhols, sieht Monrad Moller in diesem Kunstwerk genau jene Widersprüche sichtbar gemacht, die das Wagner-Bild heute ausmachen.
Und als Pendant dazu lässt sich die Arbeit von Thomas Stein lesen, der “Die Aktion ‘Entartete Kunst’ im Museum der bildenden Künste Leipzig” aufarbeitet. Das Museum hatte zwar – anders als andere deutsche Kunstmuseen – keinen großen Bestand an moderner Kunst aus den 1920er Jahren. Über die restriktive Ankaufpolitik hat seinerzeit Max Schwimmer als LVZ-Kunstkritiker ja ganze Serien von Lamentos geschrieben. Aber das Wenige, das dann dennoch angekauft wurde – von Emil Nolde, Lyonel Feininger oder Oskar Kokoschka – wurde dann nicht nur aussortiert, sondern durch die neue Gesetzgebung der Nazis auch dem Museum entzogen und zumeist auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft. Die Rückkehr einiger dieser Bilder – wie Otto Muellers “Liebespaar” – sorgte nach 1990 für entsprechende Furore.
So nebenbei beschäftigt sich Stein auch mit der Ankaufpolitik der jeweiligen Museumsdirektoren. Am Ende sind sie es ja, die den Charakter einer Sammlung prägen, wenn nicht gar private Sammler ihre Kunstwerke dem Museum vermachen. Aber den Gewinn der Sammlung Lilienfeld, die im Museum am Augustusplatz bis 1932 schon leihweise zu sehen war, verhinderten die Leipziger Nazis ebenso, indem sie schon 1932 Bilder in der Ausstellung mit Hakenkreuzen beschmierten.Und dass sie den 2. Weltkrieg verzapften, hat sich ja herumgesprochen. Und damit sind sie ursächlich auch verantwortlich nicht nur für die Zerstörung des alten Bildermuseums, sondern auch für die Zerstörung ganzer Stadtviertel und auch der Peterskirche am Schletterplatz. Jens Trombke hat in seinem recht ausführlichen Beitrag die Geschichte um die Rettung und Sanierung der Peterskirche aufgearbeitet. Eine Geschichte, die sich unter den Mangelverhältnissen der DDR lange und quälend hinzog. Erst in den letzten Jahren wurde der imposante Kirchenbau tatsächlich gerettet. Was noch fehlt, ist eine Rekonstruktion des Kircheninneren.
Und so wie für die Peterskirche das Jahr 1989 der Beginn der Rettung war, war es das auch für die Stadtgesellschaft. Und eine wichtige Rolle dabei spielte der Runde Tisch der Stadt Leipzig, der im Dezember 1989 seine Arbeit aufnahm und den Übergangsprozess bis zu den Wahlen im Mai 1990 begleitete und – nach der Selbstauflösung des alten Stadtrats im Januar – auch gestaltete. Birgit Horn-Kolditz versucht, diese Arbeit anhand von Dokumenten aus dem Stadtarchiv zu rekonstruieren und zeigt so beiläufig, dass Leipzig auch hier einen Sonderweg ging, der dann später im “Leipziger Modell” seinen Nachfolger fand.
Nicht vergessen sei der ausführliche Artikel von Christian Schatt zur Geschichte der Leipziger Tischlerinnung. Ein auf den ersten Blick staubtrockenes Thema, das dann beim Lesen zeigt, dass selbst in alten Ratsakten und Innungsprotokollen lauter Lebensschicksale und Beschreibungen einer Wirtschaftswelt stecken, die so fern nicht sind. Denn die Tischlermeister, die hier agieren und einen Namen bekommen, benehmen sich erstaunlich vertraut, wenn es um einträgliche Geschäfte und das Ausschalten unliebsamer Konkurrenz – etwa aus Taucha – geht.
Diverse Besprechungen wichtiger historischer Bucherscheinungen und ein Nachruf auf den Leipziger Historiker Karl Czok runden das Ganze ab, so dass der Leser wieder ein Paket mit Texten in die Hand bekommt, die ihm ein paar Facetten aus Leipzigs jüngerer und älterer Geschichte näher bringen. Oder geraderücken, wie das so schön heißt.
Aber wer hört schon auf Historiker, wenn man sich die Vergangenheit auch schön zurechtbiegen kann, bis sie passt? Man kann aufs nächste Almanach also schon mal gespannt sein.
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