Bei Vogtland denkt man zumeist nur an Sachsen und seinen Vogtlandkreis. Aber tatsächlich erstreckt sich das einstige Vogtland heute über drei Bundesländer. Auch Bayern hat ein Eckchen abbekommen. Sogar die tschechische Republik besitzt ein Stückchen. In seinem neuen Buch mit Familienrezepten widmet sich Küchenmeister Harald Saul nun dem Thüringer Vogtland.
Im 13. Jahrhundert agierten die Vögte von Weida, Gera, Plauen und Greiz praktisch auf derselben Hierarchiestufe wie die damaligen Markgrafen von Meißen. Später wurden die Vögte sogar Reichsfürsten und eine nicht ganz unbekannte Herrscherlinie ging aus ihnen hervor: die der Prinzen von Reuß. Das sind diese Kleinfürsten aus Thüringen, die dadurch auffallen, dass alle männlichen Herrscher Heinrich heißen. Das geht auf die Ernennung der ersten Vögte durch Kaiser Heinrich IV. zurück. Ihm zu Ehren wollten sie dann alle Heinrich heißen. Und im 17. Jahrhundert einigten sich dann die Reuße jüngerer und älterer Linie darauf, die Heinriche weiter durchzunummerieren, so dass am Ende in der Residenzstadt Greiz Fürst Heinrich XXII. regierte, den das Volk liebte und den “Unartigen” nannte, weil er weder die Sozialdemokraten mochte (und Parteiengründungen verbot) noch den Kaiser in Berlin und seinen preußischen Staat. Also eine Art stockkonservativer Rebell.Harald Saul widmet ihm und seinem Residenzstädtchen ein ganzes Kapitel. Was insofern in einem Rezeptbuch Sinn macht, weil einige der Familienrezepte wieder mit Angestellten des Fürstenhauses zu tun haben.
Gleich das nächste Kapitel widmet sich zum Beispiel dem “fürstlichen Mundkoch Walter Häußer”. Der Mann hatte internationale Erfahrungen gesammelt und lernte bei einem Aushilfsjob bei den Reußen jüngerer Linie auf Schloss Osterstein in Gera die “Bedienung” Hermine Lühti kennen. Um in ihrer Nähe zu bleiben, suchte er sich einen Job in Greiz. Der Fürst nahm ihn eher widerwillig und verdonnerte die beiden Liebenden zur sofortigen Heirat.
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Das Kochbuch Walther Häußers hat in der Familie überlebt. Und das ist ja Harald Sauls Forschungsgebiet. Seit Jahren nun sammelt er solche alten Familienrezepte und stößt dabei immer wieder auf die Rezeptsammlung von Gastwirten, Chefköchen, Serviermamsellen, Konditoren und anderen teils professionellen, teils nebenberuflichen Bäckern und Köchen beiderlei Geschlechts. Von den Kontaktpersonen, die ihm die alten Rezepte zugängig machen, erfragt er dann auch emsig die Lebensgeschichten jener Menschen, die die Rezepte einst aufschrieben. Denn so wird ein wichtiges Stück Alltagsgeschichte sichtbar, werden auch Berufe plastisch sichtbar, die in ihrer Zeit typisch und heute oft verdrängt worden sind.
In den Rezepten selbst steckt dann zumeist die Lebensart der Bekochten. Bei Fürsten erwartet man natürlich jede Menge Fleisch auf dem Tisch. Also gibt es von Walter Häußer erst mal Fleischrezepte – Rinderlende in Blätterteigmantel und Rinderbraten mit Meerrettichsauce. Auch der in Greiz einst bekannte Gastwirt Paul Reichardt wird mit zwei Fleischrezepten vorgestellt. Die Kochlehrerin Elsa Jährig darf dafür süße Rezepte vorstellen, bevor sich Harald Saul auf ein Thema stürzt, das er geradezu liebt: die legendären Gaststätten von Greiz, wo es einmal in jeder Straße eine gegeben haben muss. Natürlich mit Rezepten, die sich einigen dieser Gaststätten zuordnen lassen.Aber nicht nur alter Gastlichkeit wird nachgetrauert, auch neue kommt ins Bild mit dem Bio-Seehotel Zeulenroda und seiner nicht ganz holperfreien Geschichte seit dem Bau als FDGB-Ferienhotel bis hin zur Idee eines Bio-Hotels. Ähnliche Kleinporträts bekommen auch die Gastwirtschaften in Auma. Was bestimmt den Wanderlustigen beruhigt: Verhungern kann er hier nicht.
Und zwischendrin werden sie alle gewürdigt, diese oft genug schillernden Gestalten, an die sich auch andere Einheimische gern erinnern. Der Schritt vom Gastwirt zum regionalen Original ist zumeist recht klein. Da ist Horst Geike aus Triebes, den Saul selbst noch als Ausbilder hatte. Da ist der “fürstliche Küchenmeister” Heinrich Höntsch, der das erste voll elektrisch betriebene Hotel in Thüringen – das “Sophienbad” – bekochte. An den ersten Elektroherden, die es gab. Da ist Kurt Biedermann, der zeigte, dass man in DDR-Zeiten auch eine Mitropa-Gaststätte ordentlich und stilvoll führen konnte.
Da ist aber auch die Erinnerung an die 700-Einwohner-Gemeinde Culmitzsch, die dem Uranbergbau weichen musste. In den Gemüsesuppen-Rezepten von Erna Krauthahn hat sich ein bisschen Erinnerung an diesen verschwundenen Ort bewahrt. Und den hintersten Teil des Buches widmet Saul dann wieder einem Wettbewerb, den er besonders mag: den um den Kloßvogt, bei dem Gaststätten aus dem Thüringer Vogtland jedes Jahr wetteifern. Wär’s nur das, man würde wohl den Kopf schütteln über diesen sehr lokalen Brauch.
Das Familienkochbuch aus dem Thüringer Vogtland
Harald Saul, Buchverlag für die Frau 2014, 14,60 Euro
Aber die preisgekürten Gastwirte verraten dann auch wieder einige Rezepte, so dass der Leser am Ende wirklich so eine Art Kochbuch des Thüringer Vogtlandes bekommt. Samt einer kleinen, auszugsweisen Geschichte der Gastlichkeit. Andererseits ist es ein weiterer Band, der Sauls Sammlung von Familienrezepten aus diversen Regionen des Landes ergänzt. Eine Art soziologische Studienreihe von der kulinarischen Seite her. Denn wie jeder weiß: Auch Geschichte geht erst mal durch den Magen. Oder um Herrn Brecht zu zitieren: Erst kommt das Essen, dann wird bezahlt.
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