Seit dem Sommer 2013 beschäftigt ein Name die Weltöffentlichkeit: Edward Snowden. Die von ihm gesammelten Informationen aus dem Intimbereich der National Security Agency (NSA), dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst, haben etwas sichtbar werden lassen, worüber selbst Experten zuvor oft nur gespottet haben: Wie käme ein Geheimdienst dazu, alles, was an Kommunikation passiert, zu sammeln und zu speichern? Haben wir denn "1984"? - Es ist noch viel schlimmer, stellt Svea Eckert fest.
Als freie Reporterin ist Svea Eckert vor allem für die ARD unterwegs. Ihre Themenschwerpunkte sind Internet, Netzpolitik, Datenschutz, aber auch all das, was Technikressorts sonst gern außen vor lassen: Macht- und Wirtschaftsinteressen. Das Internet ist schon lange nicht mehr der Freiraum, in dem alles möglich ist. Hier tummeln sich nicht nur Kriminelle, Abzocker und allerlei Verschwörungstheoretiker. Hier erzählen nicht nur Milliarden Menschen jeden Tag das Persönlichste und Intimste. Hier sind auch schon längst die großen Geheimdienste der Welt unterwegs. Der größte ist mit einem über 50-Milliarden-Dollar-Budget die NSA, die vor den Enthüllungen Edward Snowdens kaum jemand kannte, auch wenn dieser Geheimdienst auch schon einmal Thema war und just 2001 im Zentrum eines Reports stand, den ein Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments bestellt hatte.
Dabei ging es schon damals um die weltweiten Abhörtätigkeiten der fünf angelsächsischen Länder USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada, die schon damals das taten, was sie auch heute noch tun: Alles ab- und anzapfen, was an weltweiter Kommunikation möglich ist. Der Report wurde am 5. September 2001 veröffentlicht. Und er hätte ganz ähnliche Wirkung entfalten können wie die Snowden-Dokumente – wäre da nicht dieser 11. September 2001 gewesen, der so zielgenau genau zu dem Zeitpunkt geschah, als die Praktiken der NSA begannen, die Weltöffentlichkeit zu beschäftigen.Und bis heute wundern sich einige Leute zu recht, warum diese damals schon technisch hochgerüstete NSA nicht in der Lage war, das Attentat auf die Zwillingstürme des World Trade Center zu verhindern. Kann es sein, dass auch damals schon die Datensammelei einen ganz anderen Zweck hatte und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nur ein Feigenblatt war?
Ein wirksames Feigenblatt, denn damit kann man sowohl den Aufwand als auch die Geheimhaltung verteidigen, den reihenweisen Bruch von Verfassungen und Bürgerrechten ebenso. Wer will schon schuld daran sein, wenn Geheimdienste keine Terrorakte verhindern können? – Ein Ergebnis des 11. September 2001 war auch die massive Aufstockung des Budgets für die NSA. Eben weil sie “nicht genug Informationen” hatte, um den Terrorakt zu verhindern, wurden ihr die Mittel in die Hand gegeben, noch mehr Informationen zu sammeln. Oder besser noch: alle Informationen, alles, was täglich online kommuniziert wird.
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Die Entwicklung des Internets und das Wachstum der großen in den USA beheimateten Internetgiganten kamen dem Ansinnen gelegen, denn auch diese Giganten bauten ihre Geschäftsmodelle auf dem hemmungslosen Sammeln von Daten auf. Denn Daten sind das eigentliche Gold des 21. Jahrhunderts. Legion sind mittlerweile die Berichte darüber, was die großen Datensammler Facebook, Google, Apple, Windows und wie sie alle heißen, mit den von ihnen online gesammelten Daten alles anfangen können. Und auch anfangen. Es gibt keine Privatsphäre im Internet. Das haben auch emsige Lobpreiser des weltweiten Netzes mittlerweile begriffen. Alles, was online geschrieben, gesagt, hochgeladen wird, ist abgreifbar, wird durch gigantische Glasfaserkabel rings um den Erdball gejagt, läuft über einige wichtige Knotenpunkte, wo diese Daten mit ein paar technischen Hilfsmitteln abgesaugt und umgeleitet werden können.
Was oft gar nicht nötig ist. Denn wer mit einem der großen IT-Konzerne aus den USA zu tun hat, der kann sicher sein, dass seine Daten allesamt auf einem amerikanischen Server landen und dort kopiert werden. Dass Geheimdienste wie die NSA den direkten Zugriff auf diese Datenmengen haben, war eines der wichtigsten Themen der letzten Monate. Und sie sammeln schon längst nicht mehr gezielt. Sondern sie sammeln alles. In gigantischen Speichern in der Nähe von Salt Lake City werden die riesigen Datenmengen gelagert. Und zwar alles, wie NSA-Chef Keith Alexander gern betont. Man brauche den Heuhaufen, um die Stecknadel zu finden.Aber so forsch das aus dem Mund des Generals klingt, so bedrohlich ist das auch. Denn das, was da gesammelt wird, geht weit über das hinaus, was George Orwell in “1984” schildert. Denn mit dem, was Menschen im Internet alles tun und von sich preisgeben, kann man nicht nur beobachten, wie sie ihren Tag verbringen – man kann ihre Gedanken lesen. Denn egal ob in Sozialen Netzwerken wie Facebook oder in persönlichen E-Mails, von denen die Absender glauben, sie schickten sie nur an eine konkrete Person am anderen Ende, es steht in der Regel, was Menschen denken, fühlen, gut finden, glauben und wünschen. Und die Diskussionen um Facebook und Google haben gezeigt, was erst möglich wird, wenn man alle Daten verknüpft. Es entstehen komplette Persönlichkeitsprofile. Und die Internetdienste brauchen nur noch ein paar Rechenalgorithmen, um nicht nur die geheimen Wünsche der Nutzer zu erkennen, sondern sogar schon vorwegzunehmen, was sie als nächstes tun werden.
Und online ist auch fast alles andere: der Buchungsverkehr mit der Bank, das Auslesen von Payback-Karten im Supermarkt, die Käufe bei Ebay, die Bestellungen bei Amazon, die Ticketbuchung bei der Bahn … immer mehr Service wird online angeboten und vernetzt. Hier eine App, dort ein Messgerät für Pulsschlag und Schrittzahl. Jedes Smartphone ist ein kleiner, immerwacher Begleiter, der im Grunde seine Hauptfunktion darin hat, seine Daten permanent an zentrale Server zu senden. Position inbegriffen.
Das ist eine heiße Ware, denn sie lässt sich 1:1 in Werbeumsätze ummünzen: “personalisierte Werbung” heißt das dann – und sie begegnet den Nutzern nicht nur in ihrem “social network”, sondern auch auf vielen anderen Seiten, die sie besuchen.
Überwacht und ausgespäht
Svea Eckert, Lingen Verlag 2014, 9,95 Euro
Google, das 90 Prozent des Marktes der Suchmaschinen beherrscht, löscht die Suchanfragen seiner Nutzer nicht. Im Gegenteil. Die Suchhistorie wird ordentlich aufgehoben – und verknüpft. Mit den Suchbegriffen von Google Maps, mit anderen besuchten Websites – und viele arbeiten ja mit dem scheinbar so schön kostenlosen Service Google Analytics, der so schön praktisch zur Auswertung des Traffic der eigenen Website ist. Doch Google Analytics ist im Grunde eine gut entwickelte Wanze: Alles, was sie zum Traffic auf der Website erfährt, meldet sie an die zentralen Google-Speicher. Der Internet-Nutzer wird, ohne dass er es merkt, zum gläsernen Konsumenten. Oder – noch ein Stück weiter gedacht – er lebt im Glashaus. Denn im Internet ist er nackt. Fast alles, was er dort tut, wird als Datensatz von den IT-Giganten im Silicon Valley gesammelt, ausgewertet, verkauft. Und einer sitzt immer mit am Computer und liest mit und speichert alles: die NSA.
Auch in Deutschland.
Mehr dazu gleich im 2. Teil.
www.edition-lingen-stiftung.de
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