Dass die Obodritenfürsten hier mitten zwischen Seen eine Burg anlegten, versteht sich eigentlich. Die Slawen liebten das Wasser und bauten gern Wasserburgen. Was ihnen aber dann, als die Ostexpansion der deutschen Könige begann, nichts nützte. Die Burgen wurden abgefackelt und die neuen Herrscher bauten ihre Stützpunkte drauf. So geschehen auch bei Zverini. 1160 baute hier Sachsenherzog Heinrich der Löwe seine Siedlung.
Was man heute freilich besichtigen kann, wenn man – am besten mit dem Zug – in die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern fährt, ist natürlich das Schwerin der Mecklenburger Fürsten, die sich zwar nicht immer so recht entscheiden konnten, wo sie residierten, ob in Ludwigslust oder in Schwerin. Aber 1837 war es dann eben doch Schwerin, was dann der Stadt die Chance gab, noch ein paar bauliche Schönheiten zu bekommen, die es für gewöhnlich eben nur in Residenzstädten gibt.
Residenzstädte in Deutschland unterscheiden sich ja schon beim ersten Anblick durch die Architekturepoche, die in ihnen erhalten ist. Und das erzählt ziemlich genau davon, wann die jeweiligen Fürsten zu Geld gekommen sind. In Dresden war es das frühe 18. Jahrhundert. In Schwerin die Mitte des 19. Jahrhunderts. Heißt für den Spezialisten: Historismus – in Leipzig gern verbrämt mit dem nicht ganz so deutlichen Wort “Gründerzeit”.Historismus heißt aber: Es wurde mit all den klassischen Stilen der Vorgängerepochen herumgespielt und alles mit allem vermixt. Neo-Gotik ist neben Neo-Renaissance neben importiertem Tudor-Stil und französischer Renaissance zu sehen, die wieder mit italienischen Elementen spielt. Da ist man schon in Schwerin beim Schweriner Schloss, das dem Besucher natürlich irgendwie komisch und irgendwie vertraut vorkommt. Eben weil Hofbaumeister Georg Adolph Demmler das Loire-Schloss Chambord so ein bisschen als Vorbild nahm. Auch das eine Grundeigenschaft des Historismus: Das Vorbild ist fast immer erkennbar.
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Demmler hat natürlich nicht 1:1 nachgebaut. Dazu hätte er die alte Hütte abreißen müssen. Erst wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass auch das herzogliche Schloss in Schwerin über die Jahrhunderte in verschiedenen Baustilen gebaut und ergänzt wurde. Demmler hat es dann in einem Aufwasch überformt und dem Ganzen ein stimmiges Bild gegeben.
Im Ganzen neugebaut wurden andere wesentliche Teile der Stadt: die stadtbildprägende Paulskirche, ein Backstein-Trumm, wie er im Buche steht, das Arsenal, das Demmler dann wieder ein bisschen als Zwitter aus Tudorstil und florentinischer Palastarchitektur baute (und Steffi Böttger rätselt zu recht: Wozu brauchten die eher friedlichen Mecklenburger Herzöge so einen Bau für Waffentechnik?), die Hauptpost im Stil der Neo-Renaissance (mit dem die Deutsche Post heute so gar nichts mehr anzufangen weiß), das Rathaus, bei dessen Umbau Demmler wieder beim Tudorstil abkupferte, die Kollegienhäuser (Neo-Klassizismus, Demmler), das Staatstheater (Neo-Renaissance, Georg Daniel) und das Staatliche Museum (mit antiken Vorbildern, Hermann Willebrand).Dem modernen Stadtbesucher fällt dieser wilde Stilmischmasch schon gar nicht mehr auf, weil das in anderen Städten, die ihre letzte Kosmetik im späten 19. Jahrhundert bekamen, nicht anders ist. Und weil es – verglichen mit dem, was danach kommt – trotzdem sehr homogen und harmonisch aussieht. Auch Architekten beweisen ja gern, dass es immer noch schlimmer geht.
Deswegen sorgen sie immer sehr schnell dafür, dass ein kleines blaues Denkmalschild an ihr Bauwerk kommt.
In Schwerin also: Residenz-Architektur, genug zum Anschauen und genießen. Das Schauspiel hat heute noch einen guten Ruf. Das Schloss hat gleich zwei Parks, die man beschnuppern darf (einen französischen und einen englischen), außerdem ein Museum, eine formidable Schlosskapelle und das legendäre Petermännchen. Steffi Böttger empfiehlt, den Rundgang ums Schloss auf keinen Fall zu verpassen. Und auch nicht den Besuch auf dem Großen Moor, wo man noch ein Stück altes Schwerin sieht, gerade noch gerettet. Denn bekanntlich ging man mit simpler bürgerlicher Wohnsubstanz auch in DDR-Zeiten etwas rücksichtsloser um als mit den offiziellen Prachtstücken.
Wen trifft man aber an bekannten Leuten, außer den ganzen Herzögen und Herzoginnen? – Erstaunlich. Da ist nicht viel. Zwei Regisseure, zwei eher unbekannte Dichter. Und Herrn Schliemann natürlich, der aber in Schwerin kein neues Troja ausbuddelte, sondern die Schüler des Fridericianums erschreckte. Natürlich war auch Fritz Reuter hier – aber nur zu Besuch.
Schwerin an einem Tag
Steffi Böttger, Lehmstedt Verlag 2014, 4,95 Euro
Wer jede Menge Wasser mag, ist natürlich goldrichtig. Und Ausflüge kann man hier machen, die sind wunderhübsch – ins Freilichtmuseum Mueß zum Beispiel in ein echtes, 700 Jahre altes Dorf. Oder nach Groß Raden, wo eine echte slawische Siedlung nach archäologischen Befunden nach einer Burg der Warnower nachgebaut wurde.
Geschichte zum Anfassen. Und nicht weit ist es natürlich nach Ludwigslust, wo die Herzöge einst ihre Ruhe suchten vor den störenden Schwerinern.
Insgesamt also ein Ausflugtipp für Leute, die so kleinere Residenzstädtchen mögen, hübsch und goldig saniert und restauriert. Wie das in heutigen Landeshauptstädtchen auch die Regel ist. Wieder mit Klappkarte und kleiner Stadtchronik. Und auch die Adressen zum Einkehren sind drin, wo man dann kapitelweise nachlesen kann, was man gerade besichtigt und bewundert hat.
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