Tiefgestapelt haben Verlag und Autorin im Jahr 2006, als sie Dagmar Schäfers Buch "Reisen durch die Küchen von Sachsen" auf den Markt brachten, die Sachsen wären zwar als Leckermäuler berühmt, hätten aber ansonsten eher eine bescheidene Küche. Weil: Wirklich viele sächsische Gerichte, die auch international bekannt seien, gäbe es ja nicht: Leipziger Allerlei, Dresdner Eierschecke, den Stollen ... Na und, sagten sich die Käuferinnen und Käufer.

Das Buch wurde, wie mancher Titel aus dem Buchverlag für die Frau, ein Kassenschlager und ein schönes Beispiel, dass man auch mit Tiefstapelei gute Werbung machen kann. Oder dass die Behauptungen der Werbung beim Buchkauf sowieso niemanden interessieren, weil man Bücher eher deswegen kauft, weil man sowieso schon so eine Ahnung hat. Und weil man den Deppen-Medien, die auch nach 25 Jahren noch immer die selben alten Sachsenwitze erzählen, sowieso nicht mehr glaubt. Inzwischen waren ja auch die meisten Bewohner westdeutscher Markgrafschaften und Fürstentümer schon mal wieder in Sachsen und haben mit eigenen Augen gesehen, dass es ein bezauberndes Land ist mit bergeweise Kultur. Und die Kultur hat immer schon auf die Küche abgefärbt.Und verloren gegangen ist davon nichts. Menschen bewahren sich ihre Esskultur, wenn sie erst einmal eine haben, und vererben sie weiter. Immerhin steckt ja jede Menge Erfindungsreichtum drin. Oft die simple Frage: Was kann man aus wenigen Zutaten eigentlich zaubern? – Jede Hausfrau, jeder Hausmann stellt sich diese Frage. Und natürlich gab es Zeiten und Regionen in Sachsen, da entschied die Antwort darüber, ob man einfach nur satt wurde oder dabei auch noch Spaß hatte.

Und Dagmar Schäfer hat in ihrem Buch zumindest erstmals sehr deutlich gezeigt, dass Sachsen mindestens fünf Küchen hat, jede davon reich genug, um mit jeder anderen Regionalküche in Deutschland zu konkurrieren. Was sie ja alle nicht müssen. Im Gegenteil. Wer eine Reise wagt und gar eine Kulturreise in Europa, der plant die Begegnung mit den Spezialitäten der Region immer mit ein. Liebe geht durch den Magen, eine glückliche Reise auch.

Dass Dagmar Schäfer mit Leipzig und Leipziger Suppentopf loslegt, ist Zufall. Sie hätte auch aus der anderen Richtung kommen und mit der Oberlausitz beginnen können. Startgericht: Lausitzer Sonntagssuppe. Der Einstieg ist derselbe: ein Aha-Erlebnis für die Einheimischen, die manchmal schon vergessen haben, dass ihre heimische Küche aus dem entstanden ist, was in der Region einst besonders gut wuchs und gedieh. Rund um Leipzig waren das zum Beispiel Kohl und Gemüse. Was den Leser daran erinnert, dass im Leipziger Stadtbild wichtige Hinweise auf die einstige Rolle der eingemeindeten Dörfer – der “Kohldörfer” zum Beispiel – fehlen. Obst spielte eine elementare Rolle, importiert direkt aus dem Obstland. Zwiebeln kamen aus Borna, das Eingeweihten noch heute als Zwibbelborne bekannt ist.

Und die anderen Reichtümer des Leipziger Landes entdeckt, wer sich wirklich einmal mit Leipziger Allerlei beschäftigt hat – undenkbar ohne Morcheln aus den Leipziger Wäldern und ohne Krebse aus den Flüssen. Ohne eine Fülle von Fischrezepten kommt der Leipzig-Teil sowieso nicht aus. Und dass er in einer Kaffeetafel mit Leipziger Lerchen, Bäbe, Räbchen und Quarktorte kulminiert, ist einfach zu erwarten. Manche Leute sollen ja nur deshalb nach Leipzig kommen, um hier in den Kaffeehäusern einmal so richtig sächsisch zu schlemmen.

Um dann weiter zu fahren nach Dresden, wo man es auch kann. Nur ein bisschen anders. Dort heißen die Stars Prasselkuchen (à la Kästner), Eierschecke und Mandelstollen. Man merkt dort auch im Kaffeehaus, dass man dem augusteischen Hof ein gewaltiges Stück näher ist.Bei den Mittagstafeln merkt man es natürlich erst recht: Die Fische sind andere (fürstlicher natürlich), und die Vögel auf dem Teller auch. In Leipzig käme kein Mensch auf die Idee, Fasane und Tauben auf den Teller zu tun. Aber wer an gewöhnlichen Tagen mit Reh, Wildschwein und Hirsch vorlieb nehmen muss, der freut sich auf die nicht ganz so üppigen Tage dazwischen, wo es mal Quarkkeulchen oder Soleier gibt.

Man merkt: Schon wer die beiden Großstädte besucht, hat einen lukullischen Urlaub vor sich – auch weil einige der Rezepte direkt von den Karten der einheimischen Restaurants stammen. Die Lausitz als kulinarischer Ausflug in eine Ecke, wo sie Lausitzer, schlesische und böhmische Küche geradezu überschneiden, wurde schon genannt. Und wer dann noch das Vogtland und das Erzgebirge vor sich hat, bekommt zwar die alten Geschichten erzählt vom rettenden Einzug der Kartoffel vor 300 Jahren. Aber was die ach so armen Gebirgsbewohner alles daraus gemacht haben, das ist mit dem Wort Reichtum nur ganz vorsichtig beschrieben.

Wer hier auf Spezialitätentour geht, sollte das ausgiebige Wandern zwischendurch wirklich nicht weglassen, sonst passt die gute Hose nach dem Urlaub garantiert nicht mehr. Im Vogtland machen schon die Namen der Gerichte dick: Speckpuffer, Erdäpfelsalat und Griene Kließ, Mehrnspalken und Kohltopf. Im Erzgebirge gibt’s dann zwar mehr Pilze und Wild – aber wer dann vor seinen Schwarzbeergetzen sitzt zum Nachtisch, der sollte wirklich schauen, ob noch ein ordentlicher Berg in der Nähe ist, den man hernach besteigen kann. Kleiner Holunderschnaps vielleicht noch, um aus dem Sessel zu kommen. Und dann holadihö oder so ins Grüne.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Reisen durch die Küchen von Sachsen
Dagmar Schäfer, Buchverlag für die Frau 2014, 14,90 Euro

Zwischendrin erzählt Dagmar Schäfer noch allerlei kleine Nettigkeiten aus der sächsischen Kulinarik. Die Fotos von Ansgar Pudenz fallen einem ja schon im Buchladen regelrecht entgegen. Es ist also keine Überraschung, dass Dagmar Schäfer das Buch noch einmal überarbeiten durfte, damit es jetzt in dritter Auflage die Leckermäuler erfreut. Und die anderen, die gern mal nach Sachsen kommen, weil sie da was gehört, gesehen oder gerochen haben. Das ist dann freilich auch eine Wahrheit: Ein Land zum Schlankbleiben ist das wirklich nicht.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar