Der 1954 entstandene Geheimdienst NSA, von dessen Existenz selbst die amerikanische Öffentlichkeit praktisch erst in den 1970er Jahren erfuhr, kennt keine Grenzen. Gegründet wurde er in der Zeit des Kalten Krieges, um alles an Informationen zu sammeln, was es über den "Feind" zu finden gab. Damals entstanden auch die großen Abhörstationen in (West-)Deutschland.
In Bad Aibling, in (West-)Berlin … ohne dass die Bundesregierung dagegen einschritt. Warum auch? Man kämpfte ja irgendwie an der selben Front und die Antennen belauschten doch nur den Funkverkehr des Warschauer Paktes und die Satelliten-Kommunikation der Russen. Obwohl: Warum waren die großen Satellitenschüsseln dann mit diesen pilzförmigen Ummantelungen versehen? Sollten zufällige Beobachter nicht mitbekommen, dass die amerikanischen Verbündeten auch noch anderes abhörten als nur den “Feind”?
Natürlich geht Svea Eckert auch auf diese Vorgeschichte ein, die 1990 mit dem Zusammenbruch des Ostblocks eigentlich hätte zu Ende gehen müssen. Kurzzeitig hatte die NSA tatsächlich ein Legitimationsproblem, sollte Personal und Kapazitäten aufbauen. Aber das erledigte sich unter der Clinton-Regierung ziemlich schnell. Den neuen Feind hatte man schnell gefunden und blies ihn in den Folgejahren zum unheimlichen Gespenst auf: den islamistischen Terrorismus. Und Daten brauchte man nicht nur über die möglichen Feinde. Auch die Daten über die Freunde waren Geld wert. Richtig viel Geld. Denn während einige Leute über das “Ende der Geschichte” lamentierten, sahen die Regierungen der USA eine andere Geschichte bedroht: die Rolle der Supermacht als wirtschaftliche Nr. 1.
Und das war auch schon 2001 im Report des EU-Untersuchungsausschusses Thema: Programme wie “Echolon” zielten vor allem auf eines – die wirtschaftliche Führungsposition der USA zu bewahren. Man belauschte nicht nur Regierungen, Wirtschaftsspionage gehörte zu den wichtigsten Aufgabenfeldern in dieser Zeit. Die Kriege der Zukunft werden Wirtschaftskriege sein. Die der Vergangenheit waren es oft genug auch. Aber gerade der massive Ausbau der NSA zeigt, wie weit die USA bereit sind, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung mit allen Mitteln zu behaupten.Und mit den Enthüllungen von Edward Snowden sollten den europäischen Regierungen eigentlich die Ohren klingeln. Als Freunde werden sie in diesem Spiel nicht behandelt. Und nicht nur Angela Merkels Handy wird abgehört. Das ist nur das Sahnehäubchen obendrauf. “Wissen ist Macht” betitelt Svea Eckert ein Kapitel, in dem sie einfach mal umreißt, welche Vorteile eine USA-Regierung selbst in politischen Verhandlungen hat, wenn sie vorher schon weiß, was die Gegenseite sagen wird. Und sie zeigt auch, wie europäisches Knowhow verloren geht, wenn die Kommunikation der Unternehmen angezapft wird. Und wenn es um Handelsabkommen geht, dann verschränkt sich das alles. Dann sitzen nicht nur die US-amerikanischen Konzerne mit Wissen am Tisch, von dem die europäischen Vertragsschreiber nichts ahnen, dann wissen auch die Regierungsunterhändler der USA mehr als die europäische Seite.
Sie wissen zwar auch, dass sie so gut wie gegen alle Datenschutzverordnungen Europas verstoßen. Aber wird TTIP nicht genau dafür gebraucht? Den unheimlichen Datensammlern nun auch im Kern Europas volles Recht und vollen Datenzugriff zu ermöglichen?
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Und wie wird es dann mit den Bürgerrechten, die in der Bundesrepublik ja noch so einigermaßen geschützt sind? – Die NSA weiß heute schon über jeden einzelnen Bundesbürger mehr als die Stasi einst über die 16 Millionen DDR-Bürger wusste. Der komplette Zugriff auf die volle Online-Kommunikation macht die Bürger schon zu Ermittlungssubjekten, wenn sie noch gar nichts getan haben. All das, was die NSA da abschöpft, dürfte sie nach deutschen Recht nicht ohne richterlichen Beschluss sammeln. Und das auch nur zu Personen, gegen die ein begründeter Tatverdacht besteht. Und wenn der Verdacht sich nicht bestätigt, müsste das Gesammelte wieder gelöscht werden. Die NSA aber löscht nichts. Sie hebt alles auf. Facebook und Compagnons ja übrigens auch, wie wir mittlerweile wissen. Wissen ist Macht. Und wenn man Material gegen jemanden braucht, dann zieht man es sich einfach nachträglich aus diesen gewaltigen Speichern.
Alles, was ein Mensch online gesagt und getan hat, kann nachträglich gegen ihn verwendet werden. So dicht dran war auch die Stasi nie.
Und Svea Eckerts Warnung – die sie mit einigen der von ihr zitierten Experten teilt – ist natürlich nachvollziehbar: So ein Apparat, wie ihn die USA mit der NSA geschaffen haben, ist das schlimmste aller Werkzeuge, das ein Staat gegen seine Bürger einsetzen kann. Auch diese Lüge ist mittlerweile durch die Snowden-Dokumente widerlegt: Die NSA agiert schon lange nicht mehr nur “im Ausland” oder gegen “Bedrohungen von außen”. Sie überwacht den kompletten Online-Verkehr in der Welt. Das heißt: auch den der USA-Bürger. Und auch den der Deutschen. Mit ein paar speziellen Instrumenten, mit denen dann auch noch extra die Regierung ausgespäht wird. Da kann Angela Merkel noch so oft bei Barack Obama anfragen, ob sie nicht abgehört werde. Dazu ist die Bundesrepublik als Wirtschaftsakteur viel zu wichtig, stellt Svea Eckert fest, als dass die USA darauf verzichten könnten, den berühmten “Exportweltmeister” auszuspähen. Zumindest, wenn man wirtschaftliche Vormacht so definiert, wie es die USA derzeit tun.Dass die Ausspähung gerade in dem so oft beschworenen “Kampf gegen den Terrorismus” so gut wie gar nichts nützt, auch darauf geht Eckert kurz ein. Die Fälle, mit denen das Milliarden-Programm von Keith Alexander immer wieder begründet wird, zeigen eher, dass die ganze Datensammelei der NSA der klassischen Geheimdienst- und Polizeiaufklärung meilenweit unterlegen ist.
Was bleibt? – Eine Angst, die nur zu berechtigt ist und die den Vergleich mit 1933 tatsächlich begründet. Denn solche Ausspähinstrumente, mit denen jeder Bürger mit seinen ganz speziellen Leidenschaften, Interessen und Schwächen für “Staatsschützer” durchschaubar wird, sind ideale Instrumente in den Händen von Fundamentalisten und Diktatoren. Sie brauchen nur alles, was ihnen unliebsam ist, auszufiltern und ihre Häscher loszuschicken. Und die Gefahr beginnt schon genau dort, wo Geheimdiensten und Unternehmen das Recht zugestanden wird, in die Privatsphäre von Bürgern einzudringen und Daten zu sammeln, mit denen Macht ausgeübt werden kann.
Das Buch, in dem Svea Eckert die wichtigsten Stränge ihrer Recherchen der letzten Zeit zusammen gefasst hat, ist klein, handlich, passt in die Jackentasche. Aber was drin steht, ist die Frage nach dem Rubikon: Lassen wir die Ausspäher und Datensammler so weiter machen? Dann war es das mit einem freien Internet. Oder setzen wir auch im Internet die Gültigkeit der Bürgerrechte durch, die uns so wichtig sind? Und lassen uns von Geheimdienstgenerälen nicht schon wieder einreden, sie täten das alles nur, um uns zu schützen? Das werden sie immer wieder behaupten. Denn: “Wissen ist Macht”. Und die Kriege um politische und wirtschaftliche Vormachtstellung werden heute online ausgetragen.
Überwacht und ausgespäht
Svea Eckert, Lingen Verlag 2014, 9,95 Euro
Es geht ganz schnell, dann ist auch der einzelne Engagierte, der gegen die staatliche Überwachung opponiert, wieder ein Staatsfeind. Einige Organisationen, die gegen das wirtschaftliche Gebaren der USA angehen, stehen heute schon auf der Ausspähliste der NSA ganz oben.
Der Rubikon ist online schon sichtbar. “Big Brother”, der “Große Bruder”, nicht. Aber er ist immer dabei. Und er weiß mehr, als eine Bundesregierung je zugeben würde. Und das Gefährliche daran: Die Grenzüberschreitung in der digitalen Welt verformt auch die reale Welt. Denn wenn keine Äußerung mehr sicher ist vorm Belauschtwerden, dann beginnt wieder das Wegducken, Schweigen, beginnen die Denkverbote und die Scheren im Kopf. Es ist ein finsterer Weg, den NSA & Co. da eröffnet haben.
www.edition-lingen-stiftung.de
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