Schon als Lene Voigts "Weibergespräche" 2008 als kleines Mini im Buchverlag für die Frau erschien, was es ein kleines Trostpflaster. Eine große, umfassende Biografie für die Leipziger Mundartdichterin Lene Voigt war zwar in Arbeit, doch es deutete sich schon an, dass sie in der sechsbändigen Werkausgabe der Connewitzer Verlagsbuchhandlung keinen Platz mehr finden würde. Denn wer einmal mit der Suche beginnt, der wir auch fündig.

So ging es der kleinen Herausgebermannschaft um Wolfgang und Monica Schütte. Immer wieder. Immer neue Funde kamen ans Licht, immer neue gedruckte Spuren der Leipziger Dichterin, die wie keine anderen die Mundart der Leipziger und ihren Lebenswitz eingefangen hat. In kleinen Gedichten, die viele Leipziger in ihrem Lebensalbum stehen haben, mit herrlichen Neuschöpfungen klassischer Balladen, die zu jedem Vortagswettbewerb das Publikum begeistern. Und auch mit diesen “Weibergesprächen” hat Lene Voigt den Typus der Leipzigerin so genau getroffen, dass diese Gespräche noch heute in Kabarettvorstellungen zünden. Der begnadete Dresdner Kabarettist Tom Pauls hat die Rolle der Ilse Bähnert mit Wonne zu seiner eigenen gemacht.
Bei Lene Voigt bekommt es die Bähnert in der Regel mit der Bammlern zu tun, während sich die Ziedschn mit der Biedschn über Gott, Theater, Mannsbilder und die Welt unterhält. Die ersten dieser deftigen und doch so alltäglichen Gespräche hat Lene Voigt seinerzeit in der von Hans Reimann gegründeten Satirezeitschrift “Der Drache” veröffentlicht, deren späterer Chefredakteur Hans Bauer einer ihrer vielen Förderer und Wegbegleiter war. Eine Einzelgängerin war die Lene nicht, auch wenn sie in der Liebe so gewaltig Pech hatte, denn ihre größte Liebe, der wandernde Opernsänger Karl Geil, starb kaum ein Jahr nach ihrer Bekanntschaft bei einer Wanderung nach Dresden. Das Gedicht “Mein Liebster ist ein Vagabund” erzählt von dieser Liebe. Vieles zum Leben Lene Voigts war bis vor wenigen Jahren reine Legende. Erst durch das Sammeln all der verstreuten Drucke und Zeugnisse werden die Konturen schärfer, wird auch das Bild der Dichterin klarer, die in den 1930er selbst ruhelos von einer Stadt in die andere wechselte, bis sie wieder in Leipzig landete, aber schon längst nichts mehr veröffentlichen durfte. Das hatten die braunen Machthaber in Dresden schon 1936 verboten.

Auf das Verbot reagierte sie – wie man es von ihr kennt – mit einem knappen und doch treffenden Gedicht: “‘ne Mundart lässt sich nicht verbieten.” Aber wie man weiß, haben es die Mächtigen immer wieder versucht, brachial die einen, verschwiemelt die anderen. Denn bis auf ein einziges Gedicht erschien in der DDR zu Lenes Lebzeiten nichts mehr von ihr. Es waren die Kabarettisten und ein freundlich beharrlicher Drängler wie Wolfgang U. Schütte, die der nie wirklich Vergessenen wieder ein Stück Öffentlichkeit verschafften.

Ein Glücksfall ist ihre lange Brieffreundschaft mit dem Dichter Robert Meier, der alles, was er von ihr bekam, in Mappen sammelte. Damit war zumindest zu ahnen, was da noch alles neben den einst im Verlag A. Bergmann erschienenen Balladen und Glassigern vorhanden sein könnte, abgedruckt in Dutzenden Zeitungen und Magazinen in ganz Deutschland, die bis zum Machtantritt der Nazis keine Probleme mit dem Sprachwitz der verschiedenen Regionen hatten. Im Gegenteil: Hier lebte der Humor der einfachen Leute, der sich fast immer unterscheidet vom politisch angefärbten Humor der großen Leute, deren Humor meist nur institutionalisierte Schadenfreude ist. Wer in Amt und Würden ist, der verlernt in der Regel zuallererst, über sich selbst zu lachen. Im kleinsten Bürokraten kann man die höchste Majestät beleidigen.

Übrigens war auch das ein Grund für Lene Voigt, diese Typen in ihren Arbeiten gar nicht erst auftauchen zu lassen – keine Honoratioren, Amts- und Würdenträger. Im Grunde stammt ihre gesamte Personage aus dem Milieu, in dem sie auch selbst immer wohnte – möbliert und in Stadtteilen, die man damals mit gutem Recht entweder proletarisch oder kleinbürgerlich nennen konnte. Wer Lene-Voigt-Wohnungen in Leipzig sucht, der macht eine kleine Leipziger Weltreise. Und er kommt dabei in Gegenden, in denen man heute noch das vertraute Gefühl bekommt, dass gleich die Bähnerten um die Ecke kommt, den Korb voller Gemüse, die Augen schon voller Vorfreude auf einen richtig schönen Tratsch.

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Lene Voigt. Weibergespräche
Wolfgang U. Schütte, Buchverlag für die Frau 2014, 9,90 Euro

Die “Weibergespräche” sind jetzt in diesem Trost-Büchlein für Lene-Voigt-Freunde auch nur eingesprengt. Tatsächlich ist es eine gestraffte Biografie der Dichterin in vielen kleinen und überschaubaren Kapiteln, die diese Welt aufschließen, in der Lene Voigt lebte und sich die Herzen der Leser aufschloss. Auch Leute wie Hans Natonek und Erich Kästner gehörten zu ihren Freunden und Förderern. Wie schwer freilich ihre psychische Erkrankung ab den 1930er Jahren auf ihr lastete, war bislang immer nur Vermutung. Man wusste um Lenes Aufenthalt in der Heilanstalt Dösen, wo sie später – geheilt – auch noch arbeitete. Ihr Grab liegt im Künstlerteil des Leipziger Südfriedhofs. Und mittlerweile hat die Lene-Voigt-Gesellschaft so viele Arbeiten der immer Fleißigen ausgegraben, dass seit ein paar Jahren auch sichtbar ist, wie sehr diese Frau einen Platz im Olymp der Leipziger Autoren verdient hat. Nur die große Autobiographie, die nun ihr Leben mit allen Aufs und Abs ausführlich berichten soll, verzögert sich noch. So ungefähr zum fünften oder zehnten Mal. Denn immer, wenn alle glauben, jetzt ist es fertig, kommt wieder einer mit einem Archivfund daher.

Deswegen für alle, die bis dahin ein Trostbüchlein brauchen, nun dieses – auch reich bebildert. Und da und dort auch mit Gedichten gespickt, die alle zeigen, wie sehr diese Dichterin auch heute noch den normalen, nicht honorablen Leipzigern aus dem Herzen spricht.

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