Nein, aufgeregt sein darf man nicht, wenn man mal nach Fulda fährt. Sonst verschüttet man seinen Kaffee und bekleckert den hübschen Stadtführer "Fulda an einem Tag". Oder erschreckt die Einwohner, die seit über 1.200 Jahren ihr geruhsames Leben leben rund um jenen berühmten Wynfreth aus England, der sich als Missionar den Kampfnamen Bonifatius zulegte.
“Bonifatius war kein bedeutender Theologe, aber er verband missionarischen Eifer mit einer seltenen Begabung für Organisation und Administration”, schreibt Wikipedia zu diesem legendären “Apostel der Deutschen”. Wer also das dumme Gefühl hat, die typisch deutschen Eigenschaften von Ordnung, Fleiß und Staatstreue müssten irgendwo eine Wurzel haben – und zwar nicht bei Siegfried, Arminius und Hadubrand – hier hat er sie. Und gleich noch ein Stück Erklärung zur Verklärung. Denn auch wenn das alles so schön heroisiert wirkt – diese ganze Mission bei den ach so heidnischen Germanen und die Meuchelung des Bonifatius und seiner 52 Begleiter 754 oder 755 durch die ach so heidnischen Friesen – es sind Legenden, bei denen dann wie üblich die Sieger der Geschichte die Endredaktion vornahmen.
Auch Wikipedia bemerkt recht schön, wie sehr die – vom Papst angeordnete – Mission des Bonifatius tatsächlich die Westausdehnung des Karolingerreiches vorantrieb. Wer die Köpfe und die Heiligen Stätten in seinem Besitz hat, dem fällt es leichter, auch politisch und wirtschaftlich die Herrschaft an sich zu reißen, eine Politik, die Karl Martell bestens beherrschte. Und ganz so heidnisch waren 719, als Bonifatius seine Mission begann, weder die Friesen noch die Austrier. Denn Hessen und damit das spätere Fulda gehörte seit 481 zum fränkischen Herrschaftsgebiet, und zwar zum Teil Austrien, dem Ostteil. (Wer über “Ossis” lästern will, darf also ruhig auch mal nach Hessen fahren.)Die Thüringer wurden 531 einkassiert, die Friesen 734, die Sachsen dann von Karl dem Großen 777 bis 797. Den Legenden, die die siegreichen Franken dann über die besiegten Stämme verbreiteten, darf man heute so wenig glauben wie den Erzählungen der Römer über das dunkle Germanien. Aber wie gesagt: Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Und deswegen steht in Fulda Bonifatius mit erhobenen Kreuz als vier Meter große Bronzestatue. Seine Gebeine liegen im Dom. Ein Pilgerort für alle, die die alte Legende so nehmen, wie sie ist. Natürlich hat das Ganze machtpolitische Gründe, dass Bonifatius hier liegt. Immerhin stritten sich Fulda, Mainz und sein Sterbeort Dokkum um die Gebeine des Missionars. Wobei schon die Tatsache, dass sich das friesische Dokkum zu Wort meldete, gegen die Legende spricht, die Friesen seien zu dem Zeitpunkt noch Heiden gewesen.
Die Keimzelle der deutschen Volksmärchenwelt: Marburg an einem Tag
Auch Marburg ist so eine süße kleine Stadt …
Wo Johann Wolfgang für Lottchen schwärmte: Ein Tag in Wetzlar an der Lahn
Warum fährt man eigentlich nach Wetzlar …
Ein Tag in Hameln: Rattenfänger, RATS und kein Hamelner Loch mehr
Ratten gab es in der alten Mühlenstadt …
Hinter solchen Geschichten geht es immer um Machtpolitik. Das hat Fulda zwar zum Pilgerort gemacht, dafür blieben die berühmten Dichter und Maler weg. Denn es blieb ja nicht beim 744 von Bonifatius-Schüler Sturmius gegründeten Kloster. Aus dem Kloster entwickelte sich eine Fürst-Abtei, die Äbte aus Fulda stiegen damit zu Reichsfürsten auf. Was auch anderen kirchlichen Refugien gelang und die deutsche Politik bis zur gründlichen Kur unter Napoleon zu einem Flickenteppich der Machtinteressen und Intrigen machte, gegen die das, was heute zwischen den Bundesländern stattfindet, geradezu harmlos ist. Und die diversen Kirchenfürsten mischten eifrig mit in diesem Spiel. Und maßen sich – ganz gegen alle Armutsgelübde, die man sonst so aus Klöstern kennt, eifrig mit, als die deutschen Fürsten begannen, ihren Reichtum mit Prunk und Protz zur Schau zu stellen.
Rund um Rittergasse und Severiberg kann man natürlich auch ein Stück mittelalterliches Fulda besichtigen. Manchmal steht es einfach als Zitat zwischen Neuerem. So auffällig wie das Haus “Zum Grünen Baum” oder der rekonstruierte Rest der Stadtmauer. Geschichte als Zitat. Man glaubt gar nicht, wie hochwissenschaftlich deutsche Stadtbilder sind. Dabei wurde Fulda erst spät Universitätsstadt: 1734. Gegründet von einem der berühmtesten Fürst-Äbte: Adolph von Dalberg. Nach ihm – 1752 – wurden die Fürst-Äbte gar zu Fürstbischöfen erhoben. Was sich dann 1802 und 1803 erledigte, denn unterm großen Schatten des sich mausernden Napoleons wurden in Deutschland die alten Bistümer säkularisiert. Neuer Landesherr wurde Friedrich Wilhelm von Oranien-Nassau, der spätere König der Niederlande. Später kam man zu Kurhessen.
Fulda an einem Tag
Michael Schulze, Lehmstedt Verlag 2014, 4,95 Euro
Aber mit der Säkularisation ging auch die Universität wieder verloren. Heute ist ein Gymnasium in den barocken Gebäuden untergebracht. Den heiligen Glanz hat Fulda nie verloren. Noch heute kann man es auf dem Borgiasplatz anschaulich sehen mit dem in den 1960er Jahren aufgestellten Sturmiusbrunnen, der drei Kirchenväter zeigt. Ursprünglich waren es nur zwei: der Heilige Benedikt als Begründer des Mönchtums mit der Inschrift “REGULA” und der Heilige Bonifatius als Missionar mit der Inschrift “MISSIO”. 2009 stellten die Fuldaer noch den Fuldaer Klostergründer Sturmius in Bronze dazu. Inschrift: “FUNDATIO”.
Das Städtchen ist also etwas für Leute, die es lieber historisch als aufregend haben wollen. Aber in einem kleinen Tipp weist Autor Michael Schulze auf die lange Weintradition der Gegend hin. Schon kurz nach Klostergründung 744 soll “zu kirchlichen Zwecken Wein angebaut worden sein”. Da darf sich jeder selbst überlegen, was ein kirchlicher Zweck ist. Vielleicht darf man dazu auch ins “Café Thiele” einkehren mit seinem empfohlenen Freisitz auf dem Platz “Unterm Heilig Kreuz”. Ist doch ein schöner kirchlicher Zweck? Oder irren wir uns da?
Wikipedia zu Bonifatius: https://de.wikipedia.org/wiki/Bonifatius
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